Evakuierungen verschoben: „Herzzerreißende Szenen“

Zivilisten sollten die Chance bekommen, während einer Feuerpause aus Mariupol zu fliehen - doch die Evakuierungen wurden verschoben. Eine dritte Verhandlungsrunde steht bevor.
Blick aus einem durch Granatenbeschuss zerbrochenen Krankenhausfenster in Mariupol, Ukraine.
Blick aus einem durch Granatenbeschuss zerbrochenen Krankenhausfenster in Mariupol, Ukraine.Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa
Epoch Times5. März 2022

Die Ukraine und Russland haben sich gegenseitig Verletzungen der ersten begrenzten Feuerpause im Ukraine-Krieg zur Evakuierung von Zivilisten aus dem Kampfgebiet vorgeworfen.

Die „russische Seite“ halte sich nicht an die Waffenruhe in der Hafenstadt Mariupol, teilte die Stadt am Samstagmittag im Nachrichtenkanal Telegram mit. „Aus Sicherheitsgründen wird deshalb die Evakuierung verschoben.“ Das russische Verteidigungsministerium teilte dagegen mit, der verabredete humanitäre Korridor sei beschossen worden.

Schüsse seien zudem von Mariupol aus im Gebiet Donenzk in der Südostukraine auf Stellungen russischer Truppen abgefeuert worden, hieß es in der Mitteilung des Ministeriums in Moskau. Zudem sei am Vormittag ein Wohnhaus gesprengt worden, in dem sich bis zu 200 Menschen aufgehalten haben könnten. Die Angaben ließen sich nicht überprüfen. Die Waffenruhe um Mariupol und die 65 Kilometer entfernte Stadt Wolnowacha in der Region Donezk war am Samstag für sieben Stunden angesetzt gewesen. Beide Seiten hatten am Donnerstag bei Verhandlungen in Belarus solche humanitären Korridore vereinbart.

Rotes Kreuz: „Herzzerreißende“ Szenen

„Die Szenen aus Mariupol und anderen Städten heute sind herzzerreißend“, teilte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) mit. Die Evakuierungen über die Korridore würden nicht am Samstag beginnen. Man bleibe mit den Konfliktparteien in Kontakt, damit Zivilisten in Sicherheit gebracht werden könnten. „Unabhängig davon, ob humanitäre Korridore in den kommenden Tagen umgesetzt werden, müssen die Parteien weiterhin unter internationalem humanitärem Recht Zivilisten und zivile Infrastruktur schützen.“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief zur weiteren Verteidigung Mariupols auf. „Alle, die Hilfe brauchen, sollten die Möglichkeit bekommen, rauszukommen“, sagte der Präsident. „Alle, die ihre Stadt verteidigen möchten, sollten den Kampf fortsetzen.“

Zuvor hatte der Bürgermeister von Mariupol, Wadym Boitschenko, von einer Blockade der Stadt mit 440.000 Menschen und unerbittlichen russischen Angriffen gesprochen. Nach ukrainischer Darstellung setzte Russland seine Offensive in anderen Kriegsgebieten fort, auch gegen die Hauptstadt Kiew und die Metropole Charkiw.

Erbitterte Gefechte dauern an

Der russische Militärsprecher Igor Konaschenkow sagte, zugleich schlössen „Truppen der Volksrepublik Donezk“ den Ring um Mariupol. Zudem setzten die russischen Streitkräfte die „Entmilitarisierung“ der Ukraine fort. Mit Panzerabwehrraketen seien Munitionsdepots in der westukrainischen Stadt Schytomyr zerstört worden. Insgesamt habe man bisher mehr als 2000 Objekte militärischer Infrastruktur und mehr als 700 Panzer der Ukraine vernichtet.

Auch das ukrainische Militär sprach von schweren Gefechten mit russischen Truppen. Es werde „erbittert gekämpft, um ukrainische Städte von den russischen Besatzern zu befreien“. Regionen und Städte wurden nicht genannt. In der Hauptstadt Kiew war die Nacht nach Angaben der Behörden ruhig. Nach ukrainischer Darstellung versucht die russische Seite, Kiew und Charkiw zu umzingeln. Die ukrainische Armee betont immer wieder, Angriffe würden zurückgeschlagen und den Gegnern Niederlagen zugefügt.

UN: Bisher 351 tote Zivilisten

Nach UN-Angaben sind bei dem Krieg bisher 351 Zivilisten ums Leben gekommen. Wie das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) am Samstag weiter berichtete, stieg die Zahl der verletzten Zivilisten auf 707, darunter auch 36 Kinder. Die meisten Opfer seien durch den Einsatz von Explosivwaffen mit weitem Wirkungsbereich verursacht worden, darunter Beschuss durch schwere Artillerie und durch Raketen. Die wahren Opfer-Zahlen dürften laut OHCHR erheblich höher sein.

Gerade in den vergangenen Tagen seien die entsprechenden Informationen schwer zu bekommen gewesen und manche Berichte über verletzte und tote Zivilisten harrten einer Bestätigung. Dies betreffe beispielsweise die Stadt Wolnowacha nahe Donezk, in der angeblich Hunderte von zivilen Opfern zu beklagen seien. Das Hochkommissariat gibt nur Todes- und Verletztenzahlen bekannt, die es selbst unabhängig überprüft hat.

Dritte Verhandlungsrunde der Kriegsparteien

An diesem Wochenende soll es zwischen Ukraine und Russland eine dritte Verhandlungsrunde über einen Waffenstillstand geben, vermutlich wieder in Belarus. Ein genauer Termin wurde zunächst nicht genannt. Der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow erklärte laut Agentur Tass, es gehe Moskau um Sicherheitsgarantien. Putin hat unter anderem das Ziel ausgegeben, die ukrainische Führung abzusetzen.

Auch die internationalen Bemühungen für ein Ende des Krieges dauern an. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird an diesem Sonntag die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu einem Gespräch im Bundeskanzleramt empfangen. Die US-Regierung übte Druck auf China aus, sich im Ukraine-Krieg gegen Russland zu positionieren. US-Außenminister Antony Blinken sprach am Samstag während seiner Europareise mit seinem chinesischen Kollegen Wang Yi „über den vorsätzlichen, unprovozierten und ungerechtfertigten Krieg Moskaus gegen die Ukraine“, wie das Ministerium in Washington mitteilte. (dpa/red)



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