Ischinger: „Ohne Nato würden wir von einem 3,5-Prozent-Ziel beim Verteidigungsetat reden“

Vor dem Hintergrund des deutlichen Verfehlens des Zwei-Prozent-Ziels bei den deutschen Verteidigungsausgaben äußert der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Verständnis für den Unmut, den dies in den USA hervorruft. Allerdings solle auch Washington die Nato als „politisches Wertebündnis“ begreifen.
Titelbild
Der Brigadeführer von Iron Wolf, Steponauvicius Mindaugas, übergibt beim Übergabeappell die Natoflagge an Peter Papenbroock, Bundeswehr-Oberstleutnant und neuer Kommandeur der EFP Battlegroup in Litauen.Foto: Arne Immanuel Bänsch/dpa
Von 1. April 2019

In einem Interview mit der „Welt“ hat der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, eingeräumt, dass die Bundesregierung der innerhalb der Nato geltenden Verpflichtung, mit zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zur kollektiven Verteidigung beizutragen, selbst zugestimmt hat.

Die Vereinbarung stammt aus dem Jahr 2014, als die Nato ihren Gipfel in Wales abgehalten hatte. Ihr zufolge sollen alle Mitgliedsländer spätestens von 2024 an diesen Anteil an ihrer Wirtschaftsleistung für Rüstung und Militär ausgeben. Zuletzt hatte es heftige Kontroversen gegeben, nachdem der US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, unmissverständlich darauf hingewiesen hatte, dass die Bundesregierung weit davon entfernt sei, dieses Ziel einzuhalten.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki hat daraufhin gefordert, Grenell zur „unerwünschten Person“ zu erklären und in diesem Zusammenhang die Worte „Hochkommissar einer Besatzungsmacht“ benutzt. Die Linksfraktion will gar im Bundestag über die Ausweisung des Diplomaten beraten lassen. Dass es im politischen und medialen Mainstream als schicklich gilt, auf maximalen Konfrontationskurs zum „populistischen“ US-Präsidenten Donald Trump und dessen Vertrauten zu gehen, dürfte allfällige Hemmungen in der Wortwahl minimiert haben.

Deutschland hat der Nato-Zielmarke mehrfach zugestimmt

Als die Bundesregierung unter dem Eindruck der Ukrainekrise dem Zwei-Prozent-Ziel zustimmte, hieß der US-Präsident jedoch noch Barack Obama – und Ischinger erinnert daran, dass Anfang der 1980er Jahre, als er selbst an der deutschen Botschaft in Washington tätig war, sogar noch drei Prozent als der Richtwert innerhalb der Nato galten. Mittlerweile ist der Kalte Krieg jedoch beendet und das Bündnis auch größer geworden.

„Ich bin nicht der Meinung, dass das Zwei-Prozent-Ziel ein vernünftiges Kriterium für die notwendige Größe der Bundeswehr und die deutsche militärische Leistungsfähigkeit ist“, meint der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. „Aber das ist eine Zielmarke der Nato, der wir zugestimmt haben. Und zwar mehrfach. Also müssen wir uns die auch entgegenhalten lassen.“

Mittlerweile habe die Bundesregierung entgegen ihrer Zusage beschlossen, nur 1,5 Prozent als realistische Größe ins Auge zu fassen. In der mittelfristigen Finanzplanung bis 2023 seien gar nur 1,25 Prozent vorgesehen.

Ischinger klagt jedoch auch selbst über den neuen Ton, der vonseiten Washingtons gegenüber den Bündnispartnern eingekehrt ist, seit Donald Trump im Weißen Haus sitzt. Trump hatte den Europäern gegenüber deutlich gemacht, dass es einen finanziellen und militärischen Blankoscheck vonseiten der Amerikaner innerhalb der Nato nicht mehr geben werde und dass die Partner künftig auch selbst einen angemessenen Beitrag zur kollektiven Verteidigung leisten müssten.

Wer wird bei so viel an Werten nach den Kosten fragen?

„Allein dieses Thema aufzuwerfen sticht ins Herz des Bündnisses“, meint Ischinger. „Weil es die Idee der Allianz infrage stellt: Ist die Nato noch ein politisches Wertebündnis, bei dem wir füreinander einstehen? Haben wir noch dieselben Grundüberzeugungen, sind wir eine Gemeinschaft, sind wir noch der Westen? Oder sind wir jetzt ein kommerzieller Verein, der sich gegenseitig Rechnungen schreibt?“

Zudem wären die mehr als 30 000 US-Soldaten, die derzeit noch in Deutschland stationiert sind, „nicht mehr in erster Linie zu unserem Schutz hier“. Die Air Base in Ramstein oder das Militärkrankenhaus in Landstuhl dienten „der amerikanischen Machtprojektion und den in anderen Teilen der Welt stationierten Soldaten“. Sie seien deshalb vor allem für die USA selbst von strategischem Nutzen.

Andererseits würde die Bundesregierung unterschätzen, „welchen Frust unsere 1,5-Prozent-Ansage in Washington und Brüssel auslöst“. Die USA beklagten in diesem Zusammenhang nicht nur die großen Handelsbilanzüberschüsse, sondern auch, dass Deutschland durch seine Beteiligung an Nord Stream 2 „den Russen durch den Kauf von Gas die Finanzmittel verschaffen, mit denen sie ihre militärische Rüstung vorantreiben können“.

Schwerer Gang für den Außenminister

Außerdem unterminiere die deutsche Zurückhaltung auch die Bereitschaft anderer Nato-Mitgliedsländer, ihre Zwei-Prozent-Zusagen einzuhalten. Dass das reiche Deutschland seine diesbezügliche Verpflichtung nicht einhalte und man dort meine, auch 1,5 Prozent würden als Beitrag ausreichen, mache es in armen Ländern noch schwieriger, die zwei Prozent durchzusetzen.

Am 4. April feiert die Nato ihr 70-jähriges Gründungsjubiläum. Aus diesem Anlass werden sich die Außenminister in Washington treffen. Für Deutschlands Außenminister Heiko Maas werde dies ein schwieriger Gang, erwartet Ischinger.

Trotz der derzeitigen Unwägbarkeiten sei die Nato jedoch eine „beispiellose Erfolgsgeschichte“. Neben Schutz in der Zeit des Kalten Krieges und Frieden in Europa habe sie in entscheidender Weise zur Nichtverbreitung nuklearer Waffen beigetragen. Ohne die Nato hätte eine Reihe von unerwünschten Entwicklungen Platz gegriffen, meint Ischinger:

„Was wäre denn gewesen, wenn man die Nato 1949 nicht gegründet und die USA nicht ihren Nuklearschirm über die Alliierten erstreckt hätten? Dann wäre die Türkei heute vermutlich atomar bewaffnet, einige weitere Staaten vermutlich auch, darunter vielleicht auch die Bundesrepublik Deutschland. Der von den USA glaubwürdig garantierte nukleare Schutzschirm hat die deutsche Unterschrift unter den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag trotz der Bedrohung aus der ehemaligen Sowjetunion erst möglich gemacht.“

Ohne Nato-Schirm „blind, taub und wehrlos“

Vor allem würde man ohne das Bündnis noch über ganz andere Größenordnungen des Verteidigungsetats reden:

„Ich sage es mal grob überschlagen: sicher locker das Doppelte. Dann wären wir nicht bei 1,5 Prozent, dann wären wir bei 3 oder 3,5 Prozent. Weil wir sonst völlig blind, taub und wehrlos wären.“



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion