Kreißsaal ohne Väter: Tschechien entschädigt Pandemieopfer

Opfern von „ungerechten Pandemie-Maßnahmen“ hat das tschechische Verfassungsgericht einen neuen Weg eröffnet. Ein Vater, der den Weg gebahnt hat, klagte drei Jahre lang – mit Erfolg.
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Bei der Geburt eines Babys sollte die Familie beieinander sein – ein Traum von vielen.Foto: iStock
Von 5. Juni 2023

Im März 2020 saß der Anwalt und werdende Vater Ondřej Pecák verzweifelt in seinem Auto und verpasste die wichtigsten Momente seines Lebens. Und das auf einem Krankenhausparkplatz. Währenddessen brachte seine Frau ihr gemeinsames Baby zur Welt, auf das sie sich seit Monaten vorbereitet hatten. Pecák erinnert sich an diese Zeit. Er wurde von einem Gefühl der Hilflosigkeit überwältigt, erklärte er gegenüber „idnes.cz“.

Der Grund war das damals geltende kompromisslose Verbot von Krankenhausbesuchen. Daher durfte er 2020 nicht bei seiner Frau und ihrem Neugeborenen sein. Damals wurden vom tschechischen Gesundheitsministerium Maßnahmen ergriffen, die den Zugang zur Geburtsstation kurzzeitig einschränkten.

Die Anwesenheit des Vaters bei der Geburt sei jedoch Teil des Rechts auf Familienleben und sollte verfassungsrechtlich geschützt werden, betonte nun das tschechische Verfassungsgericht.

Die Mühlen der Justiz

Nach dem verkorksten ersten Lebenstag ihres Kindes kam die Familie nicht zur Ruhe. Der Vater beschloss, sich gerichtlich zu wehren. Das war der Beginn eines jahrelangen Weges durch die Mühlen der tschechischen Justiz. Letztlich mit Erfolg – vor dem tschechischen Verfassungsgericht.

Zuerst wandte sich der Vater an das Verwaltungsgericht, doch die Gerichte lehnten ihre Anträge ab. Insbesondere argumentierten sie damit, dass die angefochtene Maßnahme inzwischen ausgelaufen sei. Pečák reichte daraufhin eine Klage auf Ersatz des immateriellen Schadens ein und forderte 50.000 Kronen (etwa 2.100 Euro) für sich sowie den gleichen Betrag für die Mutter und die Tochter.

Sowohl vor dem 2. Bezirksgericht in Prag als auch vor dem Stadtgericht blieb er erfolglos. Jedes Mal wurden formale Gründe angeführt. Aus dem Urteil des Verfassungsgerichts geht hervor, dass die angefochtene Maßnahme formal nicht aufgehoben, für rechtswidrig oder verfassungswidrig erklärt wurde. Daher könne es keine Grundlage für einen Schadensersatzanspruch sein. Das Stadtgericht bestätigte das Urteil. Es stellte sogar fest, dass „die Anwesenheit des Vaters bei der Geburt kein Grundrecht ist“.

Verfassungsgericht gegen extremen Formalismus

Die Familie gab die Hoffnung nicht auf, der Fall ging an das Verfassungsgericht in Brünn. Richter Vojtěch Šimíček, der im Mai neu ernannte Präsident des Verfassungsgerichts, hob die Entscheidungen der anderen Gerichte auf: „Das Verfassungsgericht akzeptiert nicht die Ansicht, dass das Recht von Mutter, Vater und Kind, im Moment der Geburt und in den darauffolgenden Momenten zusammen zu sein, außerhalb des verfassungsrechtlichen Schutzes liegen sollte.“

Der Richter betonte:

Es ist wichtig für die Mutter, dass sie jemanden hat, der sie in diesen schwierigen Momenten unterstützt und ‚ihre Hand hält‘.“

Das Verfassungsgericht kam auch zu dem Schluss, dass es der Familie aufgrund der damaligen Rechtslage nicht möglich war, gegen die Aufhebung der fraglichen Notstandsmaßnahme zu klagen.

Zudem verurteilte das Gericht den übermäßigen Formalismus der unteren Gerichte. Die Grundrechte und -freiheiten sollten in der Tat Ideale für die Arbeit der Gerichte sein. Diese Ideale sollten daher die Auslegung von Rechtsnormen bestimmen. Eine Auslegung, die den Grundsätzen der Gerechtigkeit zuwiderlaufe (z. B. übermäßiger Formalismus), sei inakzeptabel.

In seinem Urteil stellte Richter Šimíček auch fest, dass die Geburt eines Kindes ein sehr bedeutendes, vielleicht sogar das bedeutendste Ereignis im Familienleben ist. Dessen gemeinsame Erfahrung kann die Bindung zwischen Mutter, Vater und Kind am meisten stärken.

Hoffnung auch für andere Geschädigte

Das Verfassungsgericht hat das Gericht der ersten Instanz angewiesen, ein neues Verfahren einzuleiten. Über den Fall von Ondřej Pecák entschied es nicht konkret. Der neue Richter muss die Hinweise des Verfassungsgerichts bei seiner Entscheidung berücksichtigen. Dabei soll eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt werden.

Die Grundrechte könnten auf das notwendige Maß beschränkt werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt seien. Bei der Abwägung müssten daher auch die damalige Lage und die Interessen des öffentlichen Gesundheitsschutzes berücksichtigt werden.

Laut der Erklärung des Verfassungsgerichts ist es die ausdrückliche Absicht des Forums, mit dieser Entscheidung Familien in ähnlichen Situationen zu ermutigen:

Die Entscheidung öffnet den Weg, um andere Familien in einer ähnlichen Situation im Jahr 2020 zu entschädigen.“

Die Umstände sind natürlich immer individuell. Die Bewertung „hängt auch davon ab, wie die Familie vorher prozessual aktiv war, das heißt, ob sie von Anfang an versucht hat, ihre Rechte zu sichern“, heißt es auf der Website des Gerichts.

Beziehung zwischen Recht und Gerechtigkeit

Der tschechische Fall kann nicht 1:1 auf Deutschland übertragen werden, weil die Vorschriften in beiden Ländern unterschiedlich sind. Hier galten in verschiedenen Krankenhäusern und Geburtseinrichtungen unterschiedliche Regeln.

In einem deutschen Fall kam zum Beispiel das Verwaltungsgericht Leipzig zu dem Schluss, dass die Einschränkung des Grundrechts des Vaters zum Zeitpunkt der Geburt seines Kindes gerechtfertigt und rechtmäßig war:

„Die Maßnahme war verhältnismäßig, d. h. geeignet, erforderlich und angemessen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers gab es auch kein milderes Mittel. Selbst ein vorher durchgeführter Coronatest gibt keinen Aufschluss darüber, ob er zum Zeitpunkt der Entbindung nicht infiziert gewesen sein könnte“, heißt es in dem Urteil.

Die Möglichkeit, dass das tschechische Gericht bei der nun geforderten Neubewertung des konkreten Falles von Ondřej Pecák zu demselben Schluss kommt, besteht. Das Vorgehen des Verfassungsgerichts gegen übermäßigen Formalismus ist jedoch sehr bemerkenswert. Es wirft genau die Frage auf, die sich in der Rechtswelt so oft stellt: Ist das geschriebene Recht wirklich in der Lage, für Gerechtigkeit zu sorgen? Die Entscheidung des tschechischen Verfassungsgerichts fügt dem eine neue Dimension hinzu.

Der Fall öffnet auch den Weg für andere Familien, ihre Entschädigungsansprüche gerichtlich geltend zu machen. Ondřej Pecák bestätigt: „Ich bin zuversichtlich, dass dieser Fall eine Motivation für andere sein wird, die sich in irgendeiner Weise geschädigt fühlen, dass es Unterstützung gibt und dass es keinen Sinn hat, am Anfang aufzugeben.“



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