„Grenzen sind offen“: Fake-News setzen neue Fluchtbewegungen im Südosten Europas in Gang

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sieht sich nach den jüngsten Ausschreitungen an der Grenze zu Nordmazedonien in der Einschätzung bestätigt, europäische Regierungen müssten einen energischeren Kampf gegen Falschmeldungen führen. Von Libyen aus droht unterdessen eine neue Fluchtwelle.
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Migranten in GriechenlandFoto: über dts Nachrichtenagentur
Von 8. April 2019

Es braut sich wieder etwas zusammen an den Außengrenzen der EU. Die am häufigsten gewählte Landroute für Asylsuchende aus den Ländern des Nahen Ostens einschließlich des Irans und Afghanistans, die über die Türkei, Griechenland und die Balkanländer nach Westeuropa führen soll, erlebt einen neuen Ansturm.

Die jüngsten Ausschreitungen an der Grenze zwischen Griechenland und Nordmazedonien stellen lediglich einen Teilaspekt der verschärften Gesamtproblematik dar. Auch in der Türkei, die 2016 mit der EU einen Pakt geschlossen hatte, um die unkontrollierten Wanderungsbewegungen über die Balkanroute zu beenden, spitzt sich die Lage zu. 

Sie skandierten „Germany, Germany“

Wie die „Welt“ berichtete, hatten erst am Wochenende (5.-7. April) in Griechenland etwa 800 Migranten von einem Flüchtlingslager bei Thessaloniki aus versucht, über die Grenze nach Nordmazedonien zu gelangen. Dabei kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Gleichzeitig machten sich auch in der Türkei tausende Asylsuchende auf zur Grenze nach Griechenland. Die meisten Migranten kommen aus dem Iran und Afghanistan. Viele von ihnen skandierten während ihrer Einkesselung durch die Polizei „Germany, Germany“, um zum Ausdruck zu bringen, dass das Endziel ihrer Reise Deutschland ist.

In Athen besetzten 300 Migranten am Freitag den Hauptbahnhof, wie „Tag24“ berichtet, wurde der Bahnverkehr gestoppt. Es kam auch hier zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften. In der Nacht zum Samstag konnte der Bahnverkehr jedoch wieder aufgenommen werden.

Generell ist die Zahl der Migranten, die über die Landroute nach Griechenland gekommen waren, allein im Vorjahr um 34 Prozent auf 56 561 angestiegen, so die offiziellen Zahlen von Frontex. Die UNO spricht zusätzlich von 5621 Migranten, die in der Zeit von Anfang des Jahres bis zum 3. April auf dem Seeweg versuchten, nach Griechenland zu gelangen, wobei es 14 Todesopfer gab. Das entspricht in etwa den Zahlen des Vorjahres, als insgesamt 32 000 auf diesem Weg das Land erreicht hatten.

Türkische Sicherheitskräfte greifen täglich 180 Migrationswillige auf

Daily Sabah zufolge hätten türkische Sicherheitskräfte zudem seit Jahresbeginn bereits 16 318 Personen aufgegriffen, die über die Grenze nach Griechenland gelangen wollten. Das würde einem Tagesschnitt von 180 Aufgriffen entsprechen. Allein zum Ende der Vorwoche soll die Polizei türkischen Medienberichten zufolge mehr als 1000 Migranten in und um die Grenzstadt Edirne sowie auf dem Weg nach Edirne in der Nachbarprovinz Tekirdag gestoppt haben.

Die griechischen Flüchtlingslager sind überfüllt, die Zustände sind prekär, die Stimmung ist explosiv. Der jüngste massenhafte Versuch, von dort aus die Landesgrenzen zu überschreiten, soll auf Fake-News zurückgehen, die gezielt seit dem 9. März in speziellen Facebook-Gruppen für Migranten in Umlauf gebracht worden sein sollen. Die Gerüchte sollen sowohl in der Türkei als auch in Griechenland eine Rolle gespielt haben.

Den Migranten sei gesagt worden, ihre Aufenthaltsländer hätten ihre Grenzen geöffnet und NGOs hätten sich unter dem Motto „Konvoi der Hoffnung“ zusammengetan, um sie in Bussen weiter zu transportieren. Dass in einer ähnlichen Situation Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 tatsächlich eine Öffnung der Grenzen und die Verbringung von Migranten mit Bussen und Zügen nach Deutschland durchgesetzt hatte, dürfte das Wunschdenken vieler Asylsuchender zumindest nicht gedämpft haben, als die Gerüchte die Runde machten. Damals hatten Migranten in Ungarn Bahnhöfe besetzt und versucht, über eine Autobahn von Budapest nach Wien zu gelangen. Bereits zuvor hatte es eine ähnliche Aktion syrischer Flüchtlinge auf der Autobahn von Istanbul nach Edirne gegeben. 

Tsipras-Besuch in Skopje als Aufhänger

Am Höhepunkt der Flüchtlingskrise wurde zwischen Griechenland und Nordmazedonien ein Grenzzaun errichtet. Diese Maßnahme und der Flüchtlingsdeal mit der Türkei sollten für eine weitgehende Entspannung auf dem Landweg sorgen. Die Zahl der Migranten, die über die Balkanroute Mittel- und Westeuropa erreichten, ging im Jahr nach der Vornahme dieser Maßnahmen zurück. Allmählich ist der Wanderungsdruck jedoch wieder im Steigen begriffen.

Neben dem Ende des Winters sind es die gezielt gestreuten Fake-News, die für die kommenden Monate noch weitere Bewegungen in Richtung der Grenzen erwarten lassen. Tagespolitische Ereignisse dienen dabei häufig als Aufhänger. In Griechenland wurde, wie griechische Medien berichteten, etwa jüngst der Besuch des Premierministers Alexis Tsipras in Skopje, der Hauptstadt von Nord-Mazedonien, zum Anlass genommen, die Falschmeldung zu verbreiten, am 5. April würde um 12 Uhr mittags die Grenze zwischen beiden Ländern geöffnet.

Der „Welt“ zufolge werden Falschmeldungen dieser Art in den Sprachen der Ursprungsländer verbreitet – wie Paschtu, Farsi oder Arabisch. In der Facebook-Gruppe des „Konvois der Hoffnung“ werden auch Treffpunkte genannt und taktische Anweisungen erteilt. Eine davon lautete Berichten zufolge: „Frauen und Kinder vorausschicken! Die Frauen müssen heulen und sich auf den Boden werfen und die Polizisten begrapschen!“

Die Urheber dieser Kampagne seien unbekannt. Es wird vermutet, dass Schlepperbanden ihre Finger mit im Spiel haben. Unklar ist, ob es auch gezielte Bestrebungen politischer Akteure gibt, die Wanderungsbewegungen anzufachen, um die Zielländer zu destabilisieren.

Bundesregierung versucht es mit eigener Informationsseite

Griechische und türkische Behörden wollen sich nun bemühen, den Initiatoren der Fake-News auf die Schliche zu kommen. In Deutschland fühlen sich Politiker unterdessen in ihren Forderungen nach einer stärkeren Kontrolle sozialer Medien durch staatliche Sicherheitsbehörden bestätigt. Gegenüber der „Welt“ verurteilte etwa der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Stephan Mayer, die Gewaltbereitschaft der Migranten und forderte ein stärkeres Zusammenwirken nationaler und internationaler Stellen gegen Fake-News im Netz. Wörtlich erklärte er:

Zukünftig müssen die Migranten möglichst zeitnah und direkt über die unterschiedlichen Informationskanäle der griechischen Behörden, der Nichtregierungsorganisationen, von Frontex und der Europäischen Asylagentur informiert werden, wenn bewusste Falschinformationen beispielsweise über angeblich geöffnete Grenzen kursieren.“

Sein Parteikollege, der Landesgruppenvorsitzende der CSU im Bundestag, Alexander Dobrindt, erklärte gegenüber der „Welt“, dass dieses Phänomen bereits seit Längerem bekannt sei. Die Falschmeldungen über Grenzöffnungen und deren Folgen zeigten, wie wichtig eine „schnelle Reaktion“ auf deren Auftauchen in sozialen Medien sei:

Diesen Falschmeldungen etwa über offene Grenzen muss jederzeit, umgehend und klar in den Netzwerken entgegengetreten werden.“

Die Bundesregierung versucht mittels eigener informationspolitischer Anstrengungen, den Falschnachrichten entgegenzuwirken. So betreibt das Auswärtige Amt seit etwa zwei Jahren eine Abteilung für strategische Kommunikation, die unter anderem über die mehrsprachige Informationsseite www.rumoursaboutgermany.info Wanderungswillige darüber aufklären soll, dass die euphorischen Darstellungen über ein Leben in Deutschland unzutreffend seien.

Vormarsch Haftars in Libyen als weiterer Unsicherheitsfaktor

Zwar würden die deutschen Botschaften in den jeweiligen Ländern beobachten, was in den Social-Media-Kanälen vor sich gehe; die Menge an Gerüchten sei allerdings viel zu groß, um allem nachgehen zu können. Dass die Darstellungen, Nordmazedonien habe seine Grenze geöffnet, in weiterer Folge auch Deutschland als Wunschziel der Migranten betreffe, schien nicht allen Akteuren von Beginn an transparent gewesen zu sein.

Unterdessen droht sich der Wanderungsdruck auch aus Nordafrika wieder zu erhöhen: In Libyen will der Chef der Gegenregierung in Tobruk, der unter anderem von Russland, Ägypten und Saudi-Arabien unterstützte Ex-General Chalifa Haftar, die international anerkannte Regierung in Tripolis absetzen. Er gilt als Hardliner gegen die radikal-islamische Muslimbruderschaft und könnte – so die Hoffnung seiner Unterstützer – dem Land Stabilität zurückbringen, wie dies im Nachbarland bereits 2013 dem ägyptischen General As-Sisi gelungen war.

Bis dahin ist aber ungewiss, wie sich die Turbulenzen im Land auf die Fluchtbewegungen auswirken werden. Libyen gilt als eines der bedeutendsten Transitländer für Migranten, die aus den Ländern südlich der Sahara einen Weg nach Europa suchen. Die „Thüringer Allgemeine“ schreibt jetzt schon von einer drohenden weiteren Flüchtlingswelle.




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