Franzosen nach Wahlen desillusioniert – Chance für Konservative

Debakel für linksliberale Establishment-Parteien, aber auch Verluste für Rechtsaußen – und die Konservativen als Überraschungssieger: Von diesem „Sachsen-Anhalt-Szenario“ bei den französischen Regionalwahlen will nun auch Xavier Bertrand in Frankreich profitieren.
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Xavier Bertrand spricht während seiner ersten Wahlkampfveranstaltung in Maubeuge am 3. Mai 2021.Foto: FRANCOIS LO PRESTI/AFP via Getty Images
Von 30. Juni 2021

Seit Sonntag (27. Juni) ist in Frankreich ein neuer Name in aller Munde. Xavier Bertrand, ein früherer Versicherungskaufmann, hat in seinem Départment Hauts-de-France mit mehr als 52 Prozent klar seine Führungsposition behauptet und sich noch am Wahlabend als künftiger Präsidentschaftskandidat ins Spiel gebracht.

Noch bis wenige Tage vor dem ersten Durchgang der Regional- und Départmentswahlen erschien es als ausgemachte Sache, dass die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2022 zu einem Zweikampf zwischen Amtsinhaber Emmanuel Macron und Rassemblement-National-Führerin Marine Le Pen werden würden. Dies lag nicht zuletzt am Fehlen eines aussichtsreichen Angebots vonseiten der Bürgerlich-Konservativen.

Franzosen über beide Frontrunner desillusioniert

Beide Durchgänge der derzeitigen kommunalen Urnengänge haben nun jedoch ein deutliches Signal dahingehend ausgesandt, dass die Bürger Frankreichs sich mit diesem Angebot nicht begnügen wollen. Sowohl Macron, der 2017 als „Le-Pen-Verhinderer“ die Oberhand behalten hatte, als auch Le Pen selbst, die zuletzt in Umfragen zum amtierenden Präsidenten aufschließen konnte, erlitten an beiden Sonntagen eine krachende Niederlage.

Nach der ersten Runde stand fest, dass Macrons Partei LREM keine einzige Region für sich erobern könnte. Der Präsident schickte nicht weniger als 15 Minister ins Rennen, sie alle schafften es jedoch nicht einmal, stark genug abzuschneiden, um als Zünglein an der Waage für den zweiten Durchgang fungieren zu können.

Für Le Pen zerschlug sich die Hoffnung auf einen möglichen Trostpreis, als auch im Hoffnungsgebiet PACA (Provence-Alpes-Côte d’Azur) der Republikaner Renaud Muselier den RN-Kandidaten Thierry Mariani mit 57,3 zu 42,7 Prozent deutlich auf Distanz halten konnte.

Die Chance der Konservativen

Die Entwicklung, dass traditionelle bürgerlich-konservative Parteien davon profitieren, dass Bürger zu linksliberalen Establishment-Parteien gleichermaßen auf Distanz gehen wie zu populistischen Kräften von Rechtsaußen, hatte erstmals 2019 in Österreich stattgefunden. Konnte man den klaren Sieg der ÖVP von Sebastian Kurz damals noch mit den Besonderheiten nach der „Ibiza“-Affäre erklären, ließ der jüngste klare Erfolg der CDU unter Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt schon ein gewisses Muster erkennen.

In Frankreich hat sich diese Entwicklung nun endgültig als europäischer Trend stabilisiert: Wo Bürger progressiven Elitenprojekten misstrauen, gleichzeitig aber auch dem antisystemischen Rechtspopulismus nicht zutrauen, das Gemeinwesen verantwortungsvoll zu führen, können Bürgerlich-Konservative die lachenden Dritten sein. Vorausgesetzt, sie agieren selbst nicht abgehoben.

Was Frankreich von Österreich und Deutschland unterscheidet: Die Politikverdrossenheit ist dort besonders stark ausgeprägt. Bei den Regionalwahlen blieben fast zwei Drittel der Wahlberechtigten den Urnen fern, was auch den Erfolg der Konservativen relativiert.

Bertrand wäre der Gelbwesten-konforme Kandidat

Dort will auch Xavier Bertrand, der sich selbst als „Landei, das nie auf einer Eliteschule war“ definiert, nun andocken. Er beschrieb die katastrophale Wahlbeteiligung als „Schrei eines Frankreichs, dem man jeden Tag immer mehr abverlangt, aber das im Gegenzug nichts außer Verachtung und Indifferenz bekommt“.

Die „Gelbwesten“-Rhetorik kommt bei Bertrand nicht von ungefähr. Er selbst sprach von „Menschen, die man kennt“, als im Jahr 2018 in seiner Heimatprovinz ein Protest gegen Steuererhöhungen auf einem Supermarkt-Parkplatz stattfand.

Bertrand macht auch deutlich, dass er die Stimme der einfachen Bevölkerung sein will. Die etablierten Technokraten in Paris nennt er „wandelnde Rechenmaschinen, die trotzdem nicht das richtige Ergebnis ausspucken“, über die Eliteakademie ENA, aus der unter anderem auch Präsident Macron kommt, sagt er, dort werde „alles außer Common Sense“ gelehrt.

„Er ist ein einfacher Mann, nahe an den Menschen“, sagt Bestattungsunternehmerin Sylvie Debuysère gegenüber „Politico“ über den Mann, der nach eigener Aussage „dem Front National [so der frühere Name der Le-Pen-Partei; Anm. d. Red.] aufs Maul gehauen“ hat.

Wauquiez und Pécresse halten Ambitionen aufrecht

Dass Bertrand, der aus der Partei „Die Republikaner“ ausgetreten ist, tatsächlich zum Kandidaten der Konservativen wird, steht indes noch nicht fest. Auch Laurent Wauquiez und Valérie Pécresse, die ebenfalls ihre Provinzen verteidigen konnten, erheben Anspruch auf eine Kandidatur.

Die Entscheidung wird für die Konservativen auch eine strategische sein müssen. Der bewusst schlicht auftretende Provinzpolitiker Bertrand könnte die entscheidenden Schneisen in die Wählerschaft des Rassemblement National schlagen und Nichtwähler zurück an die Urnen holen. Die anderen potenziellen Mitte-Rechts-Kandidaten sprechen eher Wähler an, die das bürgerliche Lager zugunsten Macrons verlassen haben.

Um wieder zur landesweit führenden Kraft werden zu können, müssen die Konservativen aus allen Gewässern fischen.



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