G20: Ukraine wegen Lawrow aufgebracht, nächstes Gipfeltreffen in Brasilien – und Lula will Putin nicht verhaften
Die führenden Industrie- und Schwellenländer setzen heute die Beratungen fort. Die Staats- und Regierungschefs besuchten zunächst die Gedenkstätte für den indischen Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi. Zum Abschluss steht dann die dritte Arbeitssitzung an, die unter dem Motto „One Future“ (deutsch: Eine Zukunft) steht. Dabei geht es um Reformen von Entwicklungsbanken und internationalen Finanzorganisationen. Größere gemeinsame Beschlüsse wird es aller Voraussicht nach am Sonntag nicht mehr geben. Die G20-Runde hatte sich bereits gestern auf eine Abschlusserklärung verständigt.
Ukraine verärgert über Lawrow
Die Ukraine hat dem russischen Außenminister Sergej Lawrow beim G20-Gipfel der führenden und aufstrebenden Wirtschaftsmächte Kriegspropaganda vorgeworfen. Nachdem Kremlchef Wladimir Putin nicht zum Treffen ins indische Neu Delhi gereist sei, rechtfertige und fördere Lawrow dort die Invasion, beklagte Mychajlo Podoljak, Berater im ukrainischen Präsidentenbüro, im Fernsehsender „Freedom“. „Er ist ein Promoter des Krieges in der Ukraine“, so Podoljak. Es brauche mehr internationale Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen wie gegen Putin, um solche Auftritte von „Subjekten wie Lawrow“ zu verhindern. Die Ukraine war von Indien nicht eingeladen worden. Im vergangenen Jahr hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj noch per Video von Kiew aus die Tagesordnung auf der Ferieninsel geprägt. In Neu Delhi zeigte sich die russische Seite zufrieden mit der Erklärung des Gipfels. Unterhändlerin Swetlana Lukasch sprach von einem „ausgewogenen“ Ergebnis.
Territoriale Integrität nur allgemein erwähnt
Der russische Angriffskrieg wird in der Gipfelerklärung nicht mehr – wie noch im Vorjahr – ausdrücklich verurteilt. Stattdessen wird nur noch auf entsprechende Resolutionen der Vereinten Nationen verwiesen – und allgemein auf die territoriale Integrität von Staaten, also die Unverletzlichkeit von Grenzen. Diplomaten werteten die Kompromissformulierungen als kleinsten gemeinsamen Nenner, mit dem aber ein Scheitern des Gipfels verhindert wurde. Den Angaben zufolge stand dem Westen eine Allianz aus China und Russland gegenüber. Peking gilt als international wichtigster Partner Moskaus und hat den Angriffskrieg auf die Ukraine bisher nicht verurteilt. Wegen des Streits war offen gewesen, ob es wie üblich eine gemeinsame Abschlusserklärung der Teilnehmer geben würde. Der Westen handelte eine Formulierung heraus, nach der alle Staaten von Angriffen auf die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit anderer Staaten Abstand nehmen müssen. Zudem werden zumindest indirekt wieder die Atomwaffendrohungen Russlands kritisiert. „Der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Kernwaffen ist unzulässig“, heißt es in dem Text, der dpa vorliegt. Er wurde von Indien gemeinsam mit Südafrika, Brasilien und Indonesien vorgeschlagen. Besonders wichtig dürfte für Moskau sein, dass in dem Text auch auf russische Forderungen nach einer Lockerung der westlichen Sanktionen eingegangen wird. So heißt es dort, man rufe dazu auf, die „unverzügliche und ungehinderte Lieferung von Getreide, Lebensmitteln und Düngemitteln/Zusätzen von der Russischen Föderation und der Ukraine“ zu gewährleisten. Dies sei notwendig, um den Bedarf in Entwicklungsländern, besonders denen in Afrika zu befriedigen. Die Ukraine kritisierte die Abschlusserklärung scharf. „Die G20 hat nichts, worauf sie stolz sein kann“, teilte der Sprecher des Außenministeriums in Kiew, Oleh Nikolenko, gestern in dem sozialen Netzwerk X (vormals Twitter) mit. Er veröffentlichte rot markierte Korrekturen in dem Dokument, wie sie aus Sicht der Ukraine aussehen sollten. So sollte laut Nikolenko nicht von einem „Krieg in der Ukraine“ die Rede sein, sondern klar von „Russlands Aggressionskrieg gegen die Ukraine“. Zudem hätten die G20-Staaten den Krieg einhellig verurteilen und Moskau aufrufen müssen, die Invasion umgehend zu beenden.
Wo findet der nächste Gipfel statt?
Ein anderer Konfliktpunkt war, ob der G20-Gipfel im Jahr 2026 in den USA oder anderswo ausgerichtet werden sollte. Die USA setzten sich dabei nach Angaben von Diplomaten gegen China durch. Der Gipfel im nächsten Jahr wird in Brasilien, der im Jahr 2025 in Südafrika ausgerichtet. Russlands Präsident Wladimir Putin droht trotz eines auf ihn ausgestellten internationalen Haftbefehls bei einem möglichen Besuch in Brasilien nach Angaben seines brasilianischen Amtskollegen Luiz Inácio Lula da Silva keine Festnahme. „Wenn ich der Präsident Brasiliens bin und wenn er nach Brasilien kommt, wird er auf keinen Fall verhaftet“, sagte Lula dem indischen Nachrichtenportal Firstpost am Samstag am Rande des G20-Gipfels in Neu Delhi. „Wir mögen Frieden und wir behandeln Menschen gerne gut. Ich glaube also, Putin kann sicher nach Brasilien reisen“, erläuterte der brasilianische Staatschef. Das nächste G20-Treffen findet im kommenden Jahr in der brasilianischen Metropole Rio de Janeiro statt. Lula kündigte an, Putin zu dem Gipfel einladen zu wollen. Der Internationale Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag hatte im vergangenen März einen Haftbefehl gegen Putin ausgestellt. Der russische Präsident hat seit Beginn des Angriffskriegs in der Ukraine internationale Treffen gemieden. Putin nahm auch nicht am Gipfel in Indien teil, obwohl das Land, anders als Brasilien, dem Strafgerichtshof nie beigetreten ist. (dpa/afp/red)
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