Großbritannien lässt erste Therapie mit Genschere zu

Die Entwickler der Crispr-Methode erhielten 2020 den Nobelpreis. Nun ist erstmals ein Medikament zugelassen worden, bei der die sogenannte Genschere zum Einsatz kommt.
Mikroskopbild zeigt halbmondförmige rote Blutkörperchen eines an Sichelzellenanämie erkrankten Patienten aus dem Jahr 1972.
Mikroskopbild zeigt halbmondförmige rote Blutkörperchen eines an Sichelzellenanämie erkrankten Patienten aus dem Jahr 1972.Foto: F. Gilbert/CDC/AP
Epoch Times16. November 2023

In Großbritannien ist weltweit erstmals ein Medikament zugelassen worden, das auf der Genscheren-Technologie Crispr basiert. Das teilte die Arzneimittelbehörde MHRA (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency) mit.

Das Medikament mit dem Namen „Casgevy“ ist demnach für die Behandlung der Sichelzellkrankheit und der Beta-Thalassämie bei Patienten ab zwölf Jahren zugelassen worden. Beiden genetisch bedingten Bluterkrankungen liegen Fehler im Gen für Hämoglobin zugrunde. Das ist ein eisenhaltiger Proteinkomplex, der in roten Blutkörperchen vorkommt und dazu dient, Sauerstoff zu transportieren.

Lange Aufenthalte im Krankenhaus vonnöten

Die sogenannte Genschere Crispr/Cas kann gezielt auf einzelne Gene ausgerichtet werden. Die Entwicklerinnen der Methode, Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna, hatten dafür 2020 den Nobelpreis erhalten. „Casgevy“ diene dazu, die fehlerhaften Gene in Knochenmark-Stammzellen der Patienten zu verändern, damit sie funktionierendes Hämoglobin produzieren können, hieß es in einer Mitteilung der MHRA. Dafür werden demnach Stammzellen dem Knochenmark entnommen, im Labor bearbeitet und dann wieder in den Patienten eingesetzt. Für die Therapie ist ein mehrwöchiger Krankenhausaufenthalt notwendig. Das Ergebnis habe aber das Potenzial, lebenslang zu wirken, hieß es weiter.

Sowohl die Sichelzellkrankheit als auch die Beta-Thalassämie seien schmerzhafte, lebenslange Erkrankungen, die in manchen Fällen tödlich verlaufen könnten, sagte Julian Beach, Interims-Exekutivdirektor der Abteilung Healthcare Quality and Access der MHRA. Er fügte hinzu: „Bisher war eine Knochenmarktransplantation – die von einem gut passenden Spender kommen muss und das Risiko einer Abstoßung mit sich bringt – die einzige dauerhafte Behandlungsoption.“

Die Sichelzellkrankheit kann zu schweren Schmerzanfällen, ernsthaften und lebensgefährlichen Infektionen und Anämie, einem auch als Blutarmut bezeichneten Mangel an Sauerstoff im Blut führen. Patienten mit Beta-Thalassämie leiden ebenfalls an Anämie und benötigen häufig Bluttransfusionen in Abständen von drei bis fünf Wochen.

Frei von schweren Schmerzanfällen

Von 28 Patienten mit der Sichelzellkrankheit, die in einer klinischen Studie mit dem Medikament behandelt wurden, waren den Angaben zufolge zu 97 Prozent mindestens ein Jahr lang frei von schweren Schmerzanfällen. Bei der klinischen Studie mit Beta-Thalassämie-Patienten, die auf Bluttransfusionen angewiesen sind, brauchten demnach 93 Prozent (39 von 42 Patienten) für mindestens zwölf Monate keine Transfusion roter Blutzellen. Bei den übrigen drei Patienten war zumindest eine 70-prozentige Reduzierung der Bluttransfusionen möglich.

Hergestellt wird das Medikament in einer Kooperation der Unternehmen Vertex und CRISPR Therapeutics, die ihren Hauptsitz in den USA und der Schweiz haben. Einer Mitteilung der beiden Unternehmen zufolge dürften in Großbritannien derzeit etwa 2000 Menschen für die Behandlung mit „Casgevy“ infrage kommen. Vertex-Geschäftsführerin Reshma Kewalramani sprach von einem „historischen Tag in der Wissenschaft und Medizin“. Er hoffe, es handle sich nur um die erste von vielen Anwendungen der Methode, die Menschen mit schweren Erkrankungen zugutekommen könnten, sagte CRISPR-Therapeutics-Chef Samarth Kulkarni laut der Mitteilung.

Selim Corbacioglu vom Universitätsklinikum Regensburg, der selbst schon eine Crispr-Therapie erprobt hat, nennt einige Bedenken. „Wir können nicht zu 100 Prozent sicherstellen, dass durch die Genschere nicht auch andere DNA-Abschnitte verändert werden“, sagte er. „Die Crispr-Therapie ist auch nicht „mal eben“ durchführbar.“ Es gebe erhebliche Nebenwirkungen, zudem sei die Therapie sehr teuer.

Nach den Worten von Joachim Kunz vom Universitätsklinikum Heidelberg ist die Therapie „extrem komplex, erfordert eine aufwendige Logistik und wird absehbar aufgrund der benötigten Ressourcen nicht unbegrenzt skalierbar sein, sondern nur für eine begrenzte Zahl von Patienten pro Jahr zur Verfügung stehen“. Die aktuellen klinischen Studien zur Crispr-Therapie seien zwar vielversprechend, aber selbst die zuerst behandelten Patienten seien erst etwa vier Jahre nachbeobachtet worden. „Auch wenn es bisher keine Hinweise darauf gibt, könnte es sein, dass die Wirkung der Gentherapie über die Jahre nachlässt, weil beispielsweise die Lebensdauer der manipulierten Blutstammzellen verkürzt ist.“ (dpa)



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