Raketeneinschläge in Polen: Erhöhte Armeebereitschaft – Botschafter einbestellt

Auf polnischer Seite kamen zwei Menschen ums Leben – eine Rakete russischer Produktion ist im grenznahen Dorf Przewodow niedergegangen, teilte das polnische Außenministerium mit. NATO, G20, Regierungen und diplomatische Ebenen beraten den Vorfall.
Titelbild
Eine MiG29 Fulcrum der polnischen Armee.Foto: Stock
Epoch Times16. November 2022

Polen versetzte nach dem Einschlag einer Rakete russischer Bauart Einheiten in einem grenznahen Dorf seine Armee in erhöhte Alarmbereitschaft. Der russische Botschafter wurde einbestellt.

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki rief den Sicherheitsrat zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, wie die polnische Nachrichtenagentur PAP berichtete. Regierungssprecher Piotr Müller warnte allerdings davor, ungeprüfte Informationen zu verbreiten. Alle Informationen aus dem Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung der polnischen Regierung sollten später auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, kündigte er laut PAP an.

Die Nato berät ihrerseits über den Vorfall. Sie hat eine Dringlichkeitssitzung auf Ebene der Botschafter angesetzt. US-Präsident Joe Biden bezeichnete es als unwahrscheinlich, dass das Geschoss aus Russland abgefeuert worden sei.

Lettland und Ungarn rufen ihre Gremien zu dringenden Sitzungen zusammen – auch auf dem G20-Gipfel kommt es zu einem Krisentreffen.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat den G20-Gipfel vorzeitig verlassen. Die Abreise sei nach Informationen des russischen Staatsfernsehens im Vorfeld für Dienstagabend geplant gewesen. Ein Grund wurde nicht genannt.

Polens Regierungschef beruft Sicherheitsrat ein

Der private polnische Radiosender Zet berichtete am gestrigen Abend, zwei verirrte Raketen seien in einem polnischen Dorf Przewodow nahe der Grenze eingeschlagen. Die russische Armee hatte am Dienstag nach Kiewer Angaben die Ukraine mit über 90 Raketen und Marschflugkörpern beschossen. Auch die westukrainische Stadt Lwiw war nach Behördenangaben am Dienstag Ziel russischer Angriffe gewesen. Bürgermeister Andrij Sadowij sprach von Schäden am Energiesystem.

Die Google-Earth-Luftaufnahme zeigt die Region um den Ort Przewodow in Polen nahe der Grenze zur Ukraine (rechts). In dem polnischen Ort sind bei einer Explosion auf einem landwirtschaftlichen Betrieb zwei Menschen ums Leben gekommen.

Die Google-Earth-Luftaufnahme zeigt die Region um den Ort Przewodow in Polen nahe der Grenze zur Ukraine (rechts). In dem polnischen Ort sind bei einer Explosion auf einem landwirtschaftlichen Betrieb zwei Menschen ums Leben gekommen. Foto: —/google earth/dpa

Washington prüft die Lage

Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums erklärte, Washington prüfe die Berichte. „Wir kennen die Presseberichte, wonach zwei russische Raketen einen Ort in Polen oder an der ukrainischen Grenze getroffen haben“, sagte Pentagon-Sprecher Pat Ryder.

Auch die Nato geht den Berichten über mögliche russische Raketeneinschläge in Polen nach. „Wir prüfen diese Berichte und stimmen uns eng mit unserem Verbündeten Polen ab“, sagte ein Nato-Verantwortlicher am Dienstag in Brüssel.

Nach Angaben aus dem Bündnis könnte sich die Regierung in Warschau theoretisch auf Artikel 4 des Nordatlantik-Vertrags berufen und eine Aussprache der 30 Verbündeten verlangen. Eine solche Entscheidung sei aber noch nicht gefallen, hieß es in Brüssel.

In Artikel 4 sichern sich die Nato-Staaten „Konsultationen“ in allen Fällen zu, in denen ein Mitglied „seine territoriale Integrität, politische Unabhängigkeit oder Sicherheit“ gefährdet sieht. Daraus gehen aber nicht zwingend gemeinsame Schritte hervor.

Artikel 4 ist deutlich weniger weitreichend als der in Artikel 5 geregelte Bündnisfall. Dieser sieht im Falle eines „bewaffneten Angriffs“ auf einen oder mehrere Mitgliedstaaten eine kollektive Antwort vor. Artikel 5 wurde in der 73-jährigen Nato-Geschichte nur ein einziges Mal von einem Mitgliedsland bemüht: Von den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

In Polen, das sich regelmäßig an Nato-Missionen beteiligt, sind rund 10.000 US-Militärangehörige stationiert. Der Schutz des US-Personals werde „sehr ernst“ genommen, sagte Pentagon-Sprecher Ryder.

Russland spricht von „Provokation“

Das Verteidigungsministerium in Moskau wies die Berichte über den angeblichen Einschlag in Polen am Abend des 15. November als „gezielte Provokation“ zurück. Es seien keine Ziele im ukrainisch-polnischen Grenzgebiet beschossen worden, teilte das Ministerium mit. Auch die in polnischen Medien verbreiteten Fotos angeblicher Trümmerteile hätten nichts mit russischen Waffensystemen zu tun, hieß es weiter.

Sollte sich bewahrheiten, dass die Explosion von Raketen ausgelöst wurde, wäre das der erste derartige Vorfall in dem seit fast neun Monaten dauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Selensky beschuldigt Russland

Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj hat Russland beschuldigt, Raketen auf den Nato-Staat Polen abgefeuert und damit eine „sehr erhebliche Eskalation“ herbeigeführt zu haben. „Heute haben russische Raketen Polen getroffen, das Territorium eines verbündeten Landes. Menschen starben. Bitte nehmen Sie unsere Beileidsbekundung an“, sagte Selenskyj am Dienstag in seiner abendlichen Videoansprache.

Das Abfeuern von Raketen auf Nato-Territorium sei „ein Angriff Russlands auf die kollektive Sicherheit“, sagte der ukrainische Präsident. „Dies bedeutet eine sehr erhebliche Eskalation. Wir müssen handeln“, sagte Selenskyj. Je länger sich Russland unanfechtbar fühle, desto größer würden die Bedrohungen für alle, die sich in der Reichweite russischer Raketen befänden.

Zuvor hatte es unbestätigte Berichte gegeben, wonach russische Raketen auf polnischen Gebiet eingeschlagen sind. Das Pentagon in Washington und die Nato in Brüssel bestätigten die Berichte zunächst nicht und erklärten, sie würden geprüft.

Die Bundesregierung verfolgt nach den Worten von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) „aufmerksam“ die Lage. Berlin stehe in Kontakt mit der Regierung in Warschau und der Nato, schrieb Baerbock am Dienstagabend auf Englisch und Polnisch auf Twitter. „Meine Gedanken sind bei Polen, unserem engen Verbündeten und Nachbarn.“  (afp/dpa/ks)

 



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