Porträt: „Mr.Brexit“ Boris Johnson kneift – möchte nicht Premier werden

Es gibt Stimmen, die meinen, Johnson habe vor der Abstimmung persönlich nicht wirklich mit dem Brexit gerechnet, nicht geglaubt, dass das Referendum mit einem Sieg der EU-Gegner endet.
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Er will nicht: Boris Johnson bei der Pressekonferenz, bei der er seinen Verzicht auf die Kandidatur als Tory-Vorsitzender erklärt.Foto:  Mary Turner/dpa
Epoch Times1. Juli 2016
Allein der Auftritt des Boris Johnson an diesem Donnerstag ist Hollywood-reif. Um Mittag endet die Bewerbungsfrist für die Nachfolge von Premier David Cameron. Buchstäblich bis zur letzten Minute wartet „Mr. Brexit“, bis er vor die Kameras tritt.

Lange spricht er, geschickt erhöht er die Spannung, lobt seine Erfolge als Londoner Bürgermeister, genießt den Applaus des Publikums, beschreibt die goldene Zukunft, die jetzt vor Großbritannien liegt.

Doch dann, am Ende seiner Rede, beiläufig beinahe, lässt er die Bombe platzen. Er sei nicht derjenige, der das Land nach dem EU-Referendum führen sollte. „Ich bin zu dem Schluss gekommen, diese Person kann ich nicht sein“, sagt er.

Einige seiner Getreuen bei der Pressekonferenz brechen in Tränen aus. Millionen Briten, die vor einer Woche „Austritt“ gewählt haben, können sich nur die Augen reiben – ihr Idol kneift. Die Frage steht: Ist Johnson die „Drecksarbeit“ nach dem Brexit zuviel? Scheut er eine Schlappe bei der Wahl?

Zeitweise schien die Nachfolgefrage schon so gut wie gelaufen, der Ex-Bürgermeister als klarer Favorit, dem niemand im Tory-Lager das Wasser reichen kann. Besitzt der Mann mit den weißblonden Strubbel-Haaren nicht alle Vorteile, die man für Rennen um Downing Street 10 braucht? Beim Volk gilt er als extrem populär, vor Kameras macht er eine Top-Figur, reden kann er wie nur wenige – und schließlich war er das Gesicht des “Brexit-Lagers“, für den Sieg des „Nein“ zu Europa maßgeblich verantwortlich.

Doch dann, am Donnerstagmorgen, genau eine Woche nach dem Votum, kommt Gegenwind auf. Nicht nur, dass mit Justizminister Michael Gove und Innenministerin Theresa May zwei starke Konkurrenten ihre Kandidatur anmelden.

Sie haben zugleich den Dolch im Gewand, sprechen Johnson rundweg Führungsfähigkeit und Charakter ab. „Ich kenne einige Politiker, die hohe Posten anstreben, weil sie von ideologischer Inbrunst getrieben sind“, sagt May vor laufenden Kameras.

May spricht die Worte ganz ruhig – doch sie weiß, dass sie in Wahrheit ein Stich in Johnsons Rücken sind. Ein Ideologe und Überzeugungstäter in Downing Street 10 – für die pragmatischen und unideologischen Briten schlichtweg ein Unding.

Plötzlich wird Johnsons Schwäche, die im Tohuwabohu des Wahlkampfs so gerne übersehen wurde, zum Problem. Der Populist ist unter den Tory-Abgeordneten gar nicht sonderlich populär, hat keine echte Hausmacht. Hier können Gove und May zu gefährlichen Gegnern werden.

Doch gibt es auch tiefere Gründe, stehen ganz andere Motive hinter dem Kneifen? War der wortmächtige „Mr. Brexit“, der sonst keine Kamera auslässt, nicht nach dem Votum abgetaucht – so, als müsste er erst einmal selbst das Ergebnis verdauen?

Es gibt Stimmen, die meinen, Johnson habe vor der Abstimmung persönlich nicht wirklich mit dem Brexit gerechnet, nicht geglaubt, dass das Referendum mit einem Sieg der EU-Gegner endet.

Es gibt Spekulationen, „Mr. Brexit“ habe auf ein ganz anderes Szenario gesetzt: Die EU-Befürworter gewinnen knapp, um die Partei zu versöhnen, bildet Cameron sein Kabinett um – und Johnson kriegt einen hohen Posten. Ganz nebenbei würde er damit aussichtsreicher Kandidat für die nächsten Wahlen.

Bemerkenswert: Bereits in der Wahlnacht hatten Johnson und rund 80 Tory-Abgeordnete Cameron in einem Brief aufgerufen, auch bei einem Brexit-Sieg im Amt zu bleiben. Mehr noch, Johnson schlug vor, Cameron solle die unangenehmen Austrittsverhandlungen mit Brüssel führen – als wolle sich Johnson mit einer solchen Kärrnerarbeit nicht die Hände schmutzig machen.

(dpa)

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