„Es ist menschengemacht“: Chinas Corona-Politik tödlicher als das Virus

Tödliches Lockdown-Feuer, tödliche Kabinenkrankenhäuser, tödliche Busfahrten und immer mehr Proteste. China steht an einem Scheideweg der Geschichte. Angefangen hatte alles beim „Bridge Man“.
Titelbild
Sicherheitskräfte im Schutzanzug lungern am 30. November 2022 vor einem überwachten Lockdown-Gebiet in Peking herum.Foto: Kevin Frayer/Getty Images
Von 3. Dezember 2022

Chinas Corona-Politik kommt in eine neue Phase. Es hat Tote gegeben. Während die Regierung die sogenannten Fangcang-Krankenhäuser mit quadratischen Kabinen aufbaut, um symptomlos infizierte Menschen oder leichte Fälle zu isolieren, gehen in zahlreichen Städten Chinas die Menschen auf die Straße, um gegen die Null-COVID-Politik der Kommunistischen Partei zu demonstrieren.

Ein Feuer in einem durch Lockdown abgeriegelten Hochhaus in der Uiguren-Hauptstadt Ürümqi forderte mindestens zehn Menschenleben, darunter viele Kinder. Im ganzen Land fordern wütende Bürger das Ende der Lockdowns, das Ende der Tests und der staatlichen Null-COVID-Politik. Tote gab es auch bereits in den neuen Fangcang-Krankenhäusern. Ein Video im Internet soll das Fangcang-Lager Pazhou in Guangzhou zeigen. Ein Menschenauflauf ist zu sehen. Den Informationen nach soll sich eine Frau erhängt haben. Der Text zum Video: „Die Menschen im Konzentrationslager Fangcang in Guangzhou konnten die Isolation nicht ertragen und erhängten sich!“

Dabei ist die strenge und teils willkürlich verhängte Isolation und die harte staatliche Null-COVID-Politik nur die eine Seite des Problems. Die andere ist die durch Behörden und Staatsmedien erzeugte Corona-Panik, die nicht nur die Menschen verängstigt, sondern sogar obskure Formen der Diskriminierung gegenüber Menschen hervorruft, die sich mit dem Virus infiziert haben. Während die hochinfektiöse Omikron-Variante des Coronavirus sich mehr und mehr in China ausbreitet und aufgrund von Symptomlosigkeit oftmals unerkannt bleibt, wächst auch das Misstrauen in der Bevölkerung.

Eine Familientragödie

Zu einem anderen Todesfall in einem anderen Fangcang in der 11-Millionen-Stadt Guangzhou gibt es mehr Informationen. Aus den Schilderungen zu dem Fall wurde deutlich, was die mediale Panikmache in Verbindung mit den drastischen staatlichen Corona-Maßnahmen anrichten kann. Wie die chinesischsprachige Epoch Times berichtet, hatte sich eine junge Wanderarbeiterin in einem Fangcang im Bezirk Nansha in Guangzhou aus Verzweiflung erhängt. Die raue Umgebung und die Angst vor dem Virus hatten sie in den Tod getrieben.

Die 32-Jährige und ihr Mann waren mit anderen Leuten aus ihrer Heimat nach Guangzhou zum Arbeiten gegangen. Nach Angaben von „Radio Free Asia“ (RFA) lebte das Paar im Wohngebiet Shangchong, an der Nanzhou-Straße in Guangzhou. Sie waren aus der Kleinstadt Henglin, Stadt Tianmen, Provinz Hubei gekommen. Dort hat das Paar offenbar auch seine beiden Kinder im Alter von fünf und neun Jahren zurückgelassen, die bei den Großeltern in der Heimat leben. Ein übliches Vorgehen bei chinesischen Wanderarbeitern.

Laut RFA hatten die Behörden die Berichterstattung zu dem Vorfall wohl tagelang zurückgehalten. Obwohl viele lokale Medien Informationen von Zeugen und Insidern innerhalb und außerhalb des Fangcangs bekommen haben sollen, habe es sechs Tage gedauert, bis die Nachricht vom Tod der Frau veröffentlicht wurde. Die Berichte in den chinesischen Newsportalen „Caixin“ und „Sina“ wurden am 23. November veröffentlicht – und bald wieder gelöscht. Als RFA-Reporter bei den zuständigen Behörden nach dem Vorfall fragten, gaben diese an, von nichts zu wissen. Man wollte lediglich wissen, woher man die Informationen habe.

Laut „Caixin“ habe die Frau zur ersten Gruppe gehört, die in der Isolationszone des Nansha-Stadions stationiert worden war. Leute aus der Heimat, die mit ihr isoliert worden waren, hatten sie sagen hören, dass sie diese Zustände nicht gewohnt sei. Die Leute schilderten die neue Umgebung so: Betten, dicht an dicht, Steppdecken, Kissen, stickige Luft und nur wenig Platz, um sich zu bewegen.

Die Frau wurde bei einem der üblichen Tests für Wanderarbeiter am 14. November positiv gemeldet. Die lokalen Behörden zwangen sie am 16. November zur Quarantäne in das Fangcang-Lager im Stadion des Stadtbezirks Nanshan in Süd-Guangzhou. Ihr Mann war zunächst negativ, wurde aber als enger Kontakt auch weggebracht. Er kam allerdings in ein Hotel im Stadtbezirk Conghua im Norden von Guangzhou. Beide waren in dieser Situation also mehr als 130 Kilometer voneinander getrennt.

Der Mann hatte später gegenüber „Caixin“ gesagt, dass sie zum chinesischen Neujahr gar nicht mehr in ihre Heimatstadt zurückfahren und in Guangzhou bleiben wollte. Sie habe Angst vor dem „Tratsch der Dorfbewohner“, vor Diskriminierung gehabt – der Infektion wegen. Als die Frau am Nachmittag des 17. November von ihrem Mann erfuhr, dass auch er positiv getestet wurde, sei sie depressiv geworden.

Nach Angaben der US-Epoch Times sei die Frau die ganze Nacht in der Halle auf und ab gegangen. In dieser Nacht habe sie auch noch ihre Cousine angerufen, hatte ihr Mann „Caixin“ erzählt. Sie habe von ihrer Angst gesprochen, infiziert zu sein. Sie habe am Telefon geweint. Am nächsten Morgen, am 18. November, fand ein Dorfbewohner sie erhängt im Waschraum.

Ihr Mann wurde für die Formalitäten ein letztes Mal zu ihr gebracht. Weinend fragte er sie: „Es ist keine ernsthafte Krankheit, warum hast du es so schwer genommen?“

„Diskriminierung“ mit System

„Radio Free Asia“ (RFA) sprach mit Chinesen über den Vorfall. Frau Jun Chen, eine Internetpersönlichkeit, meinte, dass die Verstorbene selbst Opfer verzerrter Informationen geworden sei. Wenn sie gewusst hätte, dass die sogenannte Infektion einer Erkältung gleichkommen könne, hätte sie sich nicht auf einen Selbstmord eingelassen.

Während sich die ganze Welt entspanne und zur Normalität zurückkehre, führten Chinas Lockdowns, Quarantänen und die Übertreibungen in den staatlichen Medien dazu, „dass normale Menschen, die keine Informationen von außen erhalten können, in Angst und Schrecken geraten“. Frau Chen meinte auch, dass die Medien in China eine Art Terror erschaffen würden. Positiv Infizierte würden dadurch zu einer „tickenden Zeitbombe“. Man bekomme nur die Meldungen der offiziellen Medien auf WeChat zu sehen, die Wahrheit aber nicht. „Siebzig bis achtzig Prozent der Chinesen sind so.“

Öffentlich mal zehn

Dem Bericht nach gingen Brancheninsider in China davon aus, dass viele Menschen an den Folgen der Corona-Maßnahmen gestorben seien. Die Zahl der Selbstmorde sei hoch und auch die der Opfer aufgrund entzogener oder blockierter medizinischer Ressourcen. Eine Person aus dem medizinischen System sprach unter der Bedingung der Anonymität mit den Reportern. Am Beispiel der Provinz Hebei erklärte die Person, dass jetzt einige ältere Menschen und Menschen mit Grunderkrankungen an Corona gestorben seien. Das Selbstmordphänomen betreffe aber vor allem junge Menschen und jene im mittleren Alter.

Veröffentlicht werde das aber nicht: „Lassen Sie mich Ihnen eines sagen, es gibt mehr Menschen, die Selbstmord begangen haben, als diejenigen, die an der neuen Corona-Variante gestorben sind. Jetzt gibt es zehn oder acht Selbstmorde, einer nach dem anderen. Entweder ist es wegen einer Hypothek oder einem Autokredit oder ein kleiner Chef, der nicht über die Runden kommt. Es gibt keine offiziellen Informationen. Multiplizieren Sie einfach die öffentliche Zahl mit zehn, das ist richtig!“

Professor Jin Dongyan, Virologe an der Medizinischen Fakultät der Universität Hongkong, sagte gegenüber der Deutschen Welle (China-Version), dass die Sterblichkeitsrate von Omikron niedriger sei als die der saisonalen Grippe. Es sei wichtig, „Angstmorde“ zu verhindern, so Jin. Laut dem Virologen hätten die Menschen Angst, in die Fangcangs zu kommen. Viele der Menschen bräuchten nicht wirklich eine Behandlung, sondern einen Psychologen. Nicht der Virus töte die Menschen, sondern die Angst. „Es ist menschengemacht“, so der Professor.

„Wer hat sie getötet? Du weißt es, ich weiß es!“

Die Liste der Opfer der Null-COVID-Politik in China wird länger und länger. Der jüngste Vorfall ereignete sich in Ürümqi, in einem wegen des Lockdowns abgeriegelten Hochhaus. Ein Feuer brach aus mit mindestens zehn Toten, so die offizielle Zahl. Danach regte sich bei vielen Chinesen das Gewissen. Sie gingen an die Öffentlichkeit. Manche organisieren Trauerfeiern, andere protestieren in Gruppen, manche protestieren auch alleine.

Zahlreiche Städte sind von den Protesten betroffen und man vergleicht die Situation schon mit den Studentenprotesten von 1989, die in einer blutigen militärischen Niederschlagung endeten. Auch auf der Ürümqi-Road – oder auf Chinesisch Wulumuqi-Straße – in Shanghai wallen immer wieder Proteste auf. Wie Wasser, sagen die Chinesen, es kommt und geht.

Ein bekannter koreanischer Filmstar, Kim Eui-sung, postete auf Instagram ein Video von einem Ein-Mann-Protest auf der nach der uigurischen Hauptstadt Ürümqi benannten Straße in Shanghai. Mit einem Blumenstrauß in der Hand fordert ein junger Mann die Menschen auf, nachzudenken: „Zehn Menschen starben in Ürümqi und 27 Menschen kamen in Guizhou ums Leben. Wer hat sie getötet? Du weißt es, und ich weiß es.“ Er lässt sich dabei auch nicht von den zahlreichen Polizisten vor Ort abschrecken. Kurz darauf wird er festgenommen – offenbar ein von ihm einkalkuliertes Ende. Wollte er den Menschen etwas damit sagen? Der Filmstar kommentiert seinen Post: „Polizisten stürmen herbei und zwingen ihn ins Auto, aber er schreit weiter. Was passiert gerade in China?“

 

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Der Todesbus von Guizhou

Am 18. September ereignete sich ein Busunglück in der ländlichen Provinz Guizhou, bei dem 27 Menschen starben. Das Regierungsfahrzeug, ein Quarantänebus, war mit 47 Menschen besetzt und sollte Einwohner des Dorfes Hongyan in einer sonntäglichen Nacht- und Nebelaktion in eine Quarantäneeinrichtung bringen. Die Menschen selbst waren zwar negativ getestet, mussten aber den lokalen Corona-Regeln nach als Kontaktpersonen eines infizierten Menschen auch isoliert werden. Für das ganze Dorf stellt der Verlust eine Katastrophe dar.

Eine Frau aus der Provinzhauptstadt Guiyang berichtete der chinesischen Epoch Times von dem Vorfall. Sie meinte, dass diese Menschen, sogar selbst wenn sie sich mit dem Virus infiziert hätten, nicht unbedingt hätten sterben müssen. Sie verloren aber ihr Leben, weil sie in die Isolation geschickt worden seien. Die Frau hat eine Vermutung zu den möglichen Hintergründen der Nachtfahrt: Die Stadt Guiyang habe am 16. September eine spezielle Kampagne gegen hohe Corona-Zahlen durchgeführt, erklärte die Frau. Das Ziel sei es gewesen, bis zum 19. September Null-COVID zu erreichen. Daher hätten auch symptomlos positiv getestete Menschen und alle direkten Kontaktpersonen weggebracht werden müssen, trotz eines negativen Testergebnisses. Auf diese Weise seien diese aus der Datenerfassung der Stadt Guiyang herausgefallen.

Die Geschichte vom „Bridge Man“

Kurz vor Beginn des KP-Parteitags am 16. Oktober gab es einen Ein-Mann-Protest auf der Sitong-Brücke in Peking. Zwei antikommunistische Banner hingen da. Auf dem einen wurde ein „Streik zur Absetzung des diktatorischen Verräters Xi Jinping“ gefordert. Auf dem anderen stand: „Essen statt Corona-Tests, Freiheit statt Lockdown, Würde statt Lügen, Reform statt Kulturrevolution, Wahlstimmen statt Führer, Bürger statt Sklaven“. Unweit der Banner stieg eine Rauchsäule empor. Etwas brannte und sorgte für Aufmerksamkeit. Als die Polizei ankam, löschte sie das brennende Objekt und entfernte die Banner. Der Demonstrant hatte die ganze Zeit vor Ort auf die Polizei gewartet und ließ sich festnehmen. Anschließend beseitigte man die Spuren auf Social Media.

Der Protest des „Bridge Man“ zog große Aufmerksamkeit auf sich, nicht zuletzt, weil öffentliche Protestaktionen in der chinesischen Hauptstadt äußerst selten sind und streng bestraft werden. Videoaufnahmen von dem Vorfall sind auf der Videoplattform „Ganjing World“ zu sehen. Über den Ein-Mann-Protest sagte der politische Kommentator und China-Experte Heng He aus den USA: „Als Peng Zaizhou vor über einem Monat mit seinem Protest begann, war er nur eine Person, aber sein Slogan hatte die Herzen der Menschen eindeutig erobert.“ Schicksal und Aufenthaltsort des mutigen chinesischen Bürgers sind derzeit nicht bekannt. Heute rufen Tausende Chinesen in den Städten Chinas: „Keine Corona-Tests, wir wollen Freiheit!“



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