Landesweite Proteste in Frankreich: 80.000 Teilnehmer unterwegs gegen Polizeigewalt

Am Samstag haben zehntausend Menschen in Frankreich gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert. Einer Studie zufolge haben mehr als 90 Prozent der Schwarzen auf dem Festland Diskriminierungserfahrungen gemacht.
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Demonstranten beim „Marsch für Gerechtigkeit“, zu dem NRO, Gewerkschaften und Parteien am 23. September 2023 in Paris aufgerufen haben.Foto: BERTRAND GUAY/AFP via Getty Images
Von 24. September 2023

Gewerkschaften zufolge haben mindestens 80.000 Menschen am Samstag, 23.9., an den landesweiten Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt teilgenommen. Anlass war der Tod des 17-jährigen Nahel Merzouk bei einer Polizeikontrolle am 27. Juni des Jahres in Nanterre. Neben den Gewerkschaften und linksgerichteten Verbänden hatte auch die Partei „La France Insoumise“ zu dem Protesten aufgerufen.

Das Innenministerium spricht von lediglich 31.000 Demonstranten landesweit, in Paris seien es 9.000 gewesen. Die Veranstalter hatten für die Hauptstadt von 15.000 Teilnehmern gesprochen. Insgesamt soll es Kundgebungen in mehr als 100 Städten gegeben haben.

Vor sechs Jahren wurde Polizeigesetz verschärft

Wie „France 24“ berichtet, forderten die Protestteilnehmer eine Abschaffung des Artikels 435-1 des Gesetzes über die innere Sicherheit. Dieser stammt aus dem Jahr 2017 und hat die Ermächtigung von Polizeibeamten zum Schusswaffengebrauch ausgeweitet. Diese gilt insbesondere dann, wenn Personen sich Anweisungen der Exekutive widersetzen.

Polizeibeamte hatten den 17-jährigen Merzouk bei einer Verkehrskontrolle erschossen, als dieser plötzlich sein Auto beschleunigt hatte. Daraufhin kam es in mehreren Städten zu teilweise gewalttätigen Protesten, im Zuge derer mehr als 700 Personen zu Haftstrafen verurteilt wurden. Auch am Wochenende kam es vereinzelt zu Gewaltakten am Rande der Proteste.

In Paris griff beispielsweise eine Gruppe maskierter Personen einen Polizeiwagen mit einer Eisenstange an. Dabei erlitten drei Beamte Verletzungen. Ein im Wagen sitzender Polizeibeamter griff, wie aus einem Video hervorgeht, zu seiner Waffe, machte davon jedoch nicht Gebrauch.

Im Jahr 2022 starben in Frankreich 38 Personen bei Polizeieinsätzen

Der Tod des 17-Jährigen hatte eine interne Untersuchung zur Folge. Allerdings gibt es zu dieser noch kein Ergebnis, was die Protestteilnehmer zum Anlass für Kritik nahmen. Auf Transparenten hieß es unter anderem „Stoppt staatliche Gewalt“, „Kein Vergeben – kein Vergessen“ oder „Dieses Gesetz tötet“.

Dem jährlichen Bericht der Innenrevision zufolge starben im Jahr 2022 bereits 38 Personen bei Polizeieinsätzen. In 22 der Fälle machten die Beamten von ihrer Schusswaffe Gebrauch. 13 der genannten Vorfälle standen im Zusammenhang mit Zuwiderhandeln gegen Polizeianweisungen.

Einer der Protestteilnehmer im Paris war der 27-jährige Mohamed Leknoun. Sein Bruder Amine war im August 2022 bei einem Polizeieinsatz ums Leben gekommen. Auch er soll sich Anweisungen widersetzt haben. Gegenüber der Agentur AFP äußerte er:

All diese Ungerechtigkeit zerstört Familien.“

Studie spricht von häufigen Diskriminierungserfahrungen

Angehörige von Minderheiten sollen in überdurchschnittlichem Maße von tödlichen Polizeieinsätzen betroffen sein, heißt es vonseiten der Veranstalter. Protestteilnehmer erklärten, dass sich die „Repression durch den Staat“ in einkommensschwachen Wohngegenden mittlerweile auch in die Mittelschicht herumspreche. Andere sprachen von einer erhöhten Neigung zu Polizeigewalt anlässlich von Verhaftungen und Verkehrskontrollen und von rassistischen Profilerstellungen.

Die französische Regierung bestreitet systematischen Rassismus oder Brutalität durch die Polizei. Der Pariser Polizeichef Laurent Nunez verteidigte die Beamten und sagte am Samstag im Sender France-Info, diese müssten manchmal „legitime, legale und verhältnismäßige Gewalt“ anwenden, um „gefährliches Verhalten, Vandalismus und Plünderungen“ zu stoppen.

Einer im Februar veröffentlichten Studie des „Rates der Schwarzen-Organisationen in Frankreich“ (CRAN) zufolge gibt es jedoch ein grundsätzliches Rassismusproblem im Land. Dies berichtete „Le Monde“. Der Untersuchung zufolge sind nicht weniger als 91 Prozent der Befragten in Kontinentalfrankreich mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Rassendiskriminierung geworden.

In den meisten Fällen sei dies sogar mehrfach geschehen. In 85 Prozent der Fälle sei dabei explizit Bezug auf die Hautfarbe genommen worden. Erklärt CRAN-Präsident Patrick Lozès. Die Diskriminierung findet dem Bericht zufolge hauptsächlich im öffentlichen Raum (41 Prozent) und am Arbeitsplatz (31 Prozent) statt.

Zunehmende Entfremdung zwischen Frankreichs Staatsdoktrin und Minderheiten

Dazu kommen unfreundliche Akte, die vom Gesetzgeber ausgehen und sich gezielt gegen die muslimische Community richten – wie jüngst das Verbot der traditionellen arabischen Abaya-Tracht an öffentlichen Schulen.

Kritiker sehen unter anderem im kolonialen Erbe und in dem auf die Französische Revolution zurückgehenden säkularistischen Staatsverständnis eine Wurzel des heutigen Rassismusproblems. Staatspräsident Emmanuel Macron bestreitet, dass die Maßnahmen seiner Regierung gegen vermeintlichen „Separatismus“ rassistische Beweggründe haben.

Gleichzeitig beklagt der Präsident, dass der Westen im Allgemeinen und Frankreich im Besonderen in früheren Kolonialstaaten deutlich an Einfluss verlieren. Jüngste Staatsstreiche in afrikanischen Ländern wie Mali oder Niger gehen mit einer ostentativen Abwendung der Militärführungen von Frankreich einher.

Erhöhte Alarmbereitschaft der Polizei aufgrund mehrerer Anlässe

Am Wochenende war die Polizei in Frankreich generell in erhöhter Alarmbereitschaft. Allein 30.000 Polizisten und Gendarmen waren dem Innenministerium zufolge am Samstag im Einsatz. In Marseille absolvierte das Oberhaupt der Katholischen Kirche, Papst Franziskus, einen Besuch in Marseille.

Dazu kamen drei Spiele der im Land stattfindenden Rugby-Weltmeisterschaft. Bereits zuvor hatten sich der britische König Charles III. und Königin Camilla zu einem dreitägigen Besuch in Frankreich eingefunden. Dieser war am Freitagabend zu Ende gegangen.



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