Nach dem Biden-Xi-Treffen: Zwei Geschichten aus einem Gespräch

Am Rande des G20-Gipfels trafen sich US-Präsident Joe Biden und Chinas „Führer“ Xi Jinping zu einem mehrstündigen Gespräch. In den anschließenden Erklärungen der beiden Länder gab es jedoch in zahlreichen Punkten unterschiedliche Ausführungen. Seltsam – für ein und dasselbe Treffen.
US-Präsident Joe Biden (l), trifft den chinesischen Präsidenten Xi Jinping vor dem G20-Gipfel.
US-Präsident Joe Biden (l), trifft den chinesischen Präsidenten Xi Jinping vor dem G20-Gipfel.Foto: Alex Brandon/AP/dpa
Von 16. November 2022

„Dieser G20-Gipfel kommt zum entscheidenden Zeitpunkt“, die Welt stehe vor dem entscheidendsten und prekärsten Moment seit Generationen. Dies sagte UN-Chef António Guterres zu Beginn seiner Eröffnungsrede auf der Pressekonferenz zum großen Gipfeltreffen der Gruppe der Zwanzig (19 Länder plus die Europäische Union) am 14. November. Das Gipfeltreffen findet in diesem Jahr am 15. und 16. November auf der Insel Bali in Indonesien statt.

Wirklich spannend wurde es jedoch bei einem Treffen am Rande des Gipfels zwischen US-Präsident Joe Biden und dem chinesischen „Führer“ Xi Jinping. Dieser hatte erst kürzlich auf dem Parteitag der Kommunisten seine innerparteilichen Widersacher aus der Führungsriege des Politbüros verdrängt und wandelt schon seit geraumer Zeit auf den Pfaden Mao Zedongs.

Vor dem Treffen mit Biden sagte Xi laut der US-Tageszeitung „Politico“, dass die Welt an einem Scheideweg stehe und man den richtigen Kurs einschlagen müsse. „Die Welt erwartet, dass China und die Vereinigten Staaten die Beziehung ordnungsgemäß handhaben.“ Dann seien die beiden Staatschefs mit ihren Teams für drei Stunden ins Gespräch gegangen. Nach dem Treffen veröffentlichten beide Seiten eine Erklärung. Schlüsselfragen darin waren Taiwan, Menschenrechte, die Ukraine, Nordkorea und Handel.

Ein Treffen, zwei Geschichten

 

Da es sich jeweils um ein und dasselbe Treffen handelte, sollte man meinen, dass die Erklärungen auch dasselbe beinhaltet hätten. Doch es gab mehrere Unterschiede in den Darlegungen. Angesichts dessen wunderte sich Lingling Wei, angesehene China-Wirtschaftsreporterin für das „Wall Street Journal“, auf Twitter: „Einheimische Freunde fragen: Es ist erstaunlich, wie viel länger das chinesische Rundschreiben im Vergleich zu dem amerikanischen ist.“ Ein User namens „Qingxiu Xianren“ antwortete: „Wenn man sich die Entwürfe beider Parteien ansieht, scheint es, dass sie nicht in derselben Sitzung waren.“

In den beiden Versionen wurden gleich in mehreren Themen unterschiedliche Informationen veröffentlicht, beziehungsweise fehlten in der einen oder anderen Version ganz. Hier die betroffenen Themengebiete.

Die Taiwan-Frage

Das Weiße Haus betonte in seiner Pressemitteilung, dass Joe Biden gegenüber Chinas Staatschef Xi Jinping gewarnt habe, dass die Vereinigten Staaten „jede einseitige Änderung des Status quo ablehnen“. Aktionen gegen Taiwan würden den Frieden und die Stabilität in der Taiwanstraße und in der gesamten Region untergraben. Das gefährde den globalen Wohlstand.

In der von Xinhua veröffentlichten Pressemitteilung des chinesischen Außenministeriums war die US-Warnung jedoch nicht zu finden. Dafür betonte man die Taiwan-Frage als den „Kern der Kerninteressen Chinas (der KPC)“. Man stellte dies als die „erste unüberwindbare rote Linie in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen“ dar, berichtet die chinesische Epoch Times. Man erklärte, dass Joe Biden beim Treffen gesagt habe, dass er weder die „Unabhängigkeit Taiwans“ noch „zwei China“ oder „ein China, ein Taiwan“ unterstütze.

In der entsprechenden Erklärung der USA wurde hierzu lediglich erwähnt, Biden habe erklärt, dass sich die „Ein-China-Politik“ der USA nicht geändert habe.

Der Unterschied: Während Pekings „Ein-China-Prinzip“ die Souveränität der KPC über Taiwan hervorhebt, akzeptiert die amerikanische „Ein-China-Politik“ diese souveräne Haltung der Kommunistischen Partei Chinas gegenüber Taiwan überhaupt nicht.

Ukraine-Krieg

Bisher hatte sich Xi Jinping geweigert, den Krieg zwischen Russland und der Ukraine als russische Invasion zu bezeichnen. In der US-Erklärung von Bali hieß es, dass Xi und Biden „ihren Konsens bekräftigten, dass ein Atomkrieg niemals geführt werden sollte und niemals gewonnen werden kann“. Beide hätten zudem ihre Ablehnung des Einsatzes oder der Androhung eines Einsatzes von Atomwaffen in der Ukraine betont.

In der chinesischen Version wurde erwähnt, dass Xi beim Treffen gesagt habe, dass China sehr besorgt über die aktuelle Situation in der Ukraine sei. China werde weiterhin Friedensgespräche fördern und die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen zwischen Russland und der Ukraine unterstützen. Was nicht erwähnt worden war: Xi Jinpings Aussagen gegen den Einsatz von Atomwaffen durch Russland.

USA-China-Beziehung

Bezüglich der Beziehungen zwischen den USA und China habe es in der US-Erklärung geheißen, dass man weiterhin mit China konkurrieren und die Bemühungen mit den Verbündeten und Partnern weltweit koordinieren werde. Allerdings solle dieser Wettbewerb nicht zu einem Konflikt führen, hieß es.

In der China-Version wurde hingegen versucht, die Besorgnis der USA über Chinas Ambitionen auszuräumen. Staats- und Parteichef Xi habe gesagt: „China strebt niemals danach, die bestehende internationale Ordnung zu ändern, mischt sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Vereinigten Staaten ein und hat nicht die Absicht, die Vereinigten Staaten herauszufordern und zu ersetzen.“ China und die Vereinigten Staaten könnten sich gegenseitig entgegenkommen – für Entwicklung und gemeinsamen Wohlstand.

Wie stehts mit Menschenrechten?

Auch das Thema Menschenrechte war Inhalt der Erklärungen. Während die USA jedoch betonten, dass Präsident Biden beim Treffen seine Besorgnis bezüglich der Menschenrechte in China zum Ausdruck gebracht habe, beispielsweise, wie die KPC in Xinjiang, Tibet und Hongkong vorgehe, transportierte die chinesische Version etwas anderes: Xi Jinping habe darauf hingewiesen, dass Freiheit, Demokratie und Menschenrechte das gemeinsame Streben der Menschheit und das konsequente Streben der Kommunistischen Partei Chinas seien. Über die Bedenken der USA bezüglich der Menschenrechte in China wurden jedoch nichts erwähnt.

Chinas kommunistisches System

Über Chinas kommunistisches System soll in der US-Erklärung nichts Relevantes ausgesagt worden sein.

Die chinesische Erklärung jedoch habe nach Angaben der chinesischsprachigen Epoch Times angegeben, dass US-Präsident Biden erklärt habe, dass die USA Chinas System respektierten und nicht versuchten, dieses zu ändern. Xi Jinping habe auch erklärt, dass die Vereinigten Staaten eine Demokratie nach amerikanischem Vorbild hätten und China eine Demokratie nach chinesischem Vorbild habe. Beide würden ihren jeweiligen nationalen Gegebenheiten entsprechen. Um miteinander auszukommen, sei es wichtig, diesen Unterschied anzuerkennen.

Wirtschaftliche Entkopplung

In der Erklärung der USA wurde hervorgehoben, dass Präsident Biden eine anhaltende Besorgnis der USA zum Ausdruck gebracht habe. Er kritisierte die nicht marktwirtschaftlichen Praktiken Chinas (der KPC), die den amerikanischen Arbeitern und Familien sowie denen in der ganzen Welt geschadet hätten.

Laut der chinesischen Erklärung habe Xi Jinping auf dem Treffen gesagt, dass Handelskriege, Wissenschafts- und Technologiekriege, die künstliche Errichtung von „Mauern und Barrieren“ sowie das Drängen auf „Abkopplung und Unterbrechung von Ketten“ den Grundsätzen der Marktwirtschaft völlig zuwiderliefen und die Regeln des internationalen Handels untergrüben. „Wir lehnen die Politisierung und Bewaffnung des wirtschaftlichen, handelspolitischen und wissenschaftlichen Austauschs ab“, soll Xi gesagt haben.

In der chinesischen Erklärung ging man auch auf die Frage der wirtschaftlichen Entkopplung ein – auch wenn dies in der US-Erklärung nicht erwähnt worden war. Den chinesischen Angaben nach habe Biden beim Treffen jedoch erklärt, dass die USA nicht die Absicht hätten, eine „Entkopplung“ von China anzustreben. Sie hätten auch nicht die Absicht, China einzuschließen. Die US-Erklärung erwähnte jedoch keine Probleme im Zusammenhang mit der Entkopplung.

Problem mit Nordkorea?

In der US-Erklärung brachte Präsident Biden seine Besorgnis über das provokative Verhalten Nordkoreas zum Ausdruck und wies darauf hin, dass man im Interesse aller Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, Nordkorea zu verantwortungsvollem Handeln ermutigen solle. Später auf der Pressekonferenz sagte Biden zu diesem Thema noch, dass er Xi Jinping klargemacht habe, dass es Chinas Verpflichtung sei, zu versuchen, Nordkorea von Langstrecken-Atomtests abzuhalten. Wenn Nordkorea dies tue, würden die USA bestimmte Maßnahmen ergreifen und sich stärker zur Wehr setzen müssen.

Die chinesische Erklärung erwähnte Nordkorea nicht.

Inhaftierung/Ausreiseverweigerung amerikanischer Staatsbürger

Joe Biden habe beim Treffen mit Xi Jinping erneut betont, dass es für die Vereinigten Staaten eine Priorität sei, Fälle amerikanischer Staatsbürger zu lösen, die zu Unrecht in China festgenommen oder an der Ausreise gehindert wurden. So hieß es in der US-Erklärung, während in der China-Version nichts dazu erwähnt wurde.

Gleiche Aussagen: Es gab Einigungen

Was beide Länder in ihren Erklärungen hervorgehoben hatten, war, dass sich die beiden Staatschefs darauf geeinigt hätten, eine beidseitige strategische Kommunikation aufrechtzuerhalten. Dies beinhalte unter anderem regelmäßige Konsultationen. Zudem gab es eine Vereinbarung für einen Dialog und Zusammenarbeit in den Bereichen öffentliche Gesundheit und Ernährungssicherheit.

Beide Erklärungen erwähnten auch Präsident Bidens Aussage, den harten Wettbewerb zwischen den beiden Ländern nicht in einen Konflikt ausarten zu lassen. Später sagte Biden auf einer Pressekonferenz: „Ich glaube fest daran, dass es keinen neuen Kalten Krieg geben muss.“ Man werde energisch gegeneinander antreten, „aber wir suchen keinen Konflikt“, versicherte Joe Biden.



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