Nicht mehr nur alte Nazis: Antisemitismus in Österreich weiterhin stark verbreitet

Bereits zum dritten Mal legte das Parlament in Österreich einen Bericht zum Antisemitismus vor. Die Ergebnisse geben kaum Anlass zur Entwarnung.
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Eine Person hält bei einer Kundgebung gegen Antisemitismus ein Plakat in die Höhe. Die Erfassung antisemitischer Straftaten soll verbessert werden.Foto: Christophe Gateau/dpa/dpa
Von 20. April 2023

Am Dienstag, 18. April, hat Österreichs Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka den dritten Antisemitismusbericht im Auftrag des Nationalrats vorgestellt. Das Institut IfeS hatte dafür repräsentativ 2.000 Interviews – telefonisch oder online – mit Personen ab 16 Jahren durchgeführt. Diese wurden bezüglich ihrer Zustimmung zu Thesen befragt, die der Gedankenwelt des Antisemitismus zuzuordnen waren.

Einen speziellen Blick warf man dabei auf die Gruppe der unter 25-Jährigen mit 400 Teilnehmern. Außerdem befragte man eine sogenannte Aufstockungsgruppe von 900 Personen: Darunter fanden sich schwerpunktmäßig Personen mit familiärer Migrationsgeschichte. Die Hälfte davon hatte einen Bezug zur Türkei oder einem arabischsprachigen Land.

Antisemitismus in Österreich ist „bunter“ geworden

In Österreich hat der Ministerrat am 21. April 2017 die Arbeitsdefinition von Antisemitismus der „International Holocaust Remembrance Alliance“ (IHRA) angenommen. Diese liegt auch den Antisemitismusberichten zugrunde, die seit dieser Zeit regelmäßig im Auftrag des Nationalrats erstellt werden. Die ersten Berichte datieren aus den Jahren 2018 und 2020.

Wie der „Standard“ berichtet, zeigt die Studie, dass der Grad der Zustimmung zu antisemitischen Vorstellungen in Österreich weiterhin ausgeprägt ist. Zum einen hängt nach wie vor ein Teil der Bevölkerung judenfeindlichen Vorstellungen an, wie sie bereits in der Nachkriegszeit verbreitet waren.

Dazu kommt ein steigender Anteil der Zustimmung zu Verschwörungstheorien, wie sie im Zuge der Corona-Pandemie neue Popularität erlangt hatten. Einige davon haben einen antisemitischen Kern oder lassen sich zumindest auch in dieser Weise interpretieren. Ein weiterer Faktor war jedoch auch eine überdurchschnittlich starke Ausprägung antisemitischer Einstellungen in der „Aufstockungsgruppe“. Von dieser sei eine Mehrheit der Befragten (53 Prozent) in Österreich geboren.

Juden sogar für Inflation verantwortlich gemacht

Eine Aussage, zu welcher IfeS den Grad der Zustimmung erhob, war, Juden versuchten aus ihrem Schicksal in der Nazizeit „heute Vorteile zu ziehen“. Mehr als ein Drittel der Befragten insgesamt, ein Viertel der jüngeren und mehr als die Hälfte der „Aufstockungsgruppe“ stimmten dieser „eher“ oder gänzlich zu. Ein ähnliches Bild zeigte sich bezüglich der Aussage, man solle den Holocaust nicht weiter in das öffentliche Bewusstsein zurückrufen.

Zum Teil deutlich mehr als ein Drittel stimmten auch Verschwörungserzählungen zu. Dazu gehörte etwa, Juden „beherrschten die Geschäftswelt“ oder hätten „in Österreich zu viel Einfluss“. 43 Prozent wittern „jüdische Eliten in internationalen Konzernen“ sogar hinter der aktuellen Inflation.

„Antizionismus“ als Quelle

Unter türkisch- und arabischsprachigen Teilnehmern zeigt sich deutlich, dass vor allem antizionistischer Antisemitismus eine erhebliche Rolle spielt. Etwa die Hälfte erklärte, ohne den Staat Israel gäbe es im Nahen Osten Frieden. Mehr als die Hälfte vergleicht Israels Politik gegenüber Palästinensern mit jener der Nazis gegenüber Juden. Dieser Auffassung hängt allerdings auch fast ein Drittel aller Befragten an. Insgesamt jeder fünfte Befragte und knapp 40 Prozent der türkisch- und arabischsprachigen Befragten erklärt, Juden seien an ihrer Verfolgung selbst schuld.

Sobotka betont, der Antisemitismus in Österreich sei kein bloßes Phänomen von Randgruppen. Er sei auch in der Mitte der Gesellschaft anzutreffen und habe zudem eine lange Geschichte. Tatsächlich reicht diese in Österreich weit zurück – auch wenn sich die Kontexte unterscheiden.

Religiöser Antijudaismus schon im Mittelalter

Die Präsenz jüdischer Gemeinden auf dem Gebiet des heutigen Österreich ist seit dem 10. Jahrhundert dokumentiert. Damals siedelten sich die ersten von ihnen im Burgenland und im östlichen Niederösterreich an. Dennoch war Antisemitismus in Österreich im Laufe der Geschichte jedoch stets in unterschiedlich stark ausgeprägter Form vorhanden. Über Jahrhunderte hinweg war vor allem der deutschsprachige Teil der Donaumonarchie stark katholisch geprägt.

Es gab zahlreiche Habsburger-Herrscher, die ein gewisses Maß an Toleranz gegenüber den jüdischen Gemeinden zeigten. Allerdings spielte immer auch ein religiös begründeter Antijudaismus eine bedeutende Rolle. Antisemitische Folklore wie der „Anderl von Rinn“-Kult hielt sich zum Teil bis ins späte 20. Jahrhundert.

Dazu kam vor allem im 19. Jahrhundert eine ideologisch motivierte Feindseligkeit gegenüber Juden. Diese ging etwa von radikalen Marxisten wie Eduard von Müller-Tellering aus. Dazu kamen damals aufkommende großdeutsche und völkische Nationalisten wie Georg von Schönerer.

Werben um frühere NSDAP-Mitglieder

Von etwa 180.000 Juden, die in der Zeit der Ersten Republik auf dem Gebiet der Republik Österreich lebten, waren nach Ende des Zweiten Weltkriegs nur noch etwa 5.000 übrig. Das Narrativ von Österreich als „erstem Opfer Hitlers“ konnte sich auch auf die „Moskauer Deklaration“ der Alliierten von 1943 stützen. Dieses und der Wunsch nach nationaler Versöhnung verhinderten jedoch lange Zeit eine kritische Aufarbeitung der eigenen Rolle im Holocaust.

Neonazismus war in Österreich nach 1945 streng verboten. Hingegen bemühten sich die Großparteien SPÖ und ÖVP schon früh um eine Eingliederung früherer NSDAP-Mitglieder. In der Sozialdemokratie spielte dabei der Bund Sozialistischer Akademiker (BSA) eine tragende Rolle.

Demgegenüber versuchte die „Oberweiser Konferenz“, 1949 ehemalige Nationalsozialisten für die Volkspartei zu gewinnen. Etwa 556.000 sogenannte Minderbelastete waren 1949 zu den Nationalratswahlen wieder wahlberechtigt. Neben den Großparteien warb vor allem der „Verband der Unabhängigen“ (VdU) um deren Stimmen. Dieser sah sich in der Tradition des deutschnationalen „Dritten Lagers“ und etablierte sich als Vorgängerpartei der FPÖ.

Schlussstrichmentalität kennzeichnete die Nachkriegszeit

Österreichs Juden blieben – ähnlich wie andere von den Nazis verfolgte Minderheiten, etwa die Roma – bei diesem nationalen Versöhnungsprozess hingegen außen vor. Schon bald machte sich eine parteiübergreifende Schlussstrichmentalität breit.

Dies galt auch für die Sozialdemokratie, in der viele säkularisierte österreichische Juden politische Karriere machten. Der populäre SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky entstammte selbst einer jüdischen Familie. Dennoch spielte er bei Bedarf mit antisemitischen Ressentiments.

Als er 1970 eine Minderheitsregierung bildete, ließ Kreisky diese von der FPÖ unter Führung des ehemaligen Waffen-SS-Obersturmführers Friedrich Peter tolerieren. Gleich vier Minister seines Kabinetts hatten vor 1945 einer nationalsozialistischen Organisation angehört. Als der bekannte Wiener Architekt Simon Wiesenthal dies öffentlich kritisierte, warf Kreisky dessen Dokumentationszentrum „Mafiamethoden“ vor.

Antisemitismus lange Zeit auch Teil der Außenpolitik

Feindseligkeit gegenüber Juden kennzeichnete lange Zeit auch die Außenpolitik der Zweiten Republik. Zwar nahm Österreich bereits 1956 – ein Jahr nach dem Staatsvertrag – diplomatische Beziehungen zu Israel auf, Kreisky suchte jedoch den Schulterschluss mit Feinden des Staates Israel wie der PLO. In ähnlicher Weise verhielt sich auch Kurt Waldheim parteiisch gegen den jüdischen Staat, als dieser von 1972 bis 1981 als Generalsekretär der Vereinten Nationen amtierte.

Die ÖVP stellte Waldheim 1986 als ihren Bundespräsidentschaftskandidaten auf. Als jüdische Organisationen Fragen zu dessen Rolle in der NS-Zeit aufwarfen, ging die Partei auf maximale Konfrontation. Sie spielte im Wahlkampf bewusst mit antisemitischen Stimmungen in der Bevölkerung. Mit Erfolg: Waldheim siegte in der Stichwahl.

Eine Wende in Bezug auf die Aufarbeitung der Vergangenheit und überkommenen Antisemitismus verbreitete sich in Österreich erst in den 1990er-Jahren. Bundeskanzler Franz Vranitzky und Waldheim-Nachfolger Thomas Klestil erkannten eine österreichische Mitverantwortung für den Holocaust an.

In der FPÖ bemühte sich HC Strache ab 2005, antisemitische Tendenzen in der Partei zurückzudrängen. Vertreter der jüdischen Gemeinden blieben jedoch skeptisch: Sie witterten in der veränderten Position zu Israel und dem Judentum eher den Versuch der Rechten, sich ein Alibi für Islamfeindlichkeit zu verschaffen.



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