Leck in „Nord Stream“-Pipelines: Absichtliche Sabotage?

Ökoterroristen? Ukrainischer Geheimdienst? Russische False-Flag? Nach dem jähen Druckabfall in beiden Leitungen von Nord Stream blühen die Spekulationen.
Das Nord Stream 2-Gasleck in der Nähe von Bornholm in Dänemark ist aus der Vogelperspektive sichtbar. Nach der Beschädigung der Nord-Stream-Gaspipelines unter der Ostsee suchen Behörden in Deutschland und Dänemark weiter nach der Ursache.
Das Nord Stream 2-Gasleck in der Nähe von Bornholm in Dänemark ist aus der Vogelperspektive sichtbar. Nach der Beschädigung der Nord-Stream-Gaspipelines unter der Ostsee suchen Behörden in Deutschland und Dänemark weiter nach der Ursache.Foto: Danish Defence Command/dpa
Von 27. September 2022

Bezüglich der Lecks in beiden „Nord Stream“-Pipelines nahe der dänischen Insel Bornholm verdichten sich Hinweise auf mögliche Sabotage. Davon gingen auch deutsche Behörden und die Bundesregierung mittlerweile aus. Der „Tagesspiegel“ berichtete unter Berufung auf einen Insider.

Nord Stream AG spricht von „beispiellosen“ Vorfällen

Insgesamt seien sogar drei Schäden an Leitungen festgestellt worden, meldete die Nord Stream AG. Zwei Lecks beträfen Nord Stream 1 – eines davon trat demnach nordöstlich und eines südöstlich der Insel Bornholm auf. Einer der Schäden ereignete sich noch in schwedischen Gewässern. Das dritte Leck betraf Nord Stream 2. Beide Pipelines verlaufen durch die Ostsee von Russland nach Deutschland. Die Betreibergesellschaft sprach von „beispiellosen Fällen“.

Wie „oe24“ schrieb, hatten die Behörden der jeweiligen Länder jeweils eine Warnung herausgegeben. Der Druckabfall sei erstmalig in der Nacht zum Montag (26.9.) bemerkt worden. Nord Stream 1 war 2011 in Betrieb genommen worden. Seit Anfang September liefert die Russische Föderation allerdings kein Gas mehr. Offizielle Begründung dafür sind erforderliche Wartungsarbeiten.

Nord Stream 2 wurde im Vorjahr fertiggestellt. Allerdings verzögerte sich in weiterer Folge die Zertifizierung durch die Bundesnetzagentur. Nach dem Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine im Februar dieses Jahres erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz, die Pipeline nicht in Betrieb zu nehmen. Zuvor hatten US-Präsident Joe Biden und osteuropäische Mitgliedstaaten der EU vehement gegen die Pipeline opponiert. Diese würde, so deren Befürchtung, Europas Abhängigkeit von russischem Gas zementieren.

Pipeline verläuft in etwa 100 Metern Tiefe

Zwar sei keine der Pipelines derzeit in Betrieb, hieß es vonseiten dänischer Behörden. Dennoch befinde sich Gas in der Leitung, das nun austrete. Dänemark erhöhte die Sicherheitsstufe zur Überwachung eigener Infrastruktur. Zudem sperrte man den Bereich für die Schifffahrt ab, da es sich um ein „gefährliches“ Leck handele.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sowie die Bundesnetzagentur teilten übereinstimmend mit, man stehe miteinander und mit den zuständigen Behörden im Austausch, um den Sachverhalt aufzuklären. „Aktuell kennen wir die Ursachen für den Druckabfall nicht“, hieß es zu den Problemen bei Nord Stream 1 gegenüber der dpa.

Während Gazprom meldet, die Pipeline verlaufe dort in etwa 100 Metern Tiefe und man habe nur wenig Erfahrung mit der Reparatur unter diesen Bedingungen, melden deutsche Medien bereits, die Pipeline sei voraussichtlich in einem Monat wieder funktionsfähig.

Trittin: Nord Stream 2 aus „gutem deutschem Stahl“

Dass sich mehrere Vorfälle dieser Art innerhalb eines kurzen Zeitraums auf dem Grund des Meeres ereignen, lässt jedoch aufhorchen. Der vom „Tagesspiegel“ zitierte Insider fasste die Einschätzung deutscher Regierungsstellen mit den Worten zusammen:

Unsere Fantasie gibt kein Szenario mehr her, das kein gezielter Anschlag ist.“

Es spreche „alles gegen einen Zufall“, hieß es weiter. Auch der frühere grüne Umweltminister und Außenpolitiker Jürgen Trittin geht davon aus, dass die Leitungen gezielt beschädigt worden sein mussten. Insbesondere Nord Stream 2 sei „relativ neu und aus massivem und gutem deutschem Stahl gebaut”, erklärte Trittin auf ntv. Ein schlagartiges Leck trete kaum ohne aktive Mitwirkung von außen auf.

„Ein Zufall ist kaum vorstellbar“, sagte auch Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen am Dienstag. Expertenmeinungen und Einschätzungen aus Sicherheitskreisen gehen ebenfalls in diese Richtung. Auch der Kreml gab an, einen Sabotageakt nicht auszuschließen.

Derartige Gaslecks seien „äußerst selten“, sagte ein dänischer Behördensprecher der Nachrichtenagentur AFP. Die Regierung in Moskau zeigte sich angesichts der berichteten Lecks „extrem besorgt“. Es sei eine „noch nie dagewesene Situation, die dringend untersucht werden muss“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Auf die Frage, ob es sich um einen Sabotageakt handeln könnte, sagte er, es könne „keine Option ausgeschlossen“ werden.

Ein EU-Kommissionssprecher sagte in Brüssel: „Ein Sabotageakt gegen die Infrastruktur wäre natürlich etwas, was wir verurteilen.“ Es sei aber noch zu früh, um die Gründe für die Lecks zu beurteilen. Die Kommission sei in Kontakt mit den betroffenen Mitgliedstaaten.

Aufwand wäre für Ökoterroristen zu hoch gewesen

Die hohe Wahrscheinlichkeit eines gezielten Sabotageakts hat bereits Spekulationen über mögliche Verantwortliche in Gang gebracht. Eine mögliche Option wäre Ökoterrorismus. Immerhin hatte die deutsche „Fridays for Future“-Sprecherin im Juni in einem Interview gesagt, man denke darüber nach, „eine Pipeline in die Luft zu jagen“.

Gemeint war allerdings eine auf dem Landweg verlaufende Rohöl-Pipeline zwischen Uganda und Tansania. Neubauer ruderte anschließend zurück und wollte die Aussage „scherzhaft“ beziehungsweise metaphorisch verstanden wissen. Vor allem erforderte eine Sabotageaktion wie die mutmaßliche an Nord Stream 2 eine lange Vorbereitung – und immense technische und finanzielle Mittel.

Dem „Tagesspiegel“ zufolge gehen Sicherheitskreise sogar davon aus, dass mutmaßliche Anschläge schon vor dem Lieferstopp geplant worden sein könnten. Die Planung derartiger Spezialoperationen nähme viel Zeit in Anspruch, heißt es dort.

Einer ersten Lagebewertung von Sicherheitsbehörden zufolge seien mindestens Marinetaucher und ein U-Boot dafür vonnöten. Dieser Umstand macht es jedoch wahrscheinlich, dass ein staatlicher Akteur hinter einer solchen Aktion stecken müsse. Diesbezüglich gibt es auch mehrere mögliche Szenarien.

Wollten Gegner von Nord Stream 2 vollendete Tatsachen schaffen?

Als erste mögliche Option gilt ein Anschlag durch Akteure, die ein Interesse am Abbruch der Energielieferbeziehungen zu Russland haben. Das könnten die USA, die Ukraine oder osteuropäische Nachbarstaaten der Russischen Föderation sein. Russlands Medien berichten, der FSB habe in der Vergangenheit bereits Versuche ukrainischer Extremisten vereitelt, Versorgungsleitungen in Richtung EU und Türkei zu sabotieren.

Funktionieren die Nord-Stream-Leitungen nicht, sind Gaslieferungen von Russland nach Europa nur noch mit der Jamal-Leitung über Polen oder das ukrainische Netz möglich. Dies sichere beiden entweder eigene Versorgungsleistungen oder Durchleitungsgebühren.

Auch könnten Anschläge auf die Pipeline das Ziel verfolgen, vollendete Tatsachen zu schaffen. Möglicherweise rechnet man im Ausland mit möglichen Armutsrevolten in Deutschland, sollten die Energiepreise weiter steigen und die Versorgung gefährden. In einem solchen Fall könnte der innenpolitische Druck auf die Regierung so stark werden, dass sie in Sachen Nord Stream 2 möglicherweise eine Kehrtwende vollziehen würde.

Bundesnetzagentur sieht deutsche Versorgungssicherheit nicht beeinträchtigt

Ein anderes Szenario wäre eine „False Flag“-Aktion durch die Russische Föderation selbst. Da man im Kreml bereits mit Chinas KP an einer Ersatzlösung zu Nord Stream 2 arbeite, könnte man Europa abgeschrieben haben. Eine unbrauchbare Nord-Stream-Leitung könnte die Energiepreise jedoch weiter nach oben treiben. Dies könnte zu einer weiteren Destabilisierung des Westens führen.

Polens Vizeaußenminister Marcin Przydacz gehört zu jenen Regierungsbeamten, die ein solches Szenario für möglich halten. Da Russland „ständig eine aggressive Politik“ verfolge, könnten „keine Provokationen ausgeschlossen werden“. Auch nicht in den Abschnitten, die in Westeuropa liegen.

Die Bundesnetzagentur sieht die Versorgungssicherheit in Deutschland dennoch weiter gewährleistet. In einer Erklärung heißt es:

Es fließt seit dem russischen Stopp der Lieferungen Anfang September kein Gas mehr durch Nord Stream 1. Die Speicherstände steigen dennoch weiter kontinuierlich an. Sie liegen aktuell bei rund 91 Prozent.“

NATO will eigene Untersuchungsmission starten

Mittlerweile untersucht das westliche Militärbündnis NATO die Gas-Lecks an den Nord-Stream-Pipelines. „Die NATO beobachtet die Situation in der Ostsee genau“, sagte ein Vertreter des Bündnisses am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP. Die Bündnispartner seien dabei auch im engen Austausch mit den Ostseeanrainern Finnland und Schweden, die zwar einen Mitgliedsantrag gestellt haben, aber noch keine NATO-Mitglieder sind.

Aus den Pipelines Nord Stream 1 und 2 von Russland nach Deutschland tritt derzeit an drei Stellen in der Nähe der Insel Bornholm weiterhin unkontrolliert Gas aus. Die dänische Marine veröffentlichte Aufnahmen, auf denen eine großflächige Blasenbildung an der Meeresoberfläche zu sehen ist. An einer Stelle seien die Blasen demnach auf einer kreisförmigen Fläche von einem guten Kilometer Durchmesser zu beobachten, erklärte das Militär.

(Mit Material von dpa und AFP)



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