Polen beschwert sich bei Pfizer über Impfstoffschwemme

Zu viel bestellte Impfstoffe werden stapelweise entsorgt. Die polnische Regierung hat sich direkt an den Profitriesen Pfizer gewandt: Es sei höchste Zeit, die Verträge mit den realen Bedürfnissen in Einklang zu bringen.
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„Die Wissenschaft wird gewinnen“ – Manhattan, New York, vor dem Hauptsitz von Pfizer in Midtown.Foto: iStock
Von 4. Mai 2023

Millionen von Impfstoffen liegen ungenutzt und mit einem abgelaufenen Haltbarkeitsdatum in den europäischen Lagern. Während die Nachfrage weiter sinkt, fällt es den Impfstoffherstellern schwer, sich von früheren Vereinbarungen zu lösen. Denn auf ihren Gewinn wollen sie nicht verzichten.

Die polnische Regierung ist nun so weit, dass sie unter Bruch eines früheren Geheimabkommens einen offenen Brief an Pfizer schickte. „Geschäft ist nicht nur und nicht immer Geld, sondern auch Verantwortung, besonders wenn es um die öffentliche Gesundheit geht“, kommentierte der polnische Gesundheitsminister Adam Niedzielski sein auf Twitter veröffentlichtes Schreiben vom 2. Mai.

Der Grund für die Beschwerde belastet auch die Deutschen. Laut einem Bericht des „Bayerischen Rundfunks“ (BR24) vom Januar beläuft sich die Zahl der abgelaufenen und unbenutzten Impfstoffe allein in Deutschland auf 36,6 Millionen. In Österreich gab die Gesundheitsministerin zuvor an, dass 17,5 Millionen Dosen nicht genutzt wurden.

Mangel an gutem Willen

Das Unternehmen Pfizer Inc. habe mit der Entwicklung seines Impfstoffs tatsächlich einen großen Beitrag für die Menschheit geleistet. Wahrscheinlich habe er Millionen Leben gerettet, schreibt der polnische Minister Niedzielski. Er fügt hinzu, dass „Profit in der Geschäftswelt auch seine Grenzen haben sollte“.

Von welchen Grenzen wird gesprochen? In der Wirtschaft gibt es so etwas wie einen guten Willen. Er ist der Wille hinter jeder Transaktion, die als gültig anerkannt wird. Fehlt er, dann entsteht eine Situation, die von der Moral der Gesellschaft abgelehnt wird.

In dem Brief weist Niedzielski auf den Mangel an gutem Willen von Pfizer gegenüber Polen und anderen EU-Ländern hin. Trotz der stabilen epidemiologischen Situation sei das Unternehmen nicht bereit, ausreichend Flexibilität zu zeigen und faire Änderungen an bereits geschlossenen Verträgen vorzunehmen. Es will Hunderte Millionen weiterer Impfstoffe liefern, was zu einem enormen Überangebot und unnötigen Ausgaben führt.

Niedzielski verweist auf die veränderte Situation, die zum einen in der Stabilisierung der Pandemiegefahr und zum anderen im Krieg besteht. In diesem Zusammenhang verursacht nicht nur die Inflation unvorhergesehene Schwierigkeiten, sondern auch die Gesundheitsversorgung einer großen Anzahl von Flüchtlingen.

„Pfizer ist trotz meiner Bemühungen um einen Kompromiss nicht bereit, ein zufriedenstellendes Maß an Flexibilität zu zeigen und realistische Vorschläge als Reaktion auf die veränderte (Gesundheits-)Situation in Europa zu machen“, heißt es in Niedzielskis offenem Brief.

Weitere halbe Milliarde Impfstoffe in Sicht

Noch ist es nicht zu spät, die Verträge neu zu verhandeln. Die zu liefernde Menge ist immer noch riesig. Gemäß dem ursprünglichen Vertrag hat die Europäische Kommission zuletzt 1,1 Milliarden Impfstoffe bestellt. In diesem Jahr sollte etwa eine halbe Milliarde davon in die EU-Länder gelangen. Die Neuverhandlung der gemeinsamen Impfstoffbeschaffung wird daher von Polen mit Hochdruck vorangetrieben, schreibt „Politico“.

Auch die Europäische Kommission verhandelt mit Pfizer, hat aber bisher noch keinen für alle Parteien akzeptablen Vorschlag erhalten. Die Firma weigere sich, eine Mengenreduzierung zu einem fairen Preis zu akzeptieren.

Nach Angaben des polnischen Ministers sieht der aktuelle Vorschlag des Unternehmens zwar eine Reduzierung der Impfstoffdosen vor, die Länder müssten allerdings weiterhin eine Stornogebühr zahlen. Diese Gebühr entspricht der Hälfte des Preises für eine Dosis, die noch nicht produziert wurde. Niedzielski meint, dies sei einfach kein realistischer Vorschlag.

„Anstelle eines echten humanitären Ansatzes erklärt das Unternehmen in der Wahrheit nur seine Bereitschaft zum Dialog“, schrieb der Minister über die Verhandlungen.

Niedzielski versicherte dem Pharmaunternehmen in dem Brief, dass die polnische Regierung das Unternehmen weiterhin als zuverlässigen Partner ansieht. Er vertraut auf den grundsätzlichen guten Willen des Unternehmens. Schließlich sollte die Pharmaindustrie selbst eine Branche sein, die sich für humanitäre Zwecke einsetzt.

Er fügte jedoch hinzu, dass „die Zerstörung von Impfstoffen, auf denen das Pfizer-Logo prangt, niemandem helfen würde, zu behaupten, dass eine Lösung gefunden worden sei“.

Was passiert mit dem riesigen Überschuss?

Die Haltbarkeit der Impfstoffe ist begrenzt. Wenn sie nicht innerhalb dieser Zeit angewendet werden können, dürfen sie nicht mehr eingesetzt werden. Um diese Art von finanziellem Verlust zu vermeiden, haben Käufer versucht, ihre Übermengen an Impfstoffen zu verkaufen oder zu verschenken. Der polnische Minister wies darauf hin, dass die EU die überschüssigen Dosen nicht nutzen kann, um sie einem anderen Teil der Welt zu spenden:

Im Moment gibt es keine Regierung, die daran interessiert ist, Spenden von COVID-19-Impfstoff anzunehmen.”

Laut einem Bericht in der „Welt“ hat die Europäische Union bisher insgesamt 4,2 Milliarden Dosen Impfstoff bestellt. Bei dieser Menge wird davon ausgegangen, dass jeder EU-Bürger neunmal geimpft wird. Allerdings ist noch nicht einmal ein Viertel der bestellten Menge tatsächlich zum Einsatz gekommen.

Die Überbestellung wird nicht nur von der polnischen Regierung heftig beanstandet. Im März dieses Jahres gaben Bulgarien, Polen, Litauen und Ungarn eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie sich auch weigerten, die zusätzlichen Bestellmengen zu akzeptieren.

Die EU-Kommission wurde von ihnen einvernehmlich dazu aufgefordert, neue Vertragsanpassungen auszuhandeln, die dem realen Bedarf entsprechen.



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