Italiens Ministerpräsident Draghi tritt zurück − Staatspräsident Mattarella lehnt ab
In einer durch die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) ausgelösten Regierungskrise in Italien hat Staatspräsident Sergio Mattarella das Rücktrittsgesuch von Ministerpräsident Mario Draghi abgelehnt. Mattarella habe „den Rücktritt nicht akzeptiert und den Ministerpräsidenten aufgefordert, eine Erklärung vor dem Parlament abzugeben“, teilte der Präsidentenpalast am Donnerstagabend mit. Draghi hatte zuvor seinen Rücktritt angekündigt.
Präsident Mattarella ist gegen frühzeitige Neuwahlen. Laut Medienberichten plant Draghi, kommende Woche eine Parlamentsmehrheit ohne die bisher an der Regierungskoalition beteiligten M5S zu suchen. Die Legislaturperiode endet in Italien planmäßig im kommenden Jahr.
Draghi überstand Vertrauensabstimmung
Die Krise hatte die M5S durch den Boykott einer mit dem Votum über ein Konjunkturpaket verbundenen Vertrauensabstimmung im Senat ausgelöst. Draghi überstand die Abstimmung trotzdem. Er hatte zuvor aber gewarnt, dass er die im Februar 2021 gebildete Einheitsregierung ohne Unterstützung der Fünf-Sterne-Bewegung nicht weiter führen würde.
In seiner Rücktrittsankündigung erklärte der Ministerpräsident, die Voraussetzungen für eine Fortführung der Regierungskoalition seien „nicht mehr gegeben“, der „Vertrauenspakt, auf dem diese Regierung beruhte“, habe sich „aufgelöst“.
Draghi hatte sein Amt angetreten, nachdem die Regierungskoalition seines Vorgängers, des heutigen M5S-Chefs Giuseppe Conte, auseinandergebrochen war. Draghi, der zuvor bis 2019 die Europäische Zentralbank (EZB) geleitet hatte, stand einem Bündnis aus Parteien von links bis rechts außen vor, das die Corona-Krise und die daraus folgende Wirtschaftskrise bewältigen sollte. Nach Draghis Ansicht wäre seine Koalition ohne Beteiligung der M5S keine Einheitsregierung mehr – und würde somit nicht mehr seinem Regierungsauftrag entsprechen.
Draghi bekräftigte diese Ansicht auch in seiner Rücktrittserklärung. Er habe seit seiner Antrittsrede im Parlament „immer gesagt, dass diese Regierung nur fortbesteht, falls sie eine Aussicht darauf hat, das Programm umzusetzen, für das ihr die beteiligten Parteien das Vertrauen ausgesprochen haben.“ Diese Voraussetzungen „existieren nicht mehr“.
Fünf-Sterne-Bewegung will Konjunkturpaket nicht zustimmen
Bei dem Votum am Donnerstag ging es um ein Konjunkturpaket im Umfang von 23 Milliarden Euro, das Familien und Unternehmen bei der Bewältigung der Inflation helfen soll. Zur Abstimmung stand auch eine Maßnahme, die den Bau einer Müllverbrennungsanlage in Rom erleichtern soll. Dies lehnt die Fünf-Sterne-Bewegung jedoch vehement ab, da sie Müllverbrennungsanlagen als zu „teuer“ und „umweltschädlich“ betrachtet.
„Heute nehmen wir nicht an der Abstimmung dieses Gesetzesdekrets teil“, hatte die Fraktionschefin der M5S-Senatoren, Mariolina Castellone, vor dem Votum angekündigt. Sie begründete dies damit, dass das geplante Konjunkturpaket nicht ausreichend auf die Bedürfnisse des Landes eingehe.
Die Fünf-Sterne-Bewegung war mit 32 Prozent der Stimmen als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl 2018 hervorgegangen. Seitdem ist sie in den Umfragen aber auf Werte um zehn Prozent abgestürzt. Meinungsverschiedenheiten wegen des Ukraine-Kriegs führten außerdem zu einem Bruch innerhalb der Partei. Auf Initiative des ehemaligen Vorsitzenden der Bewegung und amtierenden Außenministers, Luigi di Maio, bildeten rund ein Drittel der Fünf-Sterne-Abgeordneten Ende Juni eine eigene Parlamentsfraktion.
Laut Wirtschaftswissenschaftler Lorenzo Codogno versucht die M5S mit der Auslösung der Regierungskrise nun, Sichtbarkeit zu erhalten. „Sie wollen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sein“, sagte Codogno der Nachrichtenagentur AFP.
Die Regierungskrise hatte deutliche Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Der wichtigste Aktienindex an der Mailänder Börse gab zwischenzeitlich um mehr als drei Prozent nach. Der sogenannte Spread – der Abstand zwischen den Zinsen auf italienische und deutsche Staatsanleihen – stieg am Donnerstagnachmittag auf 224 Punkte. Mitte Juni war er bereits auf 245 Punkte gestiegen, den höchsten Stand seit zwei Jahren. (afp/dpa/red)
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