EU-Menschenrechtsausschuss verurteilt Organraub in China

Herzen, Leber und andere Organe auf Bestellung, und zwar ganz ohne Einwilligung des Spenders. Was in Europa unmöglich erscheint, ist in China seit Jahren an der Tagesordnung, vorausgesetzt die Bezahlung stimmt. Am 29. November stand der Organraub auf der Tagesordnung des Unterausschusses für Menschenrechte im Europäischen Parlament.
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Europäischen Parlament in Straßburg.Foto: Getty Images | AFP/POOL | Roland Wittek
Von 9. Dezember 2021
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Während man in Europa monate- oder jahrelang auf ein passendes Spenderorgan wartet, wird ein solches Organ in China binnen weniger Tage bereitgestellt. Seit Jahren ist bekannt, dass Anhänger ethnischer und religiöser Minderheiten in China, darunter Falun-Dafa-Praktizierende wegen ihrer Organe getötet werden. Die Anhänger der auch als Falun Gong bezeichneten Meditationslehre für Körper und Geist leben nach den Prinzipien Wahrhaftigkeit, Güte und Nachsicht und werden in China seit 1999 brutal verfolgt.

Am 29. November widmete sich der Unterausschuss für Menschenrechte im Europäischen Parlament dem Organraub in China, dessen Ausschussvorsitzende Maria Arena zwei Experten geladen hatte. Einer der Referenten war Sir Geoffrey Nice, Vorsitzender des China-Tribunals, der andere der Mediziner Martin Elliott, Mitglied des China-Tribunals.

Nice schilderte: Vor Jahren wurde er von einer NGO mit einer Stellungnahme über den Organraub in China beauftragt, vor allem unter Bezugnahme auf politische Gefangene sowie Falun-Dafa-Praktizierende. „Eine Stellungnahme bringt gar nichts. Das liest sowieso niemand. Das ist Zeitverschwendung. Selbst wenn man das gelesen hat, ändert es nichts“, äußerte er daraufhin.

Stattdessen schlug er ein Völkertribunal vor. Wegen der Machtposition und der von China ausgehenden Drohungen seien frühere Ermittlungen nur ungenügend gewesen. Das britische House of Commons und House of Lords hätten regelmäßig kritisiert, dass die Beweise nicht ausreichend wären. „Das heißt, man konnte die Hände in den Schoß legen“, so Nice. Letztendlich habe die NGO dem Völkertribunal zugestimmt.

China-Tribunal untersucht Organraub

Im Anschluss wurde ein Team von Personen aufgestellt, die keinerlei Verbindungen zu China oder Falun Dafa hatten, sodass ihre Unabhängigkeit gewährleistet werden konnte. Das Interesse der Ermittler galt lediglich der Aufgabe, die Menschen ordentlich zu informieren.

Die vorgelegten Beweise wurden strengen Prüfungen unterzogen. Am Schluss verkündete das Tribunal am 17. Juni 2017 sein Ergebnis: „Der Organraub wird seit Jahren in ganz China in erheblichem Umfang begangen. Falun-Gong-Praktizierende sind eine und wahrscheinlich die Hauptquelle der Organversorgung.“

Dieses Fazit sei auch nicht infrage gestellt worden, so Nice. Handlungsempfehlungen habe das Tribunal allerdings nicht aufgestellt. „Wir sind keine Aktivisten“ – das sei die Aufgabe anderer Organisationen und Politiker.

Nach Vorlage des Abschlussberichts haben das britische House of Commons und House of Lords nicht mehr geäußert, dass die Beweise ungenügend seien. Viel passiert sei allerdings nicht. „Wahrscheinlich wird die Regierung aus anderen Gründen keine Maßnahmen ergreifen“, so Nice.

Jährlich 20.000 Transplantationen – woher kommen die Organe? Aus Camps, mit KZs vergleichbar

Einer dieser Tribunal-Mitglieder war der Mediziner Professor Martin Elliott, ein emeritierter Professor für Herz-Thorax-Chirurgie am University College London, der ebenfalls vor dem EU-Ausschuss sprach. Bereits 1994 sei die Rede davon gewesen, dass hingerichtete Gefangene als potenzielle Organspender in China genutzt werden können. „In keinem anderen Land wird das so gehandhabt“, schilderte Elliott. Außerhalb Chinas gelte das Prinzip, selbst zu entscheiden, ob man seine Organe spenden wolle oder nicht. Die Herkunft des Spenderorgans müsse klar erkennbar sein.

„In China gibt es nicht so ein System. […] Ein System der freiwilligen Organspende gab es in China bis 2015 überhaupt nicht.“ Es habe auch kaum freiwillige Spender gegeben, jedenfalls sei die Anzahl der Spender sehr viel geringer gewesen als die durchgeführten Transplantationen.

Anfang des Jahres 2000 wurden laut Tribunal in China etwa 20.000 Transplantationen jährlich durchgeführt – nach offiziellen Meldungen. Allerdings gab es Krankenhäuser, die jährlich 60.000 Transplantationen durchführten. Die Frage sei also gewesen, woher all diese Organe stammen.

Unterschiedliche Quellen brachten dem China-Tribunal die grausame Erkenntnis, dass politische Gefangene unter „ziemlich schrecklichen Bedingungen in Haft saßen – vergleichbar mit Konzentrationslagern“.

Von ihnen wurden Blut und Organe untersucht. Dafür gab es nur eine Erklärung: Das Interesse an den Organen. Die Ermittlungen des Tribunals ergaben, dass Gefangene massiv gefoltert und ihnen ohne ihre Zustimmung Organe entnommen würden.

EU-Abgeordnete sind schockiert

Nun gehe es nicht nur darum, entsprechende Gesetze zu erlassen, damit Organentnahmen und -handel verboten wird. „Die Länder in der EU müssen sich ebenfalls damit befassen, welche EU-Bürger nach China gereist sind, um dort Organe zu empfangen“, erklärte Elliott.

Während es in Europa Monate oder gar Jahre dauert, um ein passendes Spenderorgan zu erhalten, erhalte man beispielsweise eine Leber oder ein Herz in China innerhalb weniger Tage. „Es ist klar, dass dahinter eine lückenlose Organisation des Organhandels stecken muss.“ Moralische Prinzipien würden dabei nicht eingehalten.

Der EU-Parlamentarier Peter van Dalen bezeichnete den Organraub in China während der Ausschusssitzung als „eine der größten Menschenrechtsverletzungen, die wir jemals gesehen oder gehört haben“. Man könne sich nicht vorstellen, dass so viele unschuldige Menschen mit ihrem Leben bezahlen mussten.

Er wollte wissen, wie man China dazu zwingen könne, die Lage im Land offenzulegen und wer an diesem Geschäft verdient. Dem schlossen sich weitere Abgeordnete an; María Soraya Rodríguez Ramos aus Spanien zeigte sich von dem in China begangenen Organraub, der ein industrielles Ausmaß angenommen hat, schockiert. „Das kann man sich gar nicht vorstellen, dass es so etwas in unserem Jahrhundert gibt.“

Die Abgeordnete Isabel Santos wies darauf hin, dass man bei einem derartigen Ausmaß international zusammenarbeiten müsse. „Das kann die EU nicht allein.“ Und letztendlich reiche es nicht aus, die Praktik zu verurteilen; man müsse auch gegen die Empfänger solcher Organe vorgehen. Es dürfe nicht sein, dass man über diese Menschenrechtsverletzungen wisse, aber davor die Augen verschließe. „Das kann so nicht weitergehen“, sagte Santos.

Unvorstellbare Verstöße gegen Menschenrechte

Dominik Porter vom Europäischen Auswärtigen Dienst wies in der Anhörung darauf hin, dass es bereits Sanktionen gibt, gegen die China verhängt wurden. „Es gibt Gegenmaßnahmen von China. Außerdem sind unsere Beziehungen unter Druck“, schilderte Porter.

Die vom China-Tribunal berichteten Anschuldigungen seien unvorstellbare Verstöße gegen Menschenrechte – von sexueller Gewalt und Folter über Inhaftierung bis hin zur Zwangsentnahme von Organen von politisch Gefangenen. Die EU verurteilte die Menschenrechtsverletzungen in China. Menschenrechte seien keine Option, sondern eine grundlegende Verpflichtung in allen Bereichen der Zusammenarbeit.

„Wir rufen China weiterhin auf, sich an alle völkerrechtlichen Menschenrechtsgesetze zu halten“, so Porter. Immer wieder seien die Haftbedingungen sowie Diskriminierung und Schikanen von ethnischen und religiösen Minderheiten in Gesprächen mit China angesprochen worden. Allerdings habe China den Menschenrechtsdialog ausgesetzt. „Es darf keine Kompromisse bei Menschenrechten geben“, sagte Porter. Internationale Werte müssen verteidigt und dürften nicht angepasst werden.

Massives Risiko für China: Völkermord wird nachgewiesen

Druck auf China auszuüben, bringe nichts, erklärte Nice auf die Frage der Abgeordneten, was man tun könne. „Das einzige Risiko für China wäre, wenn ein Völkermord nachgewiesen werden könnte.“ In diesem Fall könnte man den Internationalen Gerichtshof einschalten. Nice weist darauf hin, dass Berechnungen des Investigativjournalisten Ethan Gutmann ergaben, dass jeder Leichnam bei voller Ausbeute 500.000 Dollar Gewinn bringt. Für die Politiker gelte es nun, nicht wegzuschauen, sondern dranzubleiben.

„Wenn wir über China sprechen, dann sprechen wir über die kommunistische Partei, nicht über das chinesische Volk“, betonte Elliott und fügte hinzu, dass Geschäftsmodell zum Organhandel der chinesischen Regierung auf die Nachfrage gestützt sei.

Fakt sei, dass bei entsprechender Zahlung in wenigen Tagen eine passende Leber bereitgestellt werde. Klar sei auch, dass die potenziellen Empfänger stark verzweifelt seien. Elliot sprach sich dafür aus, eine Offenlegung der Transplantationsdaten von China zu fordern.

„Diejenigen, die in den Handel involviert sind, werden natürlich von China geschützt“, gab er gleichzeitig zu bedenken. Die Frage sei auch, wie viele europäische Mediziner sich mit den chinesischen Kollegen verbunden sehen oder in die Tätigkeiten verstrickt seien.

Bei Besuchen in China sei es nahezu unmöglich, sich ein Bild über die aktuelle Lage zu machen, weil alles kontrolliert werde. „Da bekommt man nur das zu Gesicht, was vorführbar ist“, so Elliott.

Den während der Anhörung erzielten Erkenntnissen sollen nach Angaben der Ausschussvorsitzenden weitere Schritte folgen. Man werde das Thema weiter erörtern und auch in den Parteien diskutieren. Unklar ist, ob die EU eigene Ermittlungen anstellen wird.

Die Ergebnisse und Beweismaterialien des China-Tribunals sind auf der Seite chinatribunal.com veröffentlicht.



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