New York: Selenskyj beklagt Machtlosigkeit der UNO

Erstmals seit dem russischen Einmarsch in sein Land reist der ukrainische Präsident zu den Vereinten Nationen nach New York und besucht deren wichtigstes Gremium. An dessen Macht äußert er Zweifel.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht im UN-Sicherheitsrat.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht im UN-Sicherheitsrat.Foto: Michael Kappeler/dpa
Epoch Times20. September 2023

Bei einem aufsehenerregenden Auftritt im UNO-Sicherheitsrat hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Machtlosigkeit der Vereinten Nationen beklagt und grundlegende Reformen gefordert.

Die Vereinten Nationen reagierten auf Probleme mit „Rhetorik“ anstatt mit „echten Lösungen“, sagte Selenskyj am Mittwoch bei einer Runde des mächtigsten UNO-Gremiums in New York. Der 45-Jährige war dort erstmals seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen sein Land vor 19 Monaten persönlich vertreten.

„Die Menschheit setzt ihre Hoffnungen nicht mehr auf die UNO, wenn es um die Verteidigung der souveränen Grenzen der Nationen geht“, mahnte er. Selenskyj verlangte einen Mechanismus, um Vetos im Sicherheitsrat zu überwinden. Außerdem plädierte er für eine Erweiterung des UNO-Sicherheitsrats um weitere ständige Mitglieder – wie Deutschland – und sprach sich für ein System aus, um frühzeitig auf Angriffe auf die Souveränität anderer Staaten zu reagieren.

Im Militärhemd im UNO-Saal

Der UNO-Sicherheitsrat traf sich am Rande der Generaldebatte der Vereinten Nationen. Bei der Sitzung sollte später auch der russische Außenminister Sergej Lawrow sprechen. Lawrow blieb der Sitzung und der Rede Selenskyjs zunächst fern und schickte zum Auftakt den russischen UNO-Botschafter Wassili Nebensja in die Runde.

Selenskyj saß in einem olivgrünen Hemd am runden Tisch im Saal des Sicherheitsrates, gegenüber von Nebensja. Der ukrainische Präsident sagte, es seien bereits 574 Tage des Schmerzes, der Verluste und des Kampfes vergangen, seitdem Russland in die Ukraine einmarschiert sei. Russland habe Zehntausende Ukrainer getötet und Millionen zu Flüchtlingen gemacht. Die Vereinten Nationen hätten das nicht verhindert. „Wir sollten erkennen, dass sich die UNO in der Frage der Aggression in einer Sackgasse befindet“, beklagte er.

Selenskyj fordert ständigen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat

Selenskyj kritisierte, das Vetorecht Russlands blockiere die Vereinten Nationen. Die UNO-Generalversammlung müsse eine Befugnis erhalten, um ein solches Veto zu überwinden. Außerdem sollten mehr Mitglieder in den UNO-Sicherheitsrat aufgenommen werden, darunter Deutschland. „Deutschland ist zu einem der wichtigsten globalen Garanten für Frieden und Sicherheit geworden“, sagte Selenskyj. Es habe einen Platz unter den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates verdient. Auch Lateinamerika und die pazifischen Staaten sollten dort dauerhaft vertreten sein, ebenso die Afrikanische Union. Asien verdiene ebenfalls eine stärkere Präsenz. Es sei ungerecht, wenn Milliarden Menschen dort nicht repräsentiert seien.

Dem Sicherheitsrat gehören derzeit 15 der 193 UNO-Mitgliedstaaten an. Fünf Atommächte sind ständig dabei und haben Vetorecht bei allen Entscheidungen: die USA, China, Russland, Großbritannien und Frankreich. Einige der anderen 188 Mitgliedstaaten wechseln sich auf den verbleibenden zehn Sitzen alle zwei Jahre ab. Deutschland bewirbt sich alle acht Jahre um einen Sitz, das nächste Mal für 2027/28. Die Bundesregierung erhebt außerdem den Anspruch, bei einer Erweiterung der ständigen Sitze als größte Wirtschaftsmacht Europas berücksichtigt zu werden.

Seit Jahren gilt das Gremium wegen gegenseitiger Blockaden der USA, Chinas und Russlands in zentralen Fragen als weitgehend handlungsunfähig. Über eine grundlegende Reform des Sicherheitsrats wird seit Jahrzehnten diskutiert, ohne dass es Fortschritte gibt.

Kanzler Olaf Scholz (SPD), der die Rede Selenskyjs im Sicherheitsrat verfolgte, hatte sich am Dienstagabend in seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung ebenfalls für eine UNO-Reform stark gemacht.

Mit Vorab-Sanktionen abschrecken?

Selenskyj plädierte bei seiner Ansprache auch für ein System, um früh auf Angriffe auf die Souveränität anderer Staaten zu reagieren. Die russische Invasion in der Ukraine habe gezeigt, welchen Nutzen ein solcher Mechanismus haben könne und welche Auswirkungen mächtige Sanktionen gegen einen Aggressor hätten – in der Phase des Aufbaus der Invasionsarmee. „Wer einen Krieg beginnen will, sollte vor seinem fatalen Fehler sehen, was genau er verlieren wird, wenn der Krieg beginnen würde“, mahnte er. „Wir sollten nicht warten, bis die Aggression vorbei ist. Wir müssen jetzt handeln.“

Der Ukrainer schlug außerdem vor, auf der Grundlage der ukrainischen Friedensformel Gruppen zu bilden, in denen schon jetzt nationale Sicherheitsberater und diplomatische Vertreter arbeiteten. Diese Gruppen hätten die Aufgabe, eine Liste von Entscheidungen und Vorschläge zu erarbeiten. Kiew sei bereit, zehn Konferenzen auf der Ebene der Berater und in Übereinstimmung mit den zehn Punkten der Friedensformel abzuhalten. Später könne der Entwurf den Staatsoberhäuptern auf einem Gipfel zur Prüfung vorgelegt werden. (dpa)



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