Irak: Ohne Soleimani steigen Chancen, dass das Land sich gegen iranische Einflüsse wehren kann

Es ist noch nicht abzusehen, wie sich die Ausschaltung des Kommandanten der Al-Quds-Brigaden, Qassem Soleimani, auf die Lage im Irak auswirken wird. Teheran ist jedoch unter Zugzwang: Die jüngsten Proteste im Land galten auch der iranischen Einmischung.
Titelbild
Plakate mit dem Bildnis von Qasem Soleimani in Teheran am 3. Januar 2020.Foto: ATTA KENARE/AFP über Getty Images
Epoch Times6. Januar 2020

Die Ausschaltung Qassem Soleimanis, des Kommandanten der Al-Quds-Brigaden, der Eliteeinheit der in den USA als terroristische Organisation eingestuften Iranischen Revolutionsgarden, könnte im von regierungskritischen Protesten heimgesuchten Irak zum Game Change werden. Das meinen führende Experten, die mit der englischen Ausgabe der Epoch Times sprachen. Die Proteste richten sich unter anderem gegen die Einmischung des Iran im Nachbarstaat.

Soleimani sei dabei der entscheidende Faktor hinter Teheran-hörigen Politikern im Irak gewesen, erklärt Nahostanalyst Sam Bazzi vom „Islamischen Anti-Terrorismus Institut“ und der Hisbollah Watch. „Er verfügte über eine Menge an politischem Gewicht und Einfluss unter den regionalen Proxys und politischen Verbündeten. Sein Tod kommt zu einer Zeit, da der Irak gespalten ist und sich anschickt, einen neuen Premierminister zu wählen.“

Auch war die politische Macht Soleimanis im Irak sichtbar – bereits am Tag nach Beginn der Proteste flog Soleimani spät nachts nach Bagdad und reiste mit einem Helikopter weiter in die schwer bewachte Grüne Zone, wo er zur Überraschung des Sicherheitspersonals auf dem Stuhl des Premierministers einem Treffen vorsaß.

Soleimani wollte irakische Proteste im Irak wie im Iran niederschlagen

Soleimanis gilt als Architekt des regionalen Sicherheitsapparats. Sein Eintreffen machte deutlich, dass Teheran die Proteste mit Sorge betrachtet, die nicht nur in der Hauptstadt selbst, sondern auch in schiitischen Hochburgen des Irak auftraten – und unter anderem Rufe nach einem Ende der Einmischung des Iran in die Angelegenheit des Landes beinhalteten.

Verstärkt wurden die Proteste durch lokale Krisenereignisse und sie richteten sich hauptsächlich gegen die politischen Eliten. Sie stellte auch eine Herausforderung für den Iran dar, der eine enge Beziehung zur irakischen Regierung und zu mächtigen bewaffneten Gruppen im Land unterhält. Dass mit zunehmender Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen wurde, steigerte die Furcht vor einem Eingreifen des Iran und seiner Verbündeten.

„Im Iran wissen wir, wie man mit Protesten umgeht“, soll Soleimani irakischen Spitzenbeamten gegenüber erklärt haben. Das berichteten zwei Teilnehmer an dem Geheimtreffen in der Grünen Zone unter Zusicherung der Anonymität gegenüber Associated Press. „Das ist auch im Iran passiert und wir haben es unter Kontrolle bekommen.“

„Tod Soleimanis bedeutender als jener der Führer von IS und Al-Kaida“

Über die politische Bedeutung des Todes Soleimanis erklärte Kanishkan Sathasivam, politischer Analyst und Leiter des William H. Bates Center for Public & Global Affairs an der Salem State University, gegenüber der Epoch Times, dass dieser „mit Sicherheit die gefährlichste Figur im gesamten Mittleren Osten war und sein Tod bedeutender ist und noch größere Wirkung entfaltet als die Ausschaltung der Führer von Al-Kaida und ISIS.“

Sathasivam erwartet nun, dass der Iran über die von ihm gesteuerten „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMF) die Regierung in Bagdad nun unter Druck setzen werden, die diplomatischen Beziehungen zu den USA abzubrechen und amerikanische Truppen des Landes zu verweisen. Dies könnte jedoch die Proteste weiter anstacheln.

Ich möchte aber auch auf die Tatsache hinweisen, dass es sowohl im Irak als auch in Syrien und sogar im Iran mehrere große Freudenkundgebungen anlässlich des Todes Soleimanis gegeben hat. Für viele Leute war er ein Hassobjekt. Und auch die jüngsten Anti-Regierungs-Kundgebungen im Irak haben regelmäßig auch Missfallensbekundungen gegen Soleimani beinhaltet.“

Antiiranische Schiiten im Irak könnten sich beflügelt fühlen, meint Sathasivam. Im Iran werde sich das Regime um die Möglichkeit einer Vergeltung auf gleich hoher Ebene bemühen.

Militär muss seine Chancen nutzen

Joseph A. Kechichian, Senior Fellow am König-Faisal-Zentrum für Forschung und Islamische Studien in Riad (Saudi-Arabien), erklärte gegenüber der Epoch Times, Soleimanis Tod könne auch die Art und Weise verändern, wie das proamerikanische irakische Militär agiere.

Eine bedeutende Schwächung der proiranischen schiitischen Führung wird jetzt dazu führen müssen, dass die Armee ihre nationalistischen Verdienste betont, statt nach der Geige Teherans zu spielen. Das Militär, das bisher stark von den USA abhängig ist, wird sein Profil schärfen müssen und kann dann vielleicht eine tragende Rolle in politischen Angelegenheiten spielen.“

Ali Baker, politischer Analyst des Think-Tanks Carnegie Middle East in Ankara, unterstreicht Kechichians Einschätzung: Ohne Soleimani werden sich der Irak und seine Sicherheitskräfte weniger stark zurückhalten, wenn es um die Klärung interner Machtfragen geht. Viele irakische Spitzenbeamte waren mit ihm verbunden. Baker fügt hinzu:

„Die Ausschaltung des starken Milizenführers Abu el Mahdi el Muhandis wird seine Auswirkungen auf die PMF haben. Sollte der Iran jetzt nicht noch aggressiver vorgehen, um den Ausfall Soleimanis zu kompensieren, wird der Druck auf den Irak geringer werden.“

Proteste richteten sich auch gegen Bevormundung aus Teheran

Politischen Analysten zufolge sei der Ausgang der nächsten Parlamentswahlen im Irak sehr ungewiss und es gäbe eine Vielzahl an relevanten Faktoren.

Soleimanis Tod könnte sich durchaus auswirken, da dieser eine bedeutende Rolle bei der Niederschlagung der jüngsten Anti-Regierungs-Proteste spielte. Baker meint:

Der Ausgang der nächsten Parlamentswahlen wird nach meiner Einschätzung einen stärkeren Bezug zu den Protesten der Iraker haben, die in den letzten beiden Monaten des Jahres 2019 ausgebrochen waren. […] Diese Proteste richteten sich klar gegen ausländische Einflussnahme und Einmischung.“

Die neue irakische Regierung werde, so Baker, „die Ambitionen und Hoffnungen der Iraker und nicht die iranischen Interessen repräsentieren“.

Bazzi wiederum geht auf eine weitere politische Dimension der jüngsten Entwicklungen ein, die mit der Tötung eines US-amerikanischen Servicemitarbeiters bei einem Angriff auf eine irakische Militärbasis durch die Gruppe „Kataib Hisbollah“ ihren Ausgang nahm.

Konfessionelle Unterschiede werden weiter eine Rolle spielen

„Tatsächlich kann der Tod des amerikanischen Vertragspartners absichtlich oder unabsichtlich herbeigeführt worden sein“, meint der Analyst. „Hat Teheran nur eine Provokation der US-Truppen angestrebt oder wollte man eine größere Krise auslösen als Prätext für seine Verbündeten im irakischen Parlament, damit diese den Rückzug der US-Truppen aus dem Irak fordern? Teheran würde nichts lieber sehen als einen Rückzug von US-Truppen aus der Region, insbesondere aber aus dem Irak und aus der Golfregion.“

Kechichian hingegen ist skeptisch, was den Einfluss der Todes Soleimanis auf die erwarteten irakischen Wahlen anbelangt – und wenn, würde dies einem anderen Umstand nutzen, der in jüngster Zeit weniger Beachtung gefunden hätte: „Der Einfluss wird gering sein, weil die überwiegende Mehrheit weiterhin an ihren konfessionell beeinflussten Präferenzen festhalten wird. Sollte der Iran im Irak tatsächlich an Einfluss verlieren, was möglich ist, was zu bestätigen allerdings auch verfrüht ist, könnten die bevorstehenden Wahlen auch den relativ wenig beachteten kurdischen Faktor stärken.“

„Obama hat Teheran das Land auf dem Silbertablett serviert“

Die Experten sehen in der Ausschaltung Soleimanis sowohl politische Chancen als auch Herausforderungen für die Regierung von Donald Trump und ihre Irak-Politik, denn langfristig wollen die USA den Irak stärken.

Abseits der Eliminierung eines der bekanntesten Feinde der USA, der selten seine Verachtung gegenüber allem Amerikanischem verborgen habe, sei Washington nun gefordert, seine Langzeitinteressen mit Bedacht weiterzuverfolgen, da diese sich mit denen des irakischen Volkes deckten.

Dieses bleibe argwöhnisch gegenüber den Absichten der Amerikaner, erklärt Kechichian.

Man hat wohl nicht vergessen, dass es die proiranische Politik der Regierung Obama war, die Teheran das Land auf dem Silbertablett serviert hatte, bevor Trump eine Kehrtwende einleitete. Werden die Iraker den Amerikanern wieder vertrauen und können die USA es sich leisten, die Zuversicht von so vielen wieder zu enttäuschen?“

Offenes Zeitfenster für mehr Souveränität

Baker meint, es sei schwierig vorauszusagen, wie sich die Lage der USA im Irak entwickeln werde, aber es sei zutreffend, dass das irakische Volk die Unterstützung durch die USA brauche:

„Taktisch gesehen mag es den Anschein haben, dass sich der jüngste Schritt der USA problematisch mit Blick auf die Beziehungen zum Irak auswirken könnte. Allerdings könnte das Fehlen Soleimanis ein Zeitfenster öffnen, das es dem Irak erlaubt, zur rechten Zeit der iranischen Einflussnahme im Nachbarland entgegenzuwirken. Es ist schwer zu sagen, wie sich in einem solchen Umfeld die Lage entwickeln wird, aber es besteht kein Zweifel daran, dass der Irak derzeit die USA immer noch braucht.“

Bazzi sieht Chancen für Trump, die Lage im Irak zu beeinflussen: „Jetzt, wo er [Soleimani] weg ist, kann die Trump-Regierung die Kandidaten ihres Vertrauens unterstützen und zu einer Wende im Land weg von Teheran und hin zu Washington ermuntern.“

Allerdings sei Vorsicht gefragt, denn der Iran und seine Proxys haben Vergeltung angekündigt – auch auf politischem Wege im Irak selbst. Bazzi schlussfolgert:

„Augenscheinlich hat die Tötung von General Qassem Soleimani die Haltung des iranischen Regimes verhärtet. Teheran und seine Verbündeten machen keinen Hehl aus ihrem Verlangen nach Vergeltung. Das wird dazu führen, dass das Regime auch politisch zurückschlagen will und seine Anhänger im Irak dazu zu bewegen sucht, mittels parlamentarischer Gesetzgebung, diplomatischen Drucks und öffentlicher Proteste den Abzug der US-Truppen aus dem Land zu fordern.“

Der Originalartikel erschien in The Epoch Times USA (deutsche Bearbeitung von rw)
Originalfassung: Soleimani’s Death Could Be a Political Game Changer Inside Iraq, Say Experts)



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