NATO-Generalsekretär Stoltenberg vor zweiter außerplanmäßiger Amtszeitverlängerung

Eigentlich endet die Amtszeit von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 30. September 2023. Es bahnt sich jedoch eine Verlängerung bis Sommer 2024 an – aus Uneinigkeit über einen Nachfolger.
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NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.Foto: Simon Wohlfahrt/AFP via Getty Images
Epoch Times22. Juni 2023

„Ich strebe keine Verlängerung an“, sagt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg seit Wochen. Doch alles deutet darauf hin, dass der 64-Jährige der Militärallianz bis zum kommenden Jahr erhalten bleibt. Die NATO-Länder wollen den Norweger bitten, seine eigentlich im Herbst endende Amtszeit zu verlängern – voraussichtlich bis zum Jubiläumsgipfel in Washington im Juli 2024, auf dem das Bündnis seinen 75. Gründungstag feiert.

Das bestätigte nun auch der britische Verteidigungsminister Ben Wallace, der selbst auf die Nachfolge Stoltenbergs spekuliert hatte. „Daraus wird nichts“, sagte Wallace der Zeitschrift „Economist“. Die USA halten nach seinen Worten vorerst an Stoltenberg fest, der sich im Ukraine-Krieg große Verdienste erworben hat.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) war bereits beim NATO-Treffen in Brüssel Mitte Juni vorgeprescht: Da sich keine Alternative zu Stoltenberg abzeichne, sei er „natürlich für eine Verlängerung, zumal ich die Zusammenarbeit schätze“, sagte er.

Uneinigkeit der Europäer

Für Stoltenberg wäre es bereits die zweite außerplanmäßige Verlängerung durch die 31 NATO-Länder. Nach dem Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022 hatte er zugunsten des Bündnisses auf einen Wechsel an die Spitze der norwegischen Zentralbank verzichtet.

Für Stoltenberg spricht seine große Erfahrung in neun Jahren als NATO-Generalsekretär. Pentagon-Chef Lloyd Austin bescheinigt ihm „beeindruckende Führungsstärke“ im Ukraine-Krieg.

Hauptgrund ist aber die Uneinigkeit der Europäer in der NATO. Die 22 EU-Staaten im Bündnis bestehen darauf, Stoltenbergs Nachfolger aus ihrer Mitte zu küren. Sie wollen Großbritannien nicht für den Brexit belohnen, womit Wallace aus dem Rennen ist. Allerdings konnten sich die EU-Staaten bisher nicht auf einen gemeinsamen Namen verständigen.

Für NATO-Verstärkung in Osteuropa

Also weiter Stoltenberg. Schon vor der russischen Invasion erwies sich der nüchterne Norweger als Fels in der Brandung. Etwa beim chaotischen NATO-Abzug aus Afghanistan. Oder in der Debatte um den „Hirntod“ der NATO, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als Antwort auf US-Präsident Donald Trump lostrat, der das Militärbündnis für „obsolet“ erklärt hatte.

In besonders schwierigen Fällen muss der NATO-Generalsekretär, den Kritiker als „Sprachrohr der USA“ schmähen, seine ganze Vermittlungskraft beweisen. Gegen anfängliche Zurückhaltung in Berlin erreichte Stoltenberg sogar Panzerlieferungen für die Ukraine. Bei der Türkei setzt er sich unermüdlich für den Beitritt Schwedens ein. Auch im Dauerstreit um höhere Verteidigungsausgaben lässt er vor dem bevorstehenden Gipfel in Litauen im Juli nicht locker.

Als der Sozialdemokrat Stoltenberg den NATO-Posten im Oktober 2014 antrat, waren die Zeiten nicht minder bewegt: Russland hatte gerade die Krim annektiert und unterstützte mehr oder weniger offen pro-russische Separatisten in der Ostukraine. Stoltenberg wirkte daraufhin an der NATO-Verstärkung in Osteuropa mit, die im Ukraine-Krieg noch aufgestockt wurde, nach seinen Angaben auf 300.000 Soldatinnen und Soldaten.

Als junger Sozialdemokrat gegen NATO

In jungen Jahren hätte Stoltenberg wohl niemand vorhergesagt, dass er einmal an der Spitze des Militärbündnisses stehen würde: Als Teenager zertrümmerte er aus Protest gegen den Vietnamkrieg die Fenster der US-Botschaft in Oslo. Als junger Sozialdemokrat wetterte er mit wehenden schwarzen Haaren gegen die NATO.

Nach ersten Ministerposten wurde er im Jahr 2000 mit nur 41 Jahren Norwegens Ministerpräsident. Von 2005 bis 2013 folgten zwei weitere Amtszeiten. International bekannt wurde Stoltenberg nach dem Massaker von Utöya im September 2011 mit 69 Toten. Damals gelang es ihm, sein schockiertes Land zu trösten.

Stoltenbergs Verlängerung an der NATO-Spitze verschafft einigen potenziellen Nachfolgern mehr Zeit, für sich zu trommeln. Etwa der dänischen Regierungschefin Mette Frederiksen, dem Niederländer Mark Rutte oder dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez.

(afp/red)



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