„Schicksalsgemeinschaft“: EU will durch Corona-Wiederaufbau offenbar eigene Steuerhoheit ausweiten
Am heutigen Mittwoch (27.5.) will EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in Brüssel erste Details dazu nennen, wie das hunderte Milliarde Euro schwere Programm der EU zum Wiederaufbau angeschlagener Volkswirtschaften nach der Corona-Krise aussehen soll. Ein Weg dazu sollen offenbar neue Steuern und Abgaben sein, die der Kommission direkt zugutekommen.
Wie die Deutsche Presse-Agentur in Erfahrung brachte, treffen Berichte der „Financial Times“ zu, wonach Brüssel zur Finanzierung des eigenen Wiederaufbauprogramms neue Einnahmen aus Steuern und Abgaben fordern wird.
Als mögliche Wege dazu wurden eine Ausweitung des Europäischen Emissionshandels genannt, aber auch die Schaffung neuer direkter Steuern wie einer Digitalsteuer oder einer Plastikabgabe, die der EU selbst zufließen würden.
Neue Steuern und Abgaben sollen tragende Rolle spielen
Wie der „Focus“ schildert, soll das Konzept, das von der Leyen präsentieren will, einige Elemente aufweisen, die auch der in der Vorwoche präsentierte Plan von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron enthielt.
Diese hatten vorgeschlagen, die EU-Kommission sollte auf dem Kapitalmarkt 500 Millionen Euro aufnehmen, um vor allem die besonders stark vom Coronavirus heimgesuchten südeuropäischen Mitgliedstaaten durch Zuwendungen zu unterstützen. Die Schulden sollten aus dem EU-Budget beglichen werden – und damit anteilig von den Nationalstaaten, abhängig von ihrem jeweils vorgesehen Beitrag.
Von der Leyens Wiederaufbauplan soll bereits mit der mehrjährigen EU-Finanzplanung für 2021 bis 2027 verknüpft sein. Auch sie will einen Teil der Ausgaben, die Corona-bedingt auf die Staatengemeinschaft zukommen, über den Kapitalmarkt finanzieren.
Aber es sollen nach ihrem Willen offenbar auch Steuerkonstruktionen eine Rolle spielen – insbesondere solche, die eine „grünere“ Wirtschaft und die Digitalisierung fördern. Beides hatte von der Leyen als Arbeitsschwerpunkte für ihre Kommissionspräsidentschaft benannt.
Forderung nach Krediten als „Provokation“
Genaue Zahlen sollen heute präsentiert werden. Ein erheblicher Teil der Mittel aus dem Wiederaufbau-Plan soll in Form von Investitionszuschüssen vergeben werden. Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark hatten dagegen jüngst Vorbehalte geäußert.
Sie beharren auf Krediten als angemessener Form der Vergabe von Hilfsmitteln – und darauf, dass diese von den Empfängerstaaten zurückbezahlt werden sollten. Osteuropäische Staaten verlangten zudem eine Überarbeitung der Kriterien für die Vergabe der Zuwendungen.
Hatte die deutsche Bundesregierung anfänglich noch selbst die Vergabe kreditfinanzierter Mittel ohne Rückzahlungsverpflichtung abgelehnt, spricht CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen mittlerweile im Zusammenhang mit der Position Österreichs und der drei übrigen Rückzahlungsbefürworter von einer „Provokation“.
Gegenüber der „Passauer Neuen Presse“ erklärte er, es wäre eine „Verschärfung der Situation“, Ländern wie Italien oder Spanien, die erst jüngst massive Sparprogramme zum Schuldenabbau zu absolvieren hatten, neue Schulden aufzubürden.
Am Höhepunkt der Corona-Krise Mehrheit für EU-Austritt in Italien
Für ihre nunmehrige Kehrtwende erhält Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht nur Zuspruch aus Staaten wie Griechenland, wo Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis gegenüber „Bild TV“ seinen „großen Respekt“ für die Kanzlerin zum Ausdruck bringt, sondern auch aus der äußersten politischen Linken im eigenen Land.
Linkspartei-Europapolitiker Martin Schirdewan erklärt, die Neuaufstellung von Merkels EU-Schuldenpolitik sei „eines ihrer spektakulären politischen Manöver“. Die am 1. Juli beginnende deutsche Ratspräsidentschaft werden für Merkel „ihre Chance, ihr europapolitisches Erbe zu definieren“.
Ein Grund für die Kehrtwende könnten insbesondere die im Laufe der Corona-Krise in den Keller gestürzten Beliebtheitswerte der EU im Allgemeinen und Deutschlands im Besonderen sein, die vor allem im besonders stark von Corona betroffenen Italien zu verzeichnen waren.
Umfragen zum Höhepunkt der Krise hatten dort Mehrheiten für einen Austritt des Landes aus der EU ergeben. Gleichzeitig stieg das Vertrauen in das totalitäre KP-Regime in China, das die konzeptlose Reaktion der EU auf den Corona-Ausbruch nutzte, um sich mittels seiner Maskendiplomatie als Retter in der Not zu inszenieren.
„Chance zu neuer Dynamik“
Nun will die EU ihr ausbaufähiges Krisenmanagement offenbar zum Argument machen, um nach mehr finanziellen Mitteln, mehr Entscheidungsbefugnissen und einem Ausbau ihrer Steuerhoheit zu verlangen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte am Dienstag im Anschluss an ein Telefongespräch mit seinem italienischen Amtskollegen Sergio Mattarella:
Selten hat eine Krise so deutlich gemacht, was für eine Schicksalsgemeinschaft wir in der EU sind.“
Auch die Parlamentspräsidenten Deutschlands und Frankreichs, Wolfgang Schäuble und Richard Ferrand, erklärten mit Blick auf die Merkel-Macron-Initiative, beide Länder sollten „aus der Krise lernen und sie gemeinsam als Chance zu neuer Dynamik innerhalb der Europäischen Union nutzen“.
(Mit Material der dpa)
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