Israels umstrittene Justizreform – Außenministerin Baerbock soll „Deutschlands Sorgen vor Ort vorbringen“

Vor dem Hintergrund des Machtspiels um Israels Justizreform setzt die Union Außenministerin Annalena Baerbock unter Druck. Sie soll nicht nur Bedauern zeigen, sondern vor Ort reisen. Laut Unionsfraktionschef Wadephul repräsentiere das Land die einzig funktionierende Demokratie in der Region, die nun gefährdet sei.
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Der israelische rechtskonservative Premierminister Benjamin Netanjahu hält die Justizreform für notwendig, um das Gleichgewicht zwischen den drei Regierungsorganen wiederherzustellen.Foto: Haim Zach/Prime Minister of Israel/dpa
Von 26. Juli 2023

Das israelische Parlament hat am 24. Juli 2023 einen Teil der Justizreform verabschiedet, die seit Monaten massive Demonstrationen in Israel auslöst. Nun fordert der stellvertretende Unionsfraktionschef Johann Wadephul (CDU) Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) auf, sich vor Ort in Jerusalem einzubringen.

„Die Bundesregierung muss mehr Engagement zeigen“, sagte Wadephul den Zeitungen des „RedaktionsNetzwerks Deutschland“ vom Mittwoch. „Der Ausdruck von Bedauern ist keine Außenpolitik“, sagte der Außenexperte – und fügte hinzu: „Warum reist die Außenministerin nicht ad hoc nach Israel und trägt unsere Sorgen und Bedenken vor?“

Israel habe seine Partnerschaft mit dem Westen stets mit seiner Alleinstellung als einzige funktionierende Demokratie in der Region begründet, sagte Wadephul. „Diese gemeinsame Basis sollte Netanjahu nicht aus dem Blick verlieren.“

Laut Wadephul könne man nur „ein Land unterstützen, welches bei allen politischen Differenzen im Kern zusammensteht“. Durch dauerhafte Instabilität werde Israel „ein wankender sicherheitspolitischer Pfeiler in einer krisengeschüttelten Region“.

Den Obersten Gerichtshof einschränken

Die Justizreform soll unter anderem die Möglichkeiten des Obersten Gerichtshofs einschränken, Parlamentsbeschlüsse anzufechten. Sie ist Teil eines umfassenderen Vorschlags der Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu, die Macht der Exekutive des Landes zu stärken.

Der 73-jährige Netanjahu und seine Verbündeten halten die Änderungen für notwendig, um die Befugnisse nicht gewählter Richter einzuschränken und das Gleichgewicht zwischen den drei Regierungsorganen wiederherzustellen. Das Gesetz spaltet das Land seit Monaten. Die Gegner sagen, das Gesetz bedrohe die Demokratie; die Befürworter argumentieren, es schütze den Willen der Wahlmehrheit.

Die am 24. Juli verabschiedete Bestimmung untersagt es Richtern, Entscheidungen der Regierung als „extrem unvernünftig“ zu beanstanden. Das heißt, dass der Oberste Gerichtshof nicht mehr in der Lage ist, Entscheidungen, wie zum Beispiel die Entlassung von Beamten, zu überprüfen, weil sie vielleicht unangemessen sind.

Das Gesetz wurde mit 64:0 Stimmen verabschiedet, nachdem die Gegner das Parlament verlassen hatten und die Abstimmung boykottierten hatten. Bei der ersten Verfahrensabstimmung am 11. Juli hatten ebenfalls 64 dafür gestimmt, aber 56 waren dagegen.

Gesetz laut linksgerichteter Bewegung verfassungswidrig

Justizminister Yariv Levin, Verfasser der Reform, erklärte, das Parlament habe den „ersten Schritt in einem wichtigen historischen Prozess“ zur Umgestaltung des Justizwesens getan.

Weitere Bestandteile des Plans seien ein Gesetzentwurf, der es einer Mehrheit des Parlaments ermöglichen würde, Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs aufzuheben. Darüber hinaus gibt es eine Bestimmung, die es dem Parlament ermöglichen würde, Richter auszuwählen.

Die linksgerichtete „Bewegung für eine qualitativ hochwertige Regierung“ (Movement for Quality Government) richtet sich gegen das neue Gesetz. Die Bewegung forderte das höchste Gericht des Landes auf, gegen die Reform vorzugehen, da sie angeblich verfassungswidrig sei.

„Die Regierung der Zerstörung hat ihre bösartige Hand gegen den Staat Israel erhoben und droht, alles zu zerstören, was wir hier in den letzten fünfundsiebzig Jahren aufgebaut haben“, sagte Eliad Shraga, der Vorsitzende der Bewegung, in einer Erklärung.

Oppositionsführer Lapid: „Wir steuern auf eine Katastrophe zu“

Weitere Kritiker sagen, die Justizreform sei unnötig und würde durch persönliche und politische Missstände bei Netanjahu und seinen Partnern geschürt. Dieser stand wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht.

Demonstranten haben gegen die geplanten Änderungen protestiert und unter anderem eine Straße blockiert, die zum Parlament führt. Einige Unternehmen, darunter auch Tankstellen, schlossen aus Protest vor der Abstimmung. Und Tausende Militärreservisten haben erklärt, dass sie den Dienst verweigern.

„Wir steuern auf eine Katastrophe zu“, sagte Jair Lapid, Oppositionsführer im Parlament, bevor das Gesetz verabschiedet wurde. Nach der Abstimmung sagte Lapid: „Dies ist ein vollständiger Bruch der Spielregeln. Die Regierung und die Koalition können zwar entscheiden, in welche Richtung der Staat gehen soll, aber sie können nicht den Charakter des Staates bestimmen.“ Dies berichtete die „Times of Israel“.

Netanjahu wurde am Wochenende zuvor ins Krankenhaus eingeliefert und bekam einen Herzschrittmacher. Nur wenige Stunden vor der Abstimmung wurde er entlassen und traf im Parlament ein, um die Abstimmung mitzuverfolgen. Seine Ärzte hatten am 23. Juli bestätigt, dass die Operation reibungslos verlaufen sei. Auch der Premierminister sagte in einer kurzen Videoerklärung aus dem Krankenhaus, er fühle sich gut.

USA für Überarbeitung des Gesetzes

US-Präsident Joe Biden, dessen Demokratische Partei die Einschränkung der Macht des Obersten Gerichtshofs der USA befürwortet, sagte, Israel solle sich um einen Konsens für die Überarbeitung bemühen. „In Anbetracht der zahlreichen Bedrohungen und Herausforderungen, mit denen Israel derzeit konfrontiert ist, macht es für die israelische Führung keinen Sinn, dies zu überstürzen – der Schwerpunkt sollte darauf liegen, die Menschen zusammenzubringen“, sagte Biden in einer Erklärung für die Medien.

Biden und Netanjahu hatten das Thema bereits bei einem Telefonat im Juli besprochen. Denn Netanjahu hatte die Überarbeitung zuvor im März abgebrochen. Dabei stand er unter starkem Druck von Demonstranten und Arbeiterstreiks, die den Flugverkehr zum Erliegen brachten und Teile der Wirtschaft lahmgelegt hatten. Nachdem die Gespräche über einen Kompromiss gescheitert waren, sagte er, dass seine Regierung die Überarbeitung fortsetzen werde.

„Wir haben drei Monate lang einen kontinuierlichen Dialog geführt. Die Koalition hat der Opposition eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, einen Vorschlag nach dem anderen, drei Monate lang, kontinuierlich. Aber zu meinem großen Bedauern wurde die Hand, die den Führern der Opposition gereicht wurde, nicht ergriffen“, sagte Netanjahu in einer Erklärung.

Oppositionsführer Lapid sagte diese Woche, dass die Unterhändler nicht in der Lage gewesen seien, eine Einigung zu erzielen. „Unsere Hauptbedingung war es, die israelische Demokratie zu schützen, aber mit dieser Regierung ist es unmöglich, Vereinbarungen zu treffen, die die israelische Demokratie bewahren“, sagte Lapid nach Angaben lokaler Medien vor Reportern.

Der israelische Staatspräsident Isaac Herzog erklärte am 24. Juli in einer kurzen Erklärung, dass Beamte „rund um die Uhr“ daran arbeiteten, eine Lösung für die Kluft zwischen den Parteien zu finden. „Die Bürger Israels sehnen sich nach Hoffnung und erwarten Verantwortung und Führung“, sagte er. „In diesen entscheidenden Stunden rufe ich die gewählten Vertreter auf, mutig zu handeln und die Hand auszustrecken, um zu einer Verständigung zu gelangen.“

(mit Material von afp und The Epoch Times)



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