Fehler, Eingeständnis, Signal – Wie Merkel in die Türkei reist
Es geht um ein umstrittenes Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, das eine Staatsaffäre auslöste. Dass sich Merkel kurz vor ihrem Türkei-Besuch dazu äußert, ist auch ein Zeichen an Ankara.
Was hat Merkel genau gesagt?
In einer Pressekonferenz zu einem ganz anderen Komplex äußert sich Merkel am Freitagabend in Berlin überraschend zu der Affäre um den Satiriker Jan Böhmermann, der ein vulgäres Gedicht über Erdogan geschrieben hat und deshalb nun von diesem verklagt wird. Merkel hatte die Böhmermann-Zeilen gemeinsam mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu früh als „bewusst verletzend“ bewertet. Nun sagt sie: „Das war im Rückblick betrachtet ein Fehler.“
Denn es sei der Eindruck entstanden, dass ihre persönliche Bewertung hier etwas zähle und ihr Meinungs- und Pressefreiheit nicht mehr wichtig seien. Sie betont: „Mir ist dieses wichtig und wird es auch weiter wichtig bleiben, und das leitet mich bei allen Gesprächen.“ Und noch einmal glasklar: „Und dass so eine Situation entstehen kann, wo gedacht wird, das würde jetzt aufgegeben, weil wir gerade mal mit der Türkei ein Abkommen gemacht haben, das ist fehlerhaft gewesen.“
Die Affäre läuft seit Wochen. Warum äußert sich Merkel jetzt?
Der Kanzlerin wird vorgeworfen, dass sie für den Flüchtlingspakt zwischen der Europäischen Union und Ankara bei der Verletzung von Freiheitsrechten in der Türkei ein Auge zudrückt. Im Zuge der Flüchtlingskrise sind Merkels Umfragewerte gesunken. Nach einer am Freitag veröffentlichten Erhebung ist auch die Mehrheit der Deutschen mit ihrem Umgang mit der Böhmermann-Affäre nicht zufrieden. Es könnte ihr einen Stich versetzt haben, dass ausgerechnet sie, die immer die Meinungs- und Pressefreiheit verteidigt hat, nun von vielen Deutschen nicht mehr als Garantin dafür gesehen wird. Gerade ihre frühe Einordnung des Böhmermann-Textes als bewusst verletzend halten Kritiker für eine Vorverurteilung. Vor ihrem Türkei-Besuch wollte sie womöglich auch ein Signal an Ankara senden.
Welches Signal?
Ein Zeichen der Distanz. Dass der gemeinsame Besuch mit Ahmet Davutoglu in einem Flüchtlingscamp im südosttürkischen Grenzgebiet zu Syrien nicht gleichzusetzen ist mit Übereinstimmung in allen Fragen – auch wenn Merkel und Davutoglu in den vergangenen Monaten ein recht gutes Verhältnis zueinander aufgebaut haben.
Ferner, dass das für die EU und Deutschland wichtige Abkommen mit der Türkei zur Eindämmung der Flüchtlingsbewegung nicht dazu führen soll, Ankara kritische Fragen zu ersparen. Merkel bereut nicht ihre Entscheidung, die deutsche Justiz zu Ermittlungen gegen Böhmermann wegen Beleidigung Erdogans ermächtigt zu haben. Das halte sie weiter für richtig, sagte sie am Freitagabend. Denn das ermögliche, dass deutsche Gerichte mit Annahme der Unschuldsvermutung korrekt entscheiden könnten. Ärgern tut sie sich eben darüber, dass sie es persönlich bewertet hat – und dann noch gemeinsam mit Davutoglu.
Was soll der gemeinsame Auftritt von Merkel, Davutoglu und Donald Tusk und Frans Timmermans bringen?
Die Reise hat wohl eher Symbolcharakter. Der Aufenthalt in dem Flüchtlingscamp wird in Minuten berechnet, nicht in Stunden. Merkel muss schon am Abend zurück, weil sie am Sonntag US-Präsident Barack Obama in Hannover empfängt. Vertrauensvolle Gespräche zwischen mächtigen Politikern und hilfesuchenden Menschen können da kaum zustande kommen. Außerdem dürfte den Spitzenpolitiker kein Elend von Flüchtlingen gezeigt werden, sondern ein gut funktionierendes Container-Camp. Der Auftritt ist das Zeichen, dass der Pakt umgesetzt wird. Das Wie wirft noch viele Fragen auf.
Welche?
Etwa: Nach welchen Kriterien genau werden eigentlich jene Syrer ausgesucht, die von der Türkei in die EU geschickt werden? Für jeden aus Griechenland zurückgenommenen Syrer, der dort illegal angekommen ist, kann die Türkei dem Pakt zufolge ja einen Syrer nach Europa schicken. Doch wie läuft das genau?
Apropos Obama. Was sagt der US-Präsident kurz vor seinem Treffen mit der Kanzlerin am Sonntag in Hannover über sie?
Obama lobt Merkel für ihren Mut in der Flüchtlingskrise. „Sie hat wahre politische und moralische Führung gezeigt“, sagt er der „Bild“- Zeitung. Er betrachte Merkel als einen seiner engsten Partner und auch als Freundin. „Wenn sie etwas sagt, meint sie es auch. Wenn sie sagt, dass sie etwas machen wird, dann macht sie es.“
(dpa)
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