Mehr Staat wagen: In Russland soll das öffentliche Bankenwesen Dynamik in die Wirtschaft bringen

Seit etwa drei Wochen ist Russlands neue Regierung im Amt. Präsident Putin hat zudem eine Offensive zur Bekämpfung des demografischen Niedergangs und zu mehr Effizienz in der öffentlichen Ausgabenpolitik angekündigt. Der private Sektor bleibt weiter marginalisiert.
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Unterwegs zum Roten Platz in Moskau, 6. Februar 2020.Foto: DIMITAR DILKOFF/AFP via Getty Images
Von 7. Februar 2020

Der ebenso überraschende wie umfassende Regierungsumbau in der Russischen Föderation, den Präsident Wladimir Putin Mitte Januar verkündet hatte, löste eine Vielzahl an Spekulationen aus. Vor allem wurde darüber gerätselt, welchen wirtschaftspolitischen Kurs der Kreml künftig einschlagen werde.

Nach dem Rücktritt des langjährigen Premierministers und Putin-Vertrauten Dmitri Medwedew war der vormalige Leiter der russischen Steuerbehörde, Michail Mischustin, an dessen Stelle gerückt. Zudem kündigte der Präsident eine Reihe von Verfassungsänderungen an, die im Kern auf eine Stärkung der Position der Staatsduma hinauslaufen sollten.

Die Zäsur weckte bei zahlreichen Beobachter eine gewisse Hoffnung auf eine dialektische Weiterentwicklung der russischen Nationalökonomie. Erst war der Zerfall der Sowjetunion begleitet von einer wirtschaftlichen Liberalisierung ohne wirkmächtigen rechtsstaatlichen Rahmen in den 1990er Jahren. Anschließend kam eine Gegenbewegung in Form einer umfassenden Renationalisierung bedeutsamer Wirtschaftssektoren.

Kreml will Überschuss im Staatshaushalt nutzen

Nun, so wurde vielfach gemutmaßt, könnte gleichsam als Synthese eine Entwicklung Platz greifen, die endlich den so lange marginalisierten privaten Sektor wieder zur Geltung kommen lasse. Das für ein Schwellenland eher beschauliche Wirtschaftswachstum von zuletzt 1,3 Prozent hätte auf diese Weise wieder an Dynamik und Belebung gewinnen können.

Bislang zeigen sich jedoch nur wenige Anzeichen dafür, dass die russische Regierung in der Wachstumspolitik künftig vermehrt auf private Investitionen, möglicherweise gar auf ausländisches Kapital setzen würde. Die Bilder aus den 1990er Jahren, als Kinder bei Minustemperaturen in ungeheizte Schulen gingen, während wenige Kilometer weiter ausländische Tanker Öl zu Dumpingpreisen aus Russland abtransportierten, wirken immer noch nach. Entsprechend reserviert ist auch die Haltung in der Bevölkerung gegenüber einer stärkeren Öffnung der russischen Märkte.

Ein großes Pfund, mit dem Russland auf internationaler Ebene wuchern kann, ist nach wie der Staatshaushalt. Wie „Radio Free Europe/Radio Liberty“ (RFE/RL) berichtet, hat dieser sogar einen Überschuss in Höhe von 1,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu verzeichnen. Die Fremdwährungsreserven gehören zu den größten weltweit. Auch der Aktienmarkt hat das Jahr mit einer kräftigen Aufwärtsentwicklung begonnen.

Putin will 65 Milliarden US-Dollar in Familien und Kinder investieren

Dennoch klagen russische Arbeiter über stagnierende Löhne, Rentner vermissen eine Anpassung ihrer Altersbezüge an die Lebenshaltungskosten, die Steuern steigen und die Zinsen sind weiterhin verhältnismäßig hoch. Zu den Faktoren, die lähmend auf die Wirtschaftsdynamik wirken, gehören zwar weiterhin noch die westlichen Sanktionen, die seit der Ukrainekrise 2014 in Kraft sind. Die größten Hindernisse auf dem Weg zu höherer Wirtschaftsdynamik sind jedoch hausgemacht. Neben der demografischen Krise der 1990er Jahre, die das Land einholt, fehlt es an Investitionen.

Präsident Putin will nun bis 2024 insgesamt 65 Milliarden US-Dollar in Maßnahmen zur Förderung von Familiengründung, mehr Kindern und für deren Ausstattung mit kostenlosen warmen Mahlzeiten an Schulen investieren. Zugleich soll die Bestellung Mischustins, der Russland System zur Einbringung von Steuerschulden modernisiert hat, zum Premierminister ein Zeichen in Richtung Effizienz sein.

Wladimir Tichomorow, Chefökonom der BCS Financial Group in Moskau, erklärt im Gespräch mit RFE/RL, Putin wolle so „auf Nummer sicher gehen, dass das Geld effizient und effektiv angelegt wird – und nicht nur am Ende weitere Milliardäre macht“.

Zudem will die Regierung den Staatsbanken mehr Macht in der Wirtschaftspolitik zukommen lassen. Diese sollen nicht nur nach keynesianischer Lehre versuchen, die Wachstumskräfte durch gezielte Ausgabenpolitik zu beflügeln, sie weiten auch selbst ihr Produktportfolio aus und engagieren sich in Sektoren, die mit ihrem Kerngeschäft nicht mehr viel zu tun haben.

Staatsbanken erobern die heimischen Märkte

So hat die Sberbank, wie Eduard Steiner in der „Welt“ analysiert, zuletzt vermehrt in Internetunternehmen und Medien investiert. Die zweitgrößte Staatsbank, VTB, engagiert sich auf dem Getreidemarkt, VEB in der Bauwirtschaft. Da bereits Bereiche wie Energiewirtschaft oder Weltraumforschung unter nahezu vollständiger Kontrolle des Staates stehen, ist es auch wenig verwunderlich, dass einer jüngsten Umfrage der Ratingagentur RAEX unter 50 000 Studenten und Hochschulabsolventen zufolge Akademiker einen staatsnahen Job anstreben. In staatlich kontrollierten Konzernen wollen 53,7 Prozent arbeiten, beim Staat selbst 28,4.

Die Hauptprobleme der russischen Wirtschaft, so betonen Experten wie der Leiter des Moskauer Think-Tanks „Center for Research On Post-Industrial Societies“, Wladislaw Inosemtsew, bleiben systemische: Korruption, Bürokratie und fehlendes Vertrauen in Rechtsstaat und eine unabhängige Justiz.

Ausländische Investoren würden ausbleiben, weil sie die Verfolgung von Unternehmern und die Schädigung durch Beamte befürchten, die sich im Insiderhandel engagieren. Die heimischen Unternehmen würden in einer abwartenden Position verharren. In dieser Situation komme es auf die Effizienz der öffentlichen Investitionen und den Effekt von Rentenreformen an.



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