Klimagipfel in Glasgow: Rhetorik und Realität

Die Pläne der Staaten zum Klimagipfel COP26 sind freiwillige Selbstverpflichtungen und von der UNO nicht durchsetzbar. Ohne Russland und China sind kaum große Schritte machbar.
Titelbild
Der britische Premierminister Boris Johnson im Gespräch mit Angela Merkel m 1. November 2021 in Glasgow, Schottland, zum Weltklimatreffen COP26.Foto: Christopher Furlong/Getty Images
Von 6. November 2021

Rund 25.000 Teilnehmer, 200 Staaten, bis zu 700 Dollar Übernachtungskosten pro Nacht – Glasgow ist überfüllt. Vor Ort sind Regierungsvertreter, Tausende Journalisten und Klimaaktivisten. Dazu 400 Privatjets sowie unzählige Regierungsflieger, die einen Stau auf den Flughäfen im Umkreis von 30 Meilen verursachen – und deren Besitzern Doppelmoral vorgeworfen wird.

Gastgeber Boris Johnson eröffnete die 26. UN-Klimakonferenz (COP 26) und begrüßt alle in Schottland als angehende James Bonds. In den Bond-Filmen gehe es oft darum, dass der Held an einen Weltuntergangsmechanismus gefesselt ist, während eine „rote Digitaluhr unerbittlich auf ein Ziel zusteuert, bei dem das menschliche Leben, wie wir es kennen, beendet wird.“ 

Johnson löst die Analogie auf: „Wir befinden uns heute in etwa der gleichen Position, meine Staats- und Regierungschefs der Welt, wie James Bond.“ Jedoch sei dies kein Film und der Mechanismus zum Weltuntergang real. Hunderte von Milliarden Motoren, Öfen und Turbinen würden „die Erde in eine unsichtbare und erstickende CO2-Decke hüllen“.

Auf dieser UN-Klimakonferenz soll das Blatt gewendet und die „Bombe entschärft“ werden. Von Debatten soll zu realen Maßnahmen übergegangen werden. Johnson stellt gegenüber den angereisten 120 Regierungschefs klar: „Nicht alle von uns sehen unbedingt aus wie James Bond“.

Was will Deutschland einbringen?

Großbritannien hat sich verpflichtet, möglichst bis 2050 klimaneutral zu werden. Deutschland liebäugelt mit 2030 und erinnert an seine Pläne.

Zum 31. Dezember 2021 werden die drei Kernkraftwerke Gundremmingen (Block C), Grohnde und Brokdorf abgeschaltet. Ende 2022 folgen die Kernkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2. Gleichzeitig wird der Anteil von Braunkohle um 5 Gigawatt Leistung und 8 Gigawatt Leistung bei der Steinkohle verringert. Bis 2030 sollen weitere 13 Gigawatt Kohle vom Netz. Das letzte Kohlekraftwerk soll spätestens 2038 abgeschaltet werden.

Quelle: Bennert/Merbach/Appel/Waniczek, „60 Fragen und Antworten zu Klimawandel und Energiewende“, aktualisiert durch MIBRAG vom 30.06.2019

 

Der derzeitige Energie-Bedarf Deutschlands liegt bei 82 Gigawatt. Nach dem Ausstieg 2038 sind nahezu drei Viertel davon – 63,4 Prozent bzw. 52 Gigawatt – nicht mehr verfügbar. Diese Lücke muss durch andere Energiequellen kompensiert werden. 

Doch die Kritik an diesen Plänen wächst, nicht nur in der Industrie. Durch den gleichzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohle „unterschreiten wir eine Grenze, unter der wir nicht mehr genügend regulationsfähige Grundlast haben werden“, warnt Prof. Dr. Wolfgang Merbach. Es drohe Deutschland eine Strommangel-Situation, mahnt der CDU-Politiker, der jahrelang an den Universitäten in Jena und Halle als Agrarwissenschaftler lehrte und 2016 das Bundesverdienstkreuz erhielt.

Die Grünen sind derweil ein kleines Stück von ihren bisherigen Planzielen abgerückt. In ihrem aktuellen Sondierungspapier zur Koalitionsbildung schreiben SPD, Grüne und FDP, dass „idealerweise“ schon 2030 ein Ausstieg aus der Kohle gelingt. „Idealerweise“ ist ein dehnbarer Begriff.

Prof. Merbach warnt: „Die Vorbildwirkung Deutschlands wird für die ganze Welt nicht allzu groß sein, ich würde sagen, sie wird gleich null sein.“ Der deutsche Sonderweg nütze dem Weltklima absolut nichts, der CO2-Gehalt werde weiter steigen – zumindest so lange, wie China, Indien und andere Länder ihre Emissionen steigern.

Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen

Zurück zur Klimakonferenz und zum globalen Maßstab. Im Prinzip soll das 1,5-Grad-Ziel beibehalten werden, darauf konnten sich die Staats- und Regierungschefs am 31. Oktober auf dem G20-Gipfeltreffen in Rom einigen. Eine konkrete Jahreszahl, bis zu der CO2-Neutralität erreicht werden soll, gibt es nicht mehr. Es wird vage von „Mitte des Jahrhunderts“ gesprochen.

„Hilfreich wären Klimaschutz-Ankündigungen aus China (sehr unwahrscheinlich), aus den USA (gerade rudert der Präsident zurück) und aus Europa (viele Mitgliedstaaten halten vom ‚Green Deal‘ leider nichts)“, konstatiert das ZDF am 31. Oktober.

Tags darauf begannen in Glasgow auf der 26. UN-Klimakonferenz die Beratungen über die weitere Umsetzung des Pariser Klimaabkommens. Die Länder sind aufgefordert, ihre Pläne zur Emissionssenkung bis 2030 vorzulegen. 

Klimapolitik ist immer Geopolitik

Das Zünglein an der Waage bilden Russland, China und Indien. Wladimir Putin und Xi Jinping erschienen nicht persönlich in Schottland. Russlands Staatschef äußerte sich in einer vorab aufgezeichneten Videoerkärung, ebenso wie der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro und der kanadische Premierminister Justin Trudeau. Aus China lag ein schriftliches Statement vor.

„Das zeigt einfach, welchen Stellenwert der internationale Klimaschutz in einigen Ländern besitzt – nämlich so gut wie gar keinen“, erklärt Prof. Dr. Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, einer der großen Klimaforscher Deutschlands. „Jeder und jede hat eigene Interessen – das kann so nicht klappen. Deswegen glaube ich, dass diese riesigen Klimakonferenzen zum Scheitern verurteilt sind.“

Europa will in der internationalen Klimapolitik eine Führungsrolle einnehmen. Ziel ist, dass die anderen Staaten Europa folgen und einholen sollen. Diese außenpolitische Dimension ist jedoch kein Thema in Glasgow. Die EU hat keine Strategien, wie sie die Belastungen durch die Klimapolitik auf der ganzen Welt bewältigen will.

Richard Youngs, Professor für internationale Beziehungen an der University of Warwick, verweist darauf, dass bisher von Europa nicht mal annähernd eine ökologische Außenpolitik über das volle Spektrum entwickelt wurde.

Europa sollte ehrlich sein

Der jährliche Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 soll in der EU von 6,9 Tonnen pro Einwohner (2019) auf 4,0 Tonnen pro Einwohner (2030) sinken. Im gleichen Zeitraum steigt dieser in China von 7,7 auf 14 Tonnen pro Einwohner.

„In der Klimapolitik geben Heuchler und Phantasten den Ton an“, schreibt Eric Gujer nüchtern in der „Neuen Zürcher Zeitung“, es sei Zeit für Ehrlichkeit und realistische Ziele.

Um weltweit Klimaneutralität zu erreichen, müsste China seine Emissionen drastisch senken. Jede Emissionssenkung Pekings wäre für die Luftqualität der Welt besser als alle Vorhaben Europas zusammen. 

„Aber die Chinesen sind ausgebuffte Diplomaten und werden das sich bietende Drohpotenzial kaum ignorieren“, so der Schweizer Chefredakteur der „NZZ“. Peking kenne seine Druckmittel: Klimaschutz oder Menschenrechte. Was sei dem Westen wichtiger?

Der chinesische Außenminister warnte bereits davor, China als Gegner zu betrachten: „Die USA hoffen, dass der Klimaschutz die Oase in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen ist. Wenn die Oase aber von Wüste umgeben ist, wird sie irgendwann selbst zur Wüste.“

Die Realität lässt vermuten: Wenn die G20-Staaten ab 2022 keine „schmutzigen“ Kohlekraftwerke mehr im Ausland finanzieren wollen, wie sie in Glasgow verkündeten, springen andere Akteure ein. 

2030, 2060, 2070

Die bisherigen Zusagen der Staaten führen nicht zu einer Minderung des CO2-Ausstoßes. China wird seine Emissionen planmäßig um 70 Prozent gegenüber 2015 steigern, was jegliche Anstrengungen der anderen Staaten zunichtemacht. 

Die USA, Europa und Deutschland wollen ihre Emissionen bis 2030 vermindern, China und Russland sprechen für 2060 von Klimaneutralität. 

Indien, der zweitgrößte Verbraucher von Kohle sowie der drittgrößte Verursacher von CO2-Emissionen, verkündete in Glasgow erstmals, das es bis 2070 klimaneutral sein will. Premier Narendra Modi fordert, dass die europäischen und nordamerikanischen Staaten die Hauptlast der Kosten tragen müssten, da sie ihre Industrialisierung auf dem Rücken der ganzen Welt erreicht hätten.

Das Klimaabkommen von Paris erlaubt dem „Entwicklungsland“ China eine Steigerung der Eimissionen, die alle Einsparungen von USA und Europa mehr als aufwiegen. Foto: Prof. Dr. Fritz Vahrenholt

Jährliche Emissionsminderungen durch die EU, die USA, Japan, Kanada, Russland, Australien und Brasilien um 4,4 Milliarden Tonnen CO2 stehen Mehremissionen durch China, Indien, Indonesien, Mexiko, Südkorea, Südafrika, die Türkei und Argentinien von rund 18,4 Milliarden Tonnen gegenüber.

Quelle: Bennert/Merbach/Appel/Waniczek, „60 Fragen und Antworten zu Klimawandel und Energiewende“. ISBN 978-3-00-066383-3, Kaleidoscriptum Verlag, August 2020

Die Hauptthemen der Klimakonferenz

1. und 2. November: Staats- und Regierungschefs wie Joe Biden, Angela Merkel und Emmanuel Macron geben dreiminütige Statements ab. Sie sollen darlegen, wie sie die CO2-Emissionen begrenzen wollen. 

3. November: Wie können öffentliche und private Gelder für den Klimaschutz lockergemacht werden? 65 Finanzminister treffen sich hinter verschlossenen Türen, Deutschland wird durch Olaf Scholz vertreten.

4. November: Wie kann die globale Umstellung aus sauberer Energie beschleunigt werden? Politische Vorschläge zur Dekarbonisierung und zum Ausbau von Erneuerbaren Energien.

5. November: „Engagement der Jugend in Klimafragen“ und „Schutz der Ozeane“. Um 17:30 Uhr findet der Jugendklimagipfel statt.

6. November: Im Klimagipfel geht es um „Naturschutz und nachhaltige Landnutzung“. Vor der Tür ist ein globaler Aktionstag geplant, Glasgow rechnet mit bis zu 100.000 Demonstranten.

7. November: Konferenzpause

8. November: Veranstaltung unter dem Motto: „Praktische Lösungen zur Anpassung an die Klimaauswirkungen und zur Bewältigung von Verlusten und Schäden.“

9. November: Beratung über die zwei Hauptthemen „Gleichstellung der Geschlechter“ sowie „Wissenschaft und Innovation“

10. November: Der globale Übergang zum emissionsfreien Transport

11. November: Grüne Transformation der Städte und Regionen – wie soll und kann künftig klimakonform gebaut werden?

12. November: Abschlusserklärung 

Erste Ergebnisse

Die 120 neuen „James Bonds“, die Premierminister Boris Johnson in seiner Eröffnungsrede ansprach, einigten sich zunächst darauf, bis 2030 die Entwaldung zu stoppen. Auch Russland und Brasilien beteiligen sich. Dieses Vorhaben ist eher eine Wiederholung: Bereits 2014 wurde angekündigt, die Entwaldungsrate bis 2020 zu halbieren und die Entwaldung bis 2030 zu stoppen.

Mit 700 Millionen Euro will Deutschland gemeinsam mit Großbritannien, den USA, Frankreich und der EU Südafrika helfen, aus der Kohle auszusteigen. Südafrika bezieht bislang fast 90 Prozent seines Stromes aus Kohle.

80 Staaten wollen den Methan-Ausstoß bis zum Jahr 2030 um mindestens 30 Prozent im Vergleich zu 2020 senken. China hat sich dazu nicht geäußert.

Der deutsche Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth wird deutlich: „Die Rolle von China ist enttäuschend“. Erst bis 2060 CO2-neutral zu werden und zu anderen Treibhausgasen wie Methan keine Zusagen zu treffen, könne „vom größten Emittenten der Welt nicht das letzte Wort sein“.



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