Österreich: Ärztekammer warnt vor „Corona-Panik“ – Keine zweite Welle, sondern „Labor-Tsunami“

Die wieder steigende Zahl an Corona-Fällen weckt Ängste vor einem zweiten Lockdown. Allerdings mehren sich die Stimmen für einen besonnenen Umgang mit der Seuche. Oberösterreichs Ärztekammer warnt vor Panik, ein deutscher Mediziner bringt die Herdenimmunität ins Spiel.
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Corona-Hinweis an einer SchuleFoto: über dts Nachrichtenagentur
Von 27. September 2020

„Die Angst herausnehmen und aus der Schockstarre holen“ will die Oberösterreichische Ärztekammer mit Blick auf den Umgang mit der Corona-Krise. Die zuletzt wieder deutlich gestiegene Zahl an Infektionen in fast allen EU-Staaten hat zu einem Anstieg an Reisewarnungen und teilweise wieder zu Verschärfungen der Pandemie-Regeln geführt.

Diese Entwicklung hat vielerorts sogar zu Befürchtungen geführt, es könnte einen zweiten Lockdown wie im März und April des Jahres geben. Der Münchner Kardiologe Hans Theiss will sogar über das schwedische Modell nachdenken, das auf Herdenimmunität setzt.

Ärztekammer Oberösterreich spricht von „technischem Labor-Tsunami“

Im Gespräch mit dem Regionalzeitungsverbund tips.at erklärte der oberösterreichische Ärztekammerpräsident Peter Niedermoser, die steigenden Corona-Infektionszahlen seien kein Grund zur Panik. COVID-19 sei eine gefährliche Krankheit, an der man auch sterben könne, deshalb dürfe sie auch nicht bagatellisiert werden.

Dennoch seien die deutlich höheren Zahlen, so Niedermoser, auch bedingt durch die erheblich höhere Zahl an Tests. Es gäbe keine zweite Welle, sondern einen „technischen Labor-Tsunami“. Man brauche deshalb eine breitere Diskussion und mehr Meinungen in der Öffentlichkeit, „wir wissen jetzt wesentlich mehr als noch vor Beginn der Corona-Pandemie“. Außerdem dürfe man in Anbetracht generell höherer Virenaktivitäten im Herbst auch die anderen Krankheiten nicht aus dem Auge verlieren.

Corona gekommen, um zu bleiben

Franz Allerberger, Facharzt für Klinische Mikrobiologie und Hygiene sowie Leiter des Geschäftsfeldes Öffentliche Gesundheit der österreichischen Ernährungsagentur AGES, geht ebenfalls gegenüber „tips.at“ von einer etwa doppelt so hohen Mortalität wie im Fall der saisonalen Grippe aus.

Allerdings liege die Erkrankung damit immer noch deutlich unter der Gefährlichkeit der spanischen Grippe, von SARS oder MERS. Man werde sich in Zukunft daran gewöhnen müssen, mit dem Coronavirus zu leben: „COVID wird bleiben und sich zu den bekannten Krankheiten dazugesellen.“

Mehrere oberösterreichische Ärzte fordern, die Diagnostik sowie die Behandlung von Patienten wieder den Hausärzten zu überlassen. Dies beinhalte auch die Entscheidung bezüglich der Frage, inwieweit Symptome eines Patienten einen Test auf Corona überhaupt rechtfertigen.

Bereits jetzt seien von 1.000 in Oberösterreich durchgeführten COVID-Tests etwa 977 negativ. Zu Beginn der Krise, so meint Ärztekammer-Funktionär Wolfgang Ziegler, seien die Hausärzte auf dem falschen Fuß erwischt worden. Sie hätten auch kaum Schutzausrüstung gehabt.

Ordinationen mittlerweile gerüstet

Mittlerweile seien sie aber gut gerüstet und könnten mithilfe von eigenen Sicherheitskonzepten die Ansteckungsgefahr minimieren. Es dürfe, so Ziegler, nie wieder zu einer Situation kommen, in der Menschen mit chronischen Krankheiten aus Angst nicht mehr zum Arzt gegangen seien. Die Vorsorge, darin sind sich die befragten Ärzte einig, dürfe nicht vernachlässigt werden, das gelte auch für Menschen, die von anderen Krankheiten betroffen seien.

Generell könnten die Bürger selbst in Eigenverantwortung das Erforderliche tun, um eine Corona-Infektion zu vermeiden. Rainer Gattringer, Leiter des Instituts für Hygiene und Mikrobiologie am Klinikum Wels-Grieskirchen, mahnt zu Händehygiene, richtiger Etikette beim Husten und Niesen und die Einhaltung der Abstandsregeln. Masken zu tragen in geschlossenen Räumen sei ebenfalls sinnvoll, wenn der Abstand nicht eingehalten werden könne.

Im Freien sei der Mundschutz jedoch nur äußerst selten erforderlich: „Die Maßnahmen sollen jedoch immer der Infektionsgefahr angemessen sein.“

Nicht jeder positive Test sagt auch aus, ob jemand krank oder gar ansteckend sei

Petra Apfalter, Leiterin des Instituts für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin am Ordensklinikum Linz, warnt zudem davor, die Aussagekraft von positiven Tests überzubewerten. Die dazugehörige Diagnose müsse der jeweilige Arzt für den jeweiligen Patienten ausstellen. Deshalb müsse die Medizin wieder ein Monopol bezüglich der Tests bekommen.

„Nicht jeder nachgewiesene Erreger macht alle Menschen krank oder gleich krank“, betont die Ärztin. Ein positiver Test helfe grundsätzlich nur, gesunde von kranken Menschen zu unterscheiden. Er sage jedoch nichts darüber aus, ob die Virenkonzentration im Körper des Patienten hoch genug sei, um diesen tatsächlich zu einem Erkrankten zu machen – und vor allem sage er nichts über eine mögliche Ansteckungsgefahr aus.

Theiss: „Kontrollierte Durchseuchung“ nötig

Der Professor für Kardiologie im Münchner Klinikum Großhadern, Hans Theiss, fordert unterdessen in einem Beitrag auf Instagram, eine „kontrollierte Durchseuchung“. Man wisse nicht, wie sich die Pandemie weiterentwickle und wie lange es dauern werde, um tatsächlich einen wirksamen Impfstoff gefunden zu haben. Die Kliniken sollten jedoch mittlerweile für alle Fälle gerüstet sein, über ausreichend Intensivplätze, Beatmungsmaschinen und Masken verfügen und ihre Strukturen ausgebaut haben:

Keiner weiß genau, wann es eine verlässliche Covid-19-Impfung für die breite Bevölkerung geben wird. Wir müssen uns darauf einstellen, dass dies bis nächstes Jahr dauern kann. Das bedeutet, dass wir wohl nicht umhinkommen, eine konstante Infektion der Menschen Schritt für Schritt zuzulassen (den Ausdruck ‚kontrollierte Durchseuchung‘ finde ich schrecklich, aber er trifft es leider).“

Er finde es „unfair und teilweise heuchlerisch“, so Theiss, „Existenzängste und Gesundheitsängste gegeneinander auszuspielen“. Mit dem Argument, Leben zu retten gehe vor, hätte man schon vor Jahren Maßnahmen setzen können, die man tatsächlich oft aus Kostengründen unterlassen hätte – von der Verbesserung der Pflege und der medizinischen Versorgung des ländlichen Raumes über mehr Medizinstudienplätze bis hin zu Investitionen in die Forschung.

Nun aber sei es an der Zeit, endlich in den Parlamenten und der Öffentlichkeit eine offene Debatte über eine Exit-Strategie zu führen:

Aus der Wissenschaft weiß ich, dass nur derjenige die Diskussion scheut, der nicht an seine Hypothese und die eigenen Ergebnisse glaubt. Diese Debatte gehört unbedingt in die Parlamente und in die Öffentlichkeit – nur so werden wir die unglaubliche Motivation und Geschlossenheit der Menschen über die nächsten Monate erhalten können!“

Drosten: Herdenimmunität in Deutschland erst am Anfang

Jenes Land in Europa, das bisher am konsequentesten auf das Konzept der Herdenimmunität setzte, war Schweden. Der Gedanke dahinter ist, die Bevölkerung indirekt durch breite Immunisierung vor der Ansteckung zu schützen, indem man zulasse, dass sich das Virus außerhalb von Risikogruppen verbreite.

Wenn ein ausreichend hoher Prozentsatz bereits einmal niederschwellig durch das Virus infiziert geworden wäre und Antikörper gebildet habe, sei eine exponentielle Ausbreitung nicht mehr wahrscheinlich – die Fachwelt geht von 70 Prozent als einem Anteil aus, der erforderlich wäre, dass dieser Effekt eintrete.

Tatsächlich hat Schweden die Zahl seiner Infizierten verhältnismäßig stabil halten können – wenn auch die Mortalität über die ersten Monate hinweg deutlich höher war als in Ländern wie Österreich, wo sich die Zahl der Infizierten in dieser Zeit etwa auf dem gleichen Level bewegt hatte. In Deutschland sei man diesbezüglich allerdings bestenfalls am Anfang, erklärt Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité, gegenüber dem „Münchner Merkur“.

Drosten verweist auf eine groß angelegte kalifornische Studie, im Zuge derer nur bei 2,8 Prozent der 3.300 Studienteilnehmer Coronavirus-Antikörper nachgewiesen werden konnten. Dieses Ergebnis ließe sich auch auf Deutschland übertragen: „Wir haben im ganz niedrig einstelligen Bereich die Antikörper-Prävalenz.“



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