Haisenko über die Wertschätzung der Arbeit: Sehr wenige beuten sehr viele aus – Die Welt braucht einen „reset“

Deutschland, der Westen, hat nicht gelernt mit Frieden umzugehen. Wir sind unfähig, fatale Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen und notwendige Reformen anzugreifen. Das Finanzsystem ist außer Kontrolle, eigentlich schon lange tot. Sehr wenige beuten sehr viele aus und beherrschen die Politik mit ihren immensen Geldmassen. Was tun, fragt Gastautor Peter Haisenko.
Titelbild
Gleichmacherei kann kein Ziel sein, aber wir müssen zurückfinden, zu einer Bezahlungsstruktur, die dem natürlichen Empfinden der Menschen annähernd gerecht wird.Foto: Wolfram Kastl/dpa
Epoch Times21. März 2017

Die Gehälter von Piloten sind immer wieder ein Thema. Manchem erscheinen sie zu hoch. Über die Bezahlung von Arbeit in der Dritten Welt wird zu wenig gesprochen. Nicht nur diese beiden Extreme will ich geraderücken, sondern auch die allgemeine Wertschätzung von Arbeitsleistung betrachten. Das natürliche Empfinden würde nämlich etwas ganz Anderes ergeben, als das, was wir jetzt erleben müssen.

Es war im Jahr 1991, als ich als Kapitän einen Flug von München nach Hamburg durchgeführt habe. Ein freundlicher Herr besuchte uns im Cockpit – ja, das war einmal ganz einfach möglich – und wir kamen im Lauf des Gesprächs auf Pilotengehälter. Auf meine Frage, wie viel mir denn dieser Passagier persönlich als Entlohnung für diesen einen Flug zugestehen würde, antwortete er nach kurzer Überlegung: Fünf D-Mark.

Meine Antwort hat ihn einigermaßen erstaunt: Danke, Sie haben mein Gehalt gerade verdoppelt! Er meinte dann, dass er eigentlich spontan zehn D-Mark sagen, aber nicht zu hoch greifen wollte.

Die Näherin in Bangladesch – Ausbeutung in Hochpotenz

Meine folgende genauere Betrachtung ergab, dass dieser Passagier mein Gehalt vervierfacht hätte. Bei einem Flug mit durchschnittlich 120 Fluggästen hätte ich für diesen Flug 600 D-Mark bekommen, wenn jeder Passagier fünf D-Mark für meine Arbeit bezahlt hätte. Es ist üblich, dass jeder Pilot auf der Kurzstrecke vier Flüge pro Tag durchführt, bei tariflichen 20 Arbeitstagen pro Monat.

Das würde ein Monatsgehalt von 48.000,- D-Mark bedeuten, während mein tatsächliches Gehalt zu dieser Zeit etwa 12.000,- D-Mark betrug. Die spontane Wertschätzung meiner Arbeit durch diesen Passagier war also viermal höher, als die meines Arbeitgebers. Letzterer gestand mir keine 1,50 DM pro Passagier zu.

Wenden wir uns nun dem untersten Ende der Einkommensskala zu: Der Näherin in Bangladesch. Stellen Sie sich vor, Sie stehen neben der Näherin, während sie mit flinken, geübten Fingern Ihr Lieblings-Designer-T-Shirt zusammen näht. Würden Sie sich nicht schämen, wenn Sie ihr für diese Arbeit weniger als 50 Cent in die Hand drückten?

Bravo, Sie haben das Gehalt dieser armen Frau gerade um das Vierzigfache erhöht! Stundenlöhne von etwas mehr als zehn Cent sind in diesen ausgebeuteten Ländern üblich. Wenn die Näherin etwa zehn Shirts pro Stunde näht – das schafft sie leicht – dann bekommt sie pro Hemd nur etwas mehr als einen Cent. Manche Menschen in Deutschland würden sich nicht einmal bücken, um einen Cent von der Straße aufzuheben.

Von Lohngerechtigkeit kann keine Rede sein

Diese beiden Extrembeispiele zeigen, dass das natürliche Empfinden, die natürliche Wertschätzung von Arbeit, stark abweicht von dem, was profitgierige Kaufleute bereit sind zu bezahlen. Man frage nur einmal einen Pflegebedürftigen, was ihm die Arbeit seiner Pfleger wert wäre, oder die einer Krankenschwester. Im Gegensatz dazu gibt es nur wenige, die die horrenden Gehälter von Managern, Börsenmaklern, Vorständen (Dieselbetrügern) oder Bankstern als angemessen empfinden. Eigentlich sollte es die Aufgabe der Gewerkschaften sein, dieses natürliche Empfinden gegenüber den Kaufleuten zu vertreten und durchzusetzen. Das tun sie schon lange nicht mehr, wie das krasse Ergebnis der jüngsten Tarifrunde in der Metallindustrie wieder einmal aufzeigt.

Haisenko_csm_P1030569_492fb9a689Obwohl mit der Tarifauseinandersetzung in der Stahlbranche massive Warnstreiks einhergegangen sind, fand dieser Arbeitskampf nicht den Weg auf die Titelseiten, genauso wenig wie das beschämende Ergebnis. Nur im Videotext des ZDF konnte ich etwas darüber erfahren. War das vielleicht deswegen, weil der Ausgang von vornherein feststand und nun wirklich nicht als Erfolg verkauft werden konnte?

Betrachtet man die Meldung, ist es nur noch ekelhaft, mit welcher Chuzpe hier eine Gehaltsminderung als Erfolg dargestellt wird. Ein „deutliches Lohn- und Gehaltsplus“ wird angesagt, aber wer rechnen kann, sieht das Gegenteil. Vier Prozent auf zwei Jahre. Das sind zwei Prozent pro Jahr und das in einer Zeit, wo das Inflationsziel des EZB-Chefs Draghi von zwei Prozent gerade übertroffen wird. Die Managementebene wird sich mit fetten Boni dafür belohnen.

Der Westen hat nicht gelernt, mit Frieden umzugehen

Das gesamte Lohngefüge ist aus dem Ruder gelaufen. Arbeiter in der Dritten Welt werden mit Löhnen abgespeist, die sie knapp vor dem Verhungern bewahren und auch in Deutschland sind wir nicht weit davon entfernt. Wir können kaum Waren in die armen Länder liefern, weil sich die die einfachen Arbeiter nicht leisten können. Im reichsten Industriestaat wird über Mindestlöhne diskutiert.

Die Anzahl der Menschen, die über so viel Besitz verfügen, wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung ist innerhalb zwei Jahren von 82 auf nur noch acht geschrumpft. Millionen begeben sich auf Wanderschaft, weil sie zuhause keine Zukunft sehen können. Wie lange wird es dauern, bis der nächste „Sturm auf die Bastille“ stattfindet?

Deutschland, der Westen, hat nicht gelernt mit Frieden umzugehen. Wir sind unfähig, fatale Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen und notwendige Reformen anzugreifen. Das Finanzsystem ist außer Kontrolle, eigentlich schon lange tot. Sehr wenige beuten sehr viele aus und beherrschen die Politik mit ihren immensen Geldmassen. Die Welt braucht einen „reset“! Wollen wir wirklich erst darauf warten, bis die große Katastrophe diesen herbeiführt? Ein großer Krieg zu einem Neuanfang zwingt? Haben wir nichts gelernt?

Wir brauchen faire Gehaltsstrukturen

Die Industrie 4.0 hat bewirkt, dass das komplette Gesellschaftsmodell neu durchdacht und gänzlich neu gestrickt werden muss. Dazu gehört selbstverständlich eine Neubewertung der Gehaltsstrukturen, die den Respekt vor jeder Art von Arbeit beinhaltet. Nein, Gleichmacherei brauchen wir nicht, aber eine Struktur, in der man auch von einfachen Tätigkeiten leben kann.

Ein Finanzsystem, das Zinsgier einfach nicht mehr zulässt und ausschließt, dass Reiche immer reicher werden, ohne wirklich etwas zu leisten. Ein System, das es auch „kleinen Leuten“ gestattet, ohne Angst vor Altersarmut in die Zukunft zu blicken.

Seit Donald Trump Tabuthemen rücksichtslos an die Oberfläche gezerrt hat, beginnen sogar manche „Wirtschaftsweise“ an ihrem alten Dogma zu zweifeln, das immer neue Rekorde des deutschen Außenhandelsüberschusses gefeiert hat. Was aber bedeutet der deutsche Überschuss wirklich? Die deutschen Waren sind zu billig! Warum sind sie das? Ganz einfach, weil gerade die unteren Einkommen zu niedrig sind.

In anderen Worten, die Wertschätzung für einfache Arbeiten ist in Deutschland – und anderswo – völlig abhanden gekommen. Gälten die Regeln der Marktwirtschaft, müssten die Löhne – und damit die Preise für deutsche Produkte – solange steigen, bis wir eine ausgeglichene Handelsbilanz haben, wegen sinkender Nachfrage. Dabei müssten auch reduzierte Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich aus dem Tabu genommen werden.

Die „Nieten in Nadelstreifen“ vom hohen Ross holen

Verdoppeln wird man die Löhne nicht müssen, aber ungefähr dreißig Prozent wären richtig. Mit diesem Lohnniveau wäre gleichzeitig das Rentenproblem gelöst. Die gesellschaftliche Stellung, die Wertschätzung einer Person, wird zunehmend an seinem Einkommen festgemacht. Wie viel besser würden sich „einfache“ Menschen fühlen dürfen, wenn sie auch durch ihre Bezahlung Wertschätzung erfahren dürften? Wie schön wäre es, wenn die „Nieten in Nadelstreifen“ mit ihren exorbitanten Einkommen durch angemessen niedrigere, also leistungskonforme, Bezahlung von ihrem hohen Ross geholt würden?

Haisenko_v.Brunn_Humane MarktwirtschaftDass die Bezahlung der Näherinnen in Bangladesch nicht angemessen ist, darüber dürfte es keinen Dissens geben. Flugkapitäne und Chirurgen? Sie müssen oftmals in Sekundenbruchteilen Entscheidungen über Leben und Tod treffen. Kein Manager, Kaufmann, Bankster oder Politiker kennt ähnlich prekäre Entscheidungssituationen, aber sie nehmen für sich in Anspruch, ein Recht auf noch höhere Bezahlung zu haben. Wie gesagt, Gleichmacherei kann kein Ziel sein, aber wir müssen zurückfinden, zu einer Bezahlungsstruktur, die dem natürlichen Empfinden der Menschen annähernd gerecht wird.

Dazu gehört auch, dass leistungslose Einkommen aus Kapital höher besteuert werden müssen, als produktive Arbeit oder Dienstleistung. Und damit bin ich wieder bei der Humanen Marktwirtschaft nach Haisenko/von Brunn, die Lohnsteuer gänzlich abschafft, dafür Kapitaleinkünfte umso höher besteuern will. Beschäftigen Sie sich mit diesem jederzeit realisierbaren Modell für ein gerechtes Wirtschafts- und Finanzsystem und Sie werden erkennen, dass dieses revolutionäre System nahezu alle Probleme lösen wird.

Nach dreißig Jahren als Lufthansapilot ist Peter Haisenko seit 2004 tätig als Autor und Journalist. Er gründete den Anderwelt Verlag. www.anderweltonline.com/

Was würde geschehen, wenn die Löhne in der Dritten Welt drastisch erhöht würden? Lesen Sie dazu: Kinderarbeit ist ein Luxusproblem



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion