Mindestens 800 Festnahmen bei Demonstrationen für freie Kommunalwahlen in Moskau

Eine "Atmosphäre der totalen Kontrolle": Bei Protesten in Moskau für freie Kommunalwahlen sind nach Angaben von OWD-Info über 800 Menschen festgenommen worden, darunter sechs Journalisten. Sechs Menschen seien während der Festnahme verletzt worden.
Titelbild
Ein Mann schwenkt die russische Flagge aus einem Auto heraus, während er an der russischen Nationalgarde vorbeifährt. Diese blockiert während der nicht genehmigten Kundgebung, die auf faire Wahlen in der Moskauer Innenstadt am 3. August 2019 drängt, das Gebiet.Foto: VASILY MAXIMOV/AFP/Getty Images
Epoch Times3. August 2019

Fünf Wochen vor den umstrittenen Kommunalwahlen in Moskau erhöhen die Sicherheitsbehörden den Druck auf die Opposition: Bei nicht genehmigten Protesten für freie Wahlen nahm die Polizei nach Angaben der Nichtregierungsorganisation OWD-Info am Samstag mindestens 800 Menschen fest. Die Zahlen wurden im Laufe des Abends mehrfach erhöht.

Unter den 828 Festgenommenen seien auch mehrere akkreditierte Journalisten, teilte OWD-Info mit. Nach Angaben der Polizei beteiligten sich 1500 Menschen an den Protesten. Nach Einschätzung von Reportern der Nachrichtenagentur AFP vor Ort war die Zahl jedoch deutlich höher, ließ sich aber schwer schätzen, weil sich die Kundgebung auf mehrere Viertel erstreckte. AFP-Reporter beobachteten, wie die Polizei willkürlich Demonstranten herausgriff.

Laut OWD-Info wurden während der Festnahmen mehrere Menschen verletzt. Die Polizei baute Metallbarrieren auf, eine Metrostation wurde zwischenzeitlich geschlossen. Das mobile Internet funktionierte mehrere Stunden lang nicht. Auf Bildern von der Kundgebung waren vermummte Polizisten zu sehen, die mit Knüppeln auf Demonstranten einschlugen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verurteilte einen „unnötigen und exzessiven Einsatz von Gewalt“.

Polizei werde „alle notwendigen Maßnahmen“ ergreifen

Trotz eines Demonstrationsverbots versammelten sich rund tausend Menschen im Zentrum der russischen Hauptstadt, um gegen den Ausschluss mehrerer Oppositionskandidaten von den im September anstehenden Kommunalwahlen zu protestieren. Unter den Festgenommenen befand sich auch die Nawalny-Vertraute und von den Behörden abgelehnte Oppositionskandidatin Ljubow Sobol.

„Warum nehmen Sie mich fest?“, rief Sobol, während sie von Polizisten aus einem Taxi gezogen wurde. Sie soll sich auf dem Weg zu der Demonstration befunden haben. Die Rechtsanwältin ist für Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung tätig. Aus Protest gegen ihren Ausschluss von der Kommunalwahl am 8. September begann Sobol vor 21 Tagen einen Hungerstreik; bei der Festnahme war sie erkennbar geschwächt.

Bereits vor Beginn des Protests sperrte die Polizei den Bereich entlang des Boulevardrings im Moskauer Zentrum ab. Die Sicherheitsbehörden warnten die Bevölkerung vor einer Teilnahme. „Wir wiederholen, dass diese Veranstaltung illegal ist“, betonte die Polizei auf ihrer Website. Die Staatsanwaltschaft warnte, die Polizei werde „alle notwendigen Maßnahmen“ gegen Demonstranten ergreifen.

Oppositionskandidaten in Gewahrsam

Zahlreiche Oppositionskandidaten, die wegen angeblicher formaler Mängel von der Kommunalwahl im September ausgeschlossen wurden, befinden sich derzeit im polizeilichen Gewahrsam. Bei einem Massenprotest der Opposition am Samstag vergangener Woche hatte die Polizei fast 1400 Demonstranten festgenommen.

Die Behörden hatten zahlreiche Kandidaten wegen angeblicher formaler Mängel nicht zugelassen. So sollen laut den Behörden etwa Unterschriften, die Kandidaten sammeln müssen, gefälscht worden sein. Kandidaten wie der prominente Kreml-Kritiker Alexej Nawalny werfen den Behörden hingegen Willkür im Zulassungsprozess vor.

Die für Samstag angekündigten Proteste sollten sich zudem gegen die grassierende Korruption in Moskau richten. Nawalnys Wahlkampfteam hatte am Donnerstag einen Bericht veröffentlicht, wonach die Stellvertreterin des Moskauer Bürgermeisters Sergej Sobjanin in städtischem Eigentum befindliche Immobilien zu Tiefstpreisen an Familienmitglieder verkauft haben soll.

Kurz zuvor war der Kreml-Kritiker Nawalny festgenommen worden. Er sitzt derzeit eine 30-tägige Haftstrafe wegen Regelverstößen bei öffentlichen Versammlungen ab. Nach den Protesten am vergangenen Wochenende leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen „Massenunruhen“ und „Gewalt gegen Polizisten“ ein.

Der von den Behörden abgelehnte Oppositionskandidat Ilja Jaschin, der sich wegen Regelverstößen während genehmigter Proteste in einem zehntägigen Polizeigewahrsam befindet, warf den Sicherheitsbehörden vor, die Protestbewegung zu lähmen, indem „ihre Wortführer isoliert und Demonstranten eingeschüchtert“ würden.

Grüne: „Kurs der Einschüchterung“

Der Grünen-Politiker Manuel Sarrazin warf dem Kreml einen „Kurs der Einschüchterung“ vor. Das Vorgehen gegen die Proteste zeige „vor allem, dass das System Putin offensichtlich selber Zweifel an der eigenen Legitimität in der Bevölkerung hat“, erklärte der Sprecher für Osteuropa-Politik der Grünen-Bundestagsfraktion.

Derweil gab die russische Justiz Geldwäsche-Ermittlungen gegen Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung bekannt. Es gehe um illegal beschaffte Geldsummen in Höhe von knapp einer Milliarde Rubel (13,8 Millionen Euro), teilten die Ermittler mit. Vor wenigen Tagen hatte die Stiftung einen Bericht veröffentlicht, wonach die stellvertretende Bürgermeisterin von Moskau, Natalia Sergunina, Immobilien in städtischem Eigentum zu Tiefstpreisen an Familienmitglieder verkauft haben soll.

Demonstranten sagten der Nachrichtenagentur AFP, der Ausschluss der Opposition von den Kommunalwahlen habe sie auf die Straße getrieben. „Ich finde, jeder sollte das Recht darauf haben zu kandidieren“, sagte der 39-jährige Robert. Die 22-jährige Varvara sprach von einer „Atmosphäre der totalen Kontrolle“. Sie wünsche sich „große Veränderungen“, sagte sie weiter.

Bei einem Massenprotest der Opposition am Samstag vergangener Woche hatte die Polizei fast 1400 Demonstranten festgenommen. Die Staatsanwaltschaft leitete in der Folge Ermittlungen wegen „Massenunruhen“ und „Gewalt gegen Polizisten“ ein. Mehreren Beschuldigten drohen bis zu 15 Jahre Haft. Beobachter sehen darin Ähnlichkeiten mit Verfahren nach Demonstrationen gegen Russlands Präsident Wladimir Putin im Jahr 2012. Damals waren etliche Protestteilnehmer zu Haftstrafen verurteilt worden. (afp)



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