Keinen Weltfrieden ohne Religionsfrieden?
Alle Religionen sind grundsätzlich dem Frieden verpflichtet. Selig sind die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden“, sagt Jesus . Ähnliche Zitate finden wir in allen Heiligen Schriften aller Religionen aller Zeiten. Im Islam heißt es: „Gott wird die Menschen zum Frieden führen. Wenn sie auf Ihn hören, so wird Er sie aus der Dunkelheit des Krieges zum Licht des Friedens führen .
Im Buddhismus: „Das Ziel aller sollte sein, Frieden zu erlangen und mit allen Mitteln in Frieden zu leben.“3 Im Konfuzianismus: „Frieden und Liebe sollten herrschen auf der ganzen Welt. Der Höchste Gott will den Frieden seiner Geschöpfe.“4 Im Hinduismus: „Gott ist ein Gott des Friedens und er wünscht den Frieden für alle Menschen.“5
Im Taoismus: „Der gute Herrscher sinnt auf Frieden und nicht auf Krieg, er regiert durch Überzeugungskunst, nicht durch Stärke.“6 Im Jainismus: „Alle Menschen sollten mit ihren Mitmenschen in Frieden leben. So ist es Gottes Willen.“7 Im Judentum: „Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen.“8 In der jüngsten Weltreligion, bei den Bahais: „Wir müssen Gott gehorchen und danach streben, Ihm zu folgen, in dem wir alle unsere Vorurteile hinwegtun und der Erde Frieden bringen.“9 Und schließlich im fernöstlichen Shintoismus: „Die Erde wird frei sein von Mühsal und die Menschen werden in Frieden leben, unter dem Schutze Gottes.“10
„Du sollst nicht töten“, gehört ebenso zum Urethos aller Religionen und Kulturen wie „Du sollst nicht stehlen“, nicht lügen, nicht ehebrechen und anderen Menschen mit Respekt begegnen.11 Das macht O.P. Ghai in seinem Buch unter den Stichworten „Liebe“, „Aufrichtigkeit“, „Courage“, „Verantwortung“ und „Gerechtigkeit“ mit entsprechenden Zitaten aus allen Weltreligionen deutlich. Zu Recht verweist Hans Küng seit 15 Jahren auf diesen Erfahrungsschatz der gesamten Menschheitsgeschichte und Religionen hin. In dem Buch „Gebete der Menschheit“12 wird aufgezeigt, dass auch die verlorengegangenen Religionen wie die der Inkas oder der Azteken ein ähnliches Urethos kannten.
Nun weiß jede Leserin und jeder Leser dieses Geo-Heftes, dass das Be- Kenntnis einer Religion und die tatsächliche Er- Kenntnis oder gar unser alltägliches Verhalten sehr verschieden sind. Das ist freilich nicht nur in den kirchlichen Gemeinschaften so, sondern darüber hinaus generell in unser aller Leben: Im Privatleben, in unseren Partnerschaften, im Beruf und in der Politik. Je mehr Liebesschwüre, desto mehr werden gebrochen. Wie sonst wären alle Kriege und Massenmorde zwischen Gesellschaften, alle Lügen in Politik und Gesellschaft, alle Tyrannei und Treulosigkeit, alle private und politische Ausbeutung, alle Sklaverei und Respektlosigkeit der Menschheitsgeschichte, aber auch der Religionsgeschichte zu erklären? Wie soll Religion je hilfreich sein, wenn in ihrem Namen bis heute der Massenmord in Kriegen für „heilig“ oder der Irak-Krieg des George W. Bush zum Kreuzzug erklärt wird? Wenn bislang über viele Tausend Jahre alle Ethik so oft zum Scheitern verurteilt war, wenn Menschen nun mal so sind wie sie sind und zwischen Lippenbekenntnissen und ihrem, unserem, tatsächlichen Verhalten ein so zum himmelschreiender Unterschied besteht, macht dann ein neues religiös motiviertes Weltethos überhaupt einen Sinn? Oder steckt auch dahinter nur eine weitere religiös übertünchte Illusion? Oder wieder nur „Opium für das Volk“, wie wohl Karl Marx Hans Küngs Weltethos nennen würde?
Küng meint, wenn sich die Welt globalisiert, dann braucht sie auch ein globales Ethos, so wie die früheren nationalen Wirtschaften allmählich zur globalisierenden Weltwirtschaft mutierten oder die früheren nationalen Innenpolitiken im Zeitalter des Terrorismus sich zur Weltinnenpolitik verändern. Ist diese Annahme zwingend und was könnte ein Weltethos tatsächlich bewirken? Kann die Bergpredigt doch Berge versetzen?
1990 hat der mit dem Papst in Streit lebende katholische Theologe Hans Küng sein „Projekt Weltethos“ als Taschenbuch vorgelegt.13 Wichtiger als weitere spitzfindige theologisch-dogmatische Auseinandersetzungen mit seinen Kirchenoberen schienen dem aus der Schweiz stammenden und in Tübingen lehrenden Theologen die Weltreligionen und der Weltfrieden und ihr Verhältnis zueinander.
Die Grundüberzeugungen des Küng“schen Weltethos:
- Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen.
- Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen.
- Kein Dialog zwischen den Religionen ohne Grundlagenforschung in den Religionen.
Die Zusammenfassung der Grundlagenforschung wurde eindrucksvoll in der „Erklärung zum Weltethos“ 1993 in Chicago verabschiedet, wo erstmals ein „Teilparlament der Weltreligionen“ tagte. Damit hatten sich alle Religionen auf Prinzipien eines Weltethos im Sinne von Hans Küng verständigt und verpflichtet. Kofi Annan hat 2001 Hans Küng eingeladen, sein „Weltethos“ vor der UN-Vollversammlung vorzustellen.
Er warb für eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben im Sinne Albert Schweitzers, für eine Kultur der Solidarität, Toleranz und Wahrhaftigkeit und für eine Kultur der Gleichberechtigung und Partnerschaft von Mann und Frau auf der ganzen Welt. Neben Kofi Annan erhält Hans Küng für seinen Weltethos-Projekt weltweit Unterstützung: vom Dalai Lama und Tony Blair, von Nelson Mandela und Michail Gorbatschow, von Hans-Dietrich Genscher und Horst Köhler. Seit 1995 gibt es die „Stiftung Weltethos“.
Horst Köhler sagte im Dezember 2004 in seiner „Weltethos“-Rede in Tübingen: „Dass uns der Fremde, der Arme, der Hungernde etwas angeht, das gehört zur Seele Europas, das ist europäische Tradition.“ Köhler nannte als Vertreter eines gelebten Weltethos: Den aus Umbrien stammenden Franz von Assisi, den Elsässer Albert Schweitzer, die Albanierin Mutter Theresa und den Breslauer Dietrich Bonhoeffer.
Ich habe Hans Küngs „Weltethos“ in den Zeiten der globalen Umweltzerstörung noch um eine globale Umweltethik erweitert.14 Brauchen wir nicht auch eine globale ökologische Ethik oder eine globale ökologische Spiritualität, um vielleicht noch die ganz große Zerstörung durch den Treibhauseffekt oder das Ozonloch zu verhindern? Schließlich führen wir heute nicht nur permanent und weltweit Kriege zwischen Gesellschaften, sondern zusätzlich einen Dritten Weltkrieg gegen die Natur.
Wenn die vielzitierte Philosophie von Karl Kraus „Es gibt nichts Gutes außer man tut es“ stimmt, dann brauchen wir ein neues Verständnis von Religion. Dann ist nicht mehr entscheidend, was wir glauben oder bekennen oder für wahr halten, sondern allein, was wir tun. Religion also nicht praktizierte Lippenbekenntnisse, sondern gelebte Wahrheit. Das wäre für die meisten zwar neu, aber doch nicht unmöglich.
Und bei diesem anstehenden Bewusstseinswandel könnte ein Weltethos zwar nicht die Lösung, aber doch eine hilfreiche Voraussetzung für einen Wandel sein. Zum Glück gibt es für diesen skeptischen Optimismus auch ganz konkrete Beispiele. Ganz im Sinne von Jesu Bergpredigt und im Sinne der Friedenslehre Buddhas und aller Religionen (siehe Anfangszitate) haben die Bürgerrechtler 1989 in Ostdeutschland und ganz Osteuropa mit ihrer Parole „Keine Gewalt“ die Welt positiv verändert sowie jüngst erneut die Opposition in der Ukraine und wohl demnächst in Weißrussland und irgendwann auch in China und Nordkorea.
Die friedlichen Revolutionen unserer Zeit sind ein ethischer Quantensprung, der tatsächlich erstmals einen Vorgeschmack auf die weltverändernde Kraft eines Weltethos gibt. Es ist auf Grund der Erfahrung Europas seit 1989 offensichtlich, dass Demokratie, Freiheit, Wohlstand, mehr Gerechtigkeit und Frieden auf der Basis einer ethisch begründeten und praktizierten Gewaltfreiheit kein hohles Pathos, sondern realisierbare und praktikable Politik von unten ist. Frieden und Freiheit sind begehrenswert. Ähnliche Beispiele lassen sich beim Umweltschutz und einer praktizierten Umweltethik aufzeigen.15
Die bisherige Menschheitsgeschichte lehrt uns, dass es zwischen geglaubter Ethik und gelebter Ethik Abgründe gibt. Europas Geschichte allein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Beweis dafür, wie schrecklich Religion und Ethik missbraucht werden können. Aber die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts lehrt gerade in Europa auch, dass wir aus Fehlern zu lernen vermögen. Küngs kühne Weltethos-Idee ist die charmante Gegenthese zum „Kampf der Kulturen“, den Politologen für das 21. Jahrhundert prognostiziert haben.
Jeder Realist weiß, dass mit der Proklamation eines „Weltethos“ allein die Welt nicht friedlicher oder gerechter oder freier wird. Aber würde sie es ohne „Weltethos“? Auch ein Weltethos kann nur ein Baustein im mühsamen Bemühen für eine bessere Welt sein, in der hoffentlich bald kein Kind mehr verhungern muss.
Dass dieser Planet nach UNO-Berechnungen 12 Milliarden Menschen ernähren könnte wie der „Hunger-Beauftragte“ der Vereinten Nationen, Jean Ziegler, in meiner „Grenzenlos“-Sendung behauptet hat16 , ist sicherlich ein deutlicher Hinweis darauf, dass es ein praktiziertes Weltethos heute noch nicht gibt. Denn täglich verhungern nach Angaben von Jean Ziegler mindestens 26.000 Menschen.
Aber sind deshalb Bemühungen wie Hans Küngs „Weltethos“, Michail Gorbatschows „Erdcharta“17 oder auch die neue Aktion „Globaler Marschallplan“18 nicht umso dringlicher? Diese ethischen Ansätze vermitteln wenigstens noch die Hoffnung auf eine bessere Welt. Die Hoffnung ist wahrscheinlich die wichtigste Voraussetzung für die Umsetzung dessen, was heute Weltethos heißt. Eine Welt ohne solche Visionen hätte überhaupt keine Zukunft.
Die Qualität einer Vision erweist sich freilich erst an der Ernsthaftigkeit, mit der sie realisiert wird. Michail Gorbatschow und Nelson Mandela haben uns immerhin am Ende des 20. Jahrhunderts ahnen lassen, welche Früchte ein politisches Weltethos reifen lassen kann. Und schon heute könnte uns das Weltethos lehren: Eine wirkliche Weltveränderung kann es nur durch Menschenveränderung geben. Der Mikrokosmos gleicht nicht nur dem Makrokosmos – er funktioniert auch ähnlich. Der Mensch und die Welt sind eins. Das ist unser Problem, aber auch unsere Chance.
Quelle: Franz Alt 2005
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