Fall Brunson: Türkei versetzt Staatsanwalt und heizt Spekulationen über mögliche Freilassung des US-Pastors an

Sucht die Türkei einen Ausweg für Pastor Brunson, einen Helden im Konflikt mit den USA? Man hat den Staatsanwalt, der US-Pastor Andrew Brunson angeklagt hatte, in eine andere Abteilung weglobt. Justizminister Gül wiegelt ab und spricht von einem Routinevorgang.
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Der US-amerikanische Pastor Andrew Brunson wird seit mehr als eineinhalb Jahren in der Türkei festgehalten.Foto: DHA-Depo Photos/Archiv/dpa
Von 7. September 2018

Nach einer überraschenden Personalentscheidung des türkischen Justizministers Abdulhamit Gül mehren sich Spekulationen über eine mögliche Freilassung des seit 2016 in der Türkei festgehaltenen US-amerikanischen Pastors Andrew Brunson. Wie die Tageszeitung „Hürriyet“ berichtet, ist der Staatsanwalt, der die Anklage gegen den Geistlichen verfasst hatte, auf eine andere Position versetzt worden.

Justizminister Gül bestätigte am Donnerstag in einer Pressekonferenz in Ankara Berichte lokaler Medien, wonach der Jurist neben fünf weiteren Kollegen von der Generalstaatsanwaltschaft versetzt worden wäre. Im Fall des Brunson-Ankläger sei dieser von der Antiterror-Abteilung in jene für Cyberkriminalität umgruppiert worden.

Gül wollte der Personalentscheidung allerdings keine tiefere Bedeutung zumessen. „Er war der Staatsanwalt, der die Anklage im Fall Brunson vorbereitet hat. Er war nicht der insgesamt mit dem Fall betraute Staatsanwalt. Es handelt sich [bei der nunmehrigen Versetzung] um einen Routinevorgang. Solche Veranlassungen können reinen Sachzwängen folgen.“

Das Büro des Generalstaatsanwalts von Izmir habe die Entscheidung getroffen. Die Justiz arbeite jedoch als System, nicht als deren einzelne Personen.

Im Oktober 2016, drei Monate nach einem gescheiterten Putschversuch von Teilen der Armee, war Brunson unter dem Verdacht des „Terrorismus“ und der „Spionage“ in Untersuchungshaft genommen worden. Auf Grund gesundheitlicher Beschwerden hat ein Gericht in Izmir am 25. Juli die Haft in einen Hausarrest umgewandelt. Im Fall einer Verurteilung drohen Brunson bis zu 35 Jahre Freiheitsentzug. Seine bisherigen Haftprüfungsanträge wurden vom zuständigen Gericht abgelehnt. Als nächster Prozesstag ist der 12. Oktober anberaumt.

Türkei wirft Brunson „Christianisierung Kurdistans“ vor

Der ursprünglich aus North Carolina stammende protestantische Pastor lebt seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Türkei. Das Verfahren gegen Brunson soll auf Beschwerden eines Übersetzers zurückgehen. In weiterer Folge versuchten türkische Staatsanwälte, begleitet von umfangreichen Spekulationen in regierungsnahen Medien, dem Geistlichen sowohl Verbindungen zur militanten kurdischen PKK als auch zum Gülen-Netzwerk nachzuweisen. Die Regierung in Ankara beschuldigt den seit 1998 in den USA lebenden greisen Islam-Prediger Gülen, hinter dem Putschversuch im Juli 2016 zu stehen.

Der Vorwurf in Richtung PKK stützt sich dabei vor allem auf Aufenthalte Brunsons im syrischen Kurdengebiet, das von den sogenannten „Volksverteidigungskräften“ (YPG) gehalten wird, die Ankara als syrischen Ableger der „Kurdischen Arbeiterpartei“ betrachtet. In dem Gebiet unterhält auch die von den USA geführte „Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat“ Stützpunkte.

Brunson soll Bibeln in kurdischer Sprache verteilt und in Empfehlungsschreiben für kurdische Asylbewerber in Kanada Kritik an der Politik der türkischen Regierungspartei AKP und der nationalistischen MHP geübt haben. Die Anklagebehörde legt dem Pastor zur Last, die Kurdengebiete christianisieren und dort einen christlichen Staat gründen zu wollen. Welche Rolle die atheistische und sozialistische PKK dabei einnehmen soll, bleibt bislang offen.

Ein Reisgericht als landesverräterischer Code

Die Anschuldigungen, die Brunson in die Nähe des Gülen-Netzwerks rücken, werden unter anderem damit begründet, dass seine Tochter ein Video an sein iPhone verschickt habe, das den Verzehr von Makluba zeigt. Dieses levantinische Reisgericht sei eine „gülenistische Spezialität“ und werde vorwiegend in den sogenannten Lichthäusern serviert, in denen Studenten leben, die zur Anhängerschaft des Predigers gehören.

Einem nicht offengelegten Zeugen zufolge soll Brunson an einer Veranstaltung von Gülen-Anhängern teilgenommen haben. Dabei soll er sich positiv über die Beziehungen zwischen Christen und der Bewegung geäußert haben, die für eine moderate Auslegung des Islam eintritt und den Dialog mit Andersgläubigen befürwortet.

Dies reicht nach Auffassung der Staatsanwaltschaft aus, um Brunson der „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“ und der „Spionage zum Zweck des Sturzes der Regierung“ zu beschuldigen. Ein weiterer geheimer Zeuge will einen „israelischen Missionar“ belauscht haben, der von einer Beteiligung Brunsons an der Vorbereitung der regierungsfeindlichen Gezi-Proteste von 2013 gesprochen haben soll.

Die staatliche Kommission der Vereinigten Staaten für internationale Religionsfreiheit (USCIRF) betrachtet Pastor Brunson als Gewissensgefangenen. Das Verfahren gegen den Geistlichen scheine auf geheim gehaltenen Beweismitteln und den Aussagen eines nicht namhaft gemachten Zeugen zu beruhen. Die Kommission wirft der Türkei vor, Brunson ohne ein rechtsstaatliches Verfahren und unter unzureichendem physischem und psychischem Beistand gefangen zu halten.

Faustpfand für Gülen-Auslieferung?

US-Präsident Donald Trump hatte im August in einem Tweet den Pastor als „großartigen Christen“ und „Patrioten“ bezeichnet und von der Türkei dessen Freilassung gefordert. Als die Türkei diese ablehnte, verkündete Washington Sanktionen gegenüber dem türkischen Justizminister Gül und Innenminister Süleyman Soylu. Tage später verdoppelten die USA ihre Einfuhrzölle auf türkischen Stahl und türkisches Aluminium, was einen Absturz der türkischen Lira an den Devisenmärkten zur Folge hatte.

Beobachter gehen davon aus, dass die Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan den US-amerikanischen Pastor als Faustpfand festhält, um von den USA die Auslieferung des Predigers Fethullah Gülen zu erzwingen. Die USA lehnen einen solchen Deal kategorisch ab. Eine Auslieferung des Predigers, der einst als Verbündeter Erdoğans galt, mittlerweile aber Staatsfeind Nummer eins ist, erscheint alleine schon auf Grund seines angeschlagenen Gesundheitszustandes als wenig wahrscheinlich.

 



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