NATO-General a. D. Harald Kujat: „Selenskyj kann den Krieg nicht gewinnen!“

General a. D. Harald Kujat äußert sich erneut zu versäumten Friedenschancen im Ukraine-Konflikt, zum Anteil der Deutschen Politik daran und erklärt, was passieren müsste, um den Krieg zu beenden.
Titelbild
Harald Kujat.Foto: Wolf von Dewitz/dpa/dpa
Von 14. November 2023


In einem fast einstündigen Interview hat sich General a. D. Harald Kujat erneut zum Krieg in der Ukraine geäußert. Es ist auf dem YouTube-Kanal der Finanzanalyseplattform HKC-Management. Dieser hat rund 275.000 Abonnenten und das Video hat bereits über 1,4 Millionen Klicks. Harald Kujat ist nicht irgendwer. Kujat war von 2000 bis 2002 Generalinspekteur der Bundeswehr und von 2002 bis 2005 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses.

Dass Kujat nicht bei Will, Lanz und Co. als gefragter Gast in den öffentlich-rechtlichen Talkshow-Polstern sitzt, erschließt sich möglicherweise schon aus der Überschrift des Expertengesprächs: „Ukraine mit riesigen Verlusten, Selenskyj kann Krieg nicht gewinnen!“

Das ist keine Politik, das ist Fanatismus

Nach weit über eineinhalb Jahren Ukraine-Krieg äußert Kujat zwar keine Überraschung, aber Enttäuschung über die Einstellung zu diesem Krieg von Teilen der Politik und der Gesellschaft. Während es früher hieß, keine Waffen in Kriegsgebiete, sagen die gleichen Stimmen heute: Waffen für den Frieden: „Im Kern besteht das Problem darin, dass wir Menschen in der Politik haben […], die aus mangelnder Kompetenz, aber auch aus Ignoranz heraus diese Politik […] seit dem letzten Regierungswechsel betreiben.“

Es sei Handeln, ohne zu bedenken, welche Konsequenzen diese Politik für die ukrainische Bevölkerung hat, die unter diesem Krieg leidet – mit Hunderttausenden Toten, mit der Zerstörung dieses Landes. „All das wird damit verbrämt“, so Kujat, dass man sagt, die Ukraine muss gewinnen. Es wirke geradezu wie eine Beschwörungsformel: „Die Ukraine wird gewinnen, weil sie gewinnen muss.“ Das sei keine Politik, das sei Fanatismus.

Viele versäumte Chancen im Ukraine-Konflikt

Kujat, der als Vorsitzender des NATO-Militärausschusses auch Vorsitzender der NATO-Ukraine-Kommission und Vorsitzender des NATO-Russland-Rates war, äußerte die Überzeugung, dass der verheerende Krieg in der Ukraine „hätte verhindert werden können“.

Auch wenn der völkerrechtswidrige Angriff Russlands nicht beschönigt werden dürfe, wurde aber versäumt, ernsthafte Bemühungen zur Verhinderung des Konflikts zu unternehmen, so Kujat im Interview: „Man kann diesen Angriff auf die Ukraine durch Russland, der völkerrechtswidrig ist, der ein Angriffskrieg ist, ja nicht schönreden. Das will auch niemand. Die Frage ist nur, haben wir alles unternommen, um diesen Angriffskrieg zu verhindern, und die Antwort ist eindeutig. […] Wir haben nicht das getan, was wir hätten tun können, und man muss hinzufügen zu dieser Frage, der Krieg hätte auch beendet werden können nach gut sechs Wochen.“

Es gab laut Kujat intensive Verhandlungen in Istanbul, die vom türkischen Präsidenten initiiert wurden. Es gab auch ein Verhandlungsergebnis, und trotz Akzeptanz dieses Vorschlags war der britische Premierminister Boris Johnson am 9. April 2022 in Kiew, um die Unterzeichnung zu verhindern.

Aktuell wieder Chance für Verhandlungen

Kujat dazu: „Alles das, was seit dem 9. April, seit dem Besuch Johnsons, geschah, hätte dann immer noch verhindert werden können.“ Im Grunde müssten alle Entwicklungen, so Kujat, die vielen Toten, die danach auf der ukrainischen Seite entstanden sind, aber auch die Zerstörung des Landes auf diesen Ursprung zurückgeführt werden.

Bereits am 17. Dezember 2021 habe Präsident Putin der USA und der NATO Vorschläge für Verhandlungen übermittelt, die die Sicherheitsinteressen aller beteiligten Parteien berücksichtigen sollten. Themen wie der in Aussicht gestellte NATO-Beitritt der Ukraine und die Situation der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass, die eine durch das Minsker Abkommen versprochene Autonomie nicht erhalten hatten, standen im Fokus. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock habe jedoch genauso wie die USA darauf beharrt, dass jedes Land das Recht habe, der NATO beizutreten.

Die Entscheidung muss in Washington fallen

Auch im Sommer 2022, bevor Russland im September eine Teilmobilmachung beschloss, habe Putin seine Verhandlungsbereitschaft wiederholt, sofern die beidseitigen Sicherheitsbedürfnisse anerkannt würden. Auch diese Chance sei vertan worden.

Aber im Augenblick biete sich wieder eine Möglichkeit, die Kampfhandlungen zu beenden. „Letzte Woche hat die Schlamm-Periode in der Ukraine eingesetzt. Es wird also nicht mehr möglich sein, mit mechanisierten Kräften anzugreifen, jedenfalls für eine bestimmte Zeit. Ich denke, bis Anfang Dezember tritt eine Phase ein, in der der Krieg sozusagen entschleunigt wird, und das ist immer eine Möglichkeit, wieder die beiden Kontrahenten an den Verhandlungstisch zu bringen. Aber die Entscheidung dafür, […] die muss in Washington fallen.“

Ablehnung kam bisher immer vom Westen

Für Kujat gibt es da überhaupt keinen Zweifel, dass die Ablehnung immer vom Westen erfolgt sei, teilweise auch von der Ukraine. Der ukrainische Präsident Selenskyj „hat ja sogar Anfang Oktober letzten Jahres per Dekret sich selbst und seiner Regierung Verhandlungen mit Russland untersagt. Das müsste also zunächst mal revidiert werden.“

Für eine Beendigung oder ernsthafte Verhandlungen dazu gab es mehrere Chancen. Aber wie immer in einem Krieg gebe es die einen, „die den Krieg wollen, es gibt die anderen, die den Krieg nicht verhindern wollen, und es gibt diejenigen, die den Krieg nicht verhindern können. Und jetzt können sie sich selbst aussuchen, wer zu welcher Kategorie gehört.“



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