Österreich: Katzenjammer an der Grünen-Basis – kein „Systemwechsel“, Kammerrat fühlt sich „verhöhnt“

Am Dienstag wurde die neue schwarz-grüne Regierung in Österreich offiziell von Bundespräsident Alexander van der Bellen in der Wiener Hofburg vereidigt. In die demonstrative Harmonie der Parteispitzen mengen sich erste Unmutsbekundungen an der Basis.
Von 7. Januar 2020

Seit dem heutigen Dienstag (7.1.) ist die neue österreichische Bundesregierung offiziell im Amt. Der alte und neue Bundeskanzler Sebastian Kurz verspricht sich von seinem schwarz-grünen Kabinett einen „neuen Weg der Zusammenarbeit“, der „demokratiepolitisch sehr modern und zukunftsträchtig“ sei. So äußerte er es erst jüngst gegenüber der „Bild“-Zeitung.

Auch sein Vizekanzler, Grünen-Sprecher Werner Kogler, zeigte sich im Vorfeld der heutigen Vereidigung zuversichtlich – nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer Rückendeckung von mehr als 93 Prozent der Delegierten des Bundeskongresses, die er für ein „Ja“ zum Koalitionspakt mit der ÖVP gewinnen konnte.

Die Stimmung unter den grünen Delegierten scheint jedoch nicht in jedem Fall mit jener an der Basis der Partei konformzugehen – und möglicherweise scheinen auch nicht alle Abgeordneten, die über die Parteilisten ins Parlament gewählt wurden, mit der Entwicklung uneingeschränkt zufrieden zu sein.

Vorerst keine „gerechtere, feministische Welt“

Die als Nummer fünf der Wiener Landesliste in den Nationalrat gewählte Trägerin des „Johanna-Dohnal-Förderpreises“ und Autorin der Diplomarbeit mit dem Titel „Migrantische Sexarbeiterinnen – Überschreiterinnen des Erlaubten: feministische Positionen in Österreich zu Prostitution*Sexarbeit“, Faika El-Nagashi, dachte offenbar sogar über einen Parteiaustritt nach.

Auf Facebook bekennt sie, dass es „nicht meine Weltanschauung“ sei, die das schwarz-grüne Regierungsprogramm kennzeichne.

Die Hoffnung auf einen „Systemwechsel“ hin zu einer „gerechteren, inklusiven, feministischen, friedlichen, nachhaltigen Welt“, die sie mit dem Zerbrechen der türkis-blauen Koalition infolge der „Ibiza“-Affäre verbunden habe, sieht sie enttäuscht:

„Es gibt nichts zu beschönigen. […] In diesem Regierungsprogramm ist nicht die Menschenrechtspolitik, für die ich stehe und es zeichnet nicht die Welt, für die ich kämpfe.“
Am Ende hätte ein Regierungsprogramm gestanden, das trotz all dem, was rausverhandelt worden sei, „Geflüchteten ihre Menschenrechte, Migrant*innen die Augenhöhe und muslimischen Communities den Respekt verwehrt“ habe.

„Ausverhandelter Regierungspragmatismus“ lässt Gewerkschafter das Handtuch werfen

Die äußerste Konsequenz wolle sie zwar (noch?) nicht ziehen und sie habe auch als Verhandlerin, wie sie „Österreich“ gegenüber erklärt, für die Regierungsbeteiligung gestimmt.

Es werde aber die Proteste der „lauten Stimmen der Zivilgesellschaft“ und die Kritik an der Regierungspolitik weiter brauchen und für diese wolle sie weiterhin als Ansprechpartnerin zur Verfügung stehen.

Auch der Bundessekretär der „Unabhängigen Gewerkschafterinnen/UG-Vida“ und Arbeiterkammerrat der AUGE/UG, Herbert Orsolits, hat auf Facebook seiner Enttäuschung über die Inhalte des schwarz-grünen Regierungsprogramms freien Lauf gelassen.

In einem offenen Brief an den „lieben Werner“ wirft er diesem vor, in „ausverhandeltem Regierungspragmatismus […] unsere Werte spürbar hinter die Verlockungen von Macht und Ämtern“ zu reihen. Dies sei „die politische Antithese zu vielen bisherigen grünen Überzeugungen“.

Während AUGE/UG-Gewerkschafter früher für eine 30-Stunden-Woche gekämpft hätten, würde die grüne Regierungspartei die „‘freiwillige‘ 12-Stunden-Tag-Ausbeuterei“ totschweigen. Orsolits spielt damit auf die von türkis-blau geschaffene Regelung an, die es Arbeitnehmern und Arbeitgebern ermöglicht, die Tagesarbeitszeit über einen bestimmten Durchrechnungszeitraum hinweg ohne Zuschläge bis zu 12 Stunden zu erhöhen – um im Gegenzug Überstunden gegen Freizeitausgleich ansammeln zu können. Entgegen weit verbreiteten Darstellungen, die Regierung habe damit eine „60-Stunden-Woche“ ermöglicht, änderte sich an der gesetzlich oder tariflich normierten höchstzulässigen Gesamtarbeitszeit nichts.

Österreichs Grüne bangen um linkes Profil

Am Ende seines Schreibens erklärte Orsolits, fortan seine Funktionen ruhen zu lassen und die Grünen nicht mehr zu wählen:

„Lieber Werner! Die Polizei findet 56 mal, Asyl 49 mal, Armut 33 mal und (leistbares) Wohnen gerade sechs Mal Eingang ins Regierungsprogramm. Das mag euer künftiges gesellschaftspolitisches Verständnis sein. Als Arbeitnehmer und Gewerkschafter fühle ich mich mit diesem ‚Kompromiss‘ für jahrelangen Einsatz in der grünen Bewegung verhöhnt und lege mit sofortiger Wirkung alle Ämter, die mit politischem Einfluss verknüpft sind, zurück. Gruß von einem schwer enttäuschten Mitstreiter und zukünftigen Nichtwähler!“

Das Gewicht der AUGE/UG ist sowohl in der österreichischen Arbeiterschaft als auch in der grünen Partei überschaubar. Bei den Wahlen zur „Kammer für Arbeiter und Angestellte“, deren Pflichtmitglied jeder unselbstständig Erwerbstätige in Österreich ist, kam die grüne Wahlplattform bundesweit auf 5,4 Prozent – bei einer Wahlbeteiligung von lediglich 33 Prozent.

In Österreich, wo die ÖVP sich auf Bundesebene seit ihrem Wiedererstarken unter der Führung von Sebastian Kurz regelmäßig aussuchen kann, mit wem sie Mehrheiten bildet, sind es augenscheinlich die Grünen, die um ihr linkes Profil fürchten.

Bundestag: Abgeordnete machen gegen Schwarz-Grün in Deutschland mobil

In Deutschland hingegen, wo die CDU sich programmatisch seit Jahren auf die Grünen zubewegt, mit dem traditionellen Koalitionspartner FDP über keine Aussicht auf eigene Mehrheiten mehr verfügt und eine Zusammenarbeit mit rechtsstehenden Kräften ausgeschlossen hat, sorgen sich schwarz-gelbe Abgeordnete um einen vollständigen Verlust des eigenen bürgerlichen Profils im Fall eines schwarz-grünen Bündnisses. Ein solches gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Schwäche der SPD nach der nächsten Bundestagswahl als wahrscheinlich. Derzeit wären CDU, CSU und SPD zusammen deutlich von einer gemeinsamen Mehrheit entfernt.

Im Bundestag haben nun, wie der Deutschlandfunk berichtet, Abgeordnete von CDU, CSU und FDP einen „Liberal-konservativen Kreis“ (LKK) ins Leben gerufen. Dieser wolle eigenen Angaben zufolge vor allem bei den Themen Energie und Wirtschaft klare liberal-konservative Positionen für die Zeit nach Angela Merkel formulieren.

Unter anderem wolle man einen „gleichzeitigen Ausstieg aus grundlastfähigen Kohle- und Kernkraftwerken“ infrage stellen. Bis dato hat der LKK 15 Unterstützer, unter ihnen Ex-Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU).



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