Schlepper und „Seenotretter“ – unheilvolle Allianz oder ein Auslaufmodell?

Die Frage, inwieweit die sogenannte „Seenotrettung“ ein Pull-Faktor sein kann, beschäftigt Politik und Medien seit Jahren ebenso wie die Behauptung italienischer Staatsanwälte, dass es eine Zusammenarbeit mit kriminellen Schleppern gibt. Was ist aktuell bekannt?
Titelbild
„Seenotretter“ vom Schiff „Alan Kurdi" blicken zu einem Schlauchboot voller Flüchtlinge (Archiv).Foto: Pavel D. Vitko/Sea-Eye/dpa/dpa
Von 11. Oktober 2023

Der Vorwurf, die europäischen beziehungsweise vorwiegend deutschen „Seenotretter“ vor der nordafrikanischen Küste arbeiteten mit Schleppern zusammen, ist bald ein Jahrzehnt alt. Die öffentliche Meinung darüber hat sich über die Jahre immer wieder gedreht.

Beispielhaft kann hier die „Neue Züricher Zeitung“ genannt werden, die vor ein paar Tagen titelte: „Private Seenotretter stützen das Geschäft der Schlepper“, während die Zeitung noch im Mai 2017 einen empörten Text mit folgender Schlagzeile schrieb: „Lebensretter sollen plötzlich Schlepper sein“.

Da hieß es unter anderem:

„Bis vor kurzem wurden Nichtregierungsorganisationen (NGO) und private Helfer, die auf dem Mittelmeer Bootsflüchtlinge retten, in Italien als Helden gefeiert und mit Verdienstmedaillen überhäuft. Nun werden sie als Helfershelfer der Schlepper verteufelt.“

Das ist über sechs Jahre her. Seitdem sind zehntausende Menschen von den Schiffen der „Seenotretter“ nach Italien gebracht worden, vielfach mit dem Ziel, von dort aus nach Deutschland zu gelangen. Immer wieder wird argumentiert, Seenot bedeute, die in Seenot geratenen Menschen an die nächstgelegene Küste zu bringen. Das passiert hier nicht. Die vor der nordafrikanischen Küste aufgenommenen Menschen werden an die deutlich weiter entfernte italienische Küste gebracht.

Aber auch dafür haben die Nichtregierungsorganisationen, welche die Schiffe betreiben, wie etwa United4Rescue, eine Erklärung: Libyen wäre kein sicheres Land, Vergewaltigungen, Raub und Folter in den Lagern der Migranten an der Tagesordnung.

Allerdings ist nur ein sehr geringer Teil von den hunderttausenden Migranten, die in Libyen auf ihre Überfahrt warten, in Lagern inhaftiert. Der damalige CSU-Bundestagsabgeordnete Michael Kuffer wusste im Sommer 2019, dass in Libyen mehrere hunderttausend Migranten untergebracht wären, von denen tatsächlich aber nur weniger als fünftausend in Militärlagern untergebracht seien.

Wichtig zu wissen auch: Diese große Zahl an Migranten, die nach Europa wollen, sind keine Libyer, sie haben vielfach eine lange und beschwerliche Reise durch Afrika hinter sich. Und sie hoffen auf die Möglichkeit, in eines der Schlepperboote zu gelangen, die sie zu den Schiffen der NGOs, um sie dann nach Europa beziehungsweise überwiegend nach Deutschland zu bringen.

Die maroden Schlauchboote, die dafür vielfach benutzt wurden und noch werden, sind nicht in der Lage, die Überfahrt zu schaffen. Das wissen sowohl die Schlepper als auch die Insassen.

Es wird also fest damit gerechnet, die Schiffe der NGOs zu erreichen beziehungsweise von diesen an Bord geholt zu werden. Fraglos befinden sich die Insassen in ihren untauglichen Booten nach dem Ablegen von der libyschen Küste schon nach wenigen Seemeilen in Seenot. Eine Seenot, auf die sich Schlepper und Migranten bewusst einlassen, weil die berechtigte Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie von den Schiffen der „Seenot“ gerettet werden.

Tunesien ist der neue Hotspot der illegalen Migration

2023 kommt allerdings noch ein neues Phänomen hinzu. Die libysche Küste ist nicht mehr erster Abfahrtsort der Schlepper. Tunesien wird immer attraktiver für Migranten, die sich Lampedusa als Ankunftsort ausgesucht haben. Die italienische Insel ist eine Art europäischer Vorposten gegenüber Afrika.

Und nach Lampedusa ist die Überfahrt vielfach nicht mehr mit den NGO-Schiffen gekoppelt, die Entfernung von Sfax hinüber ins italienische Lampedusa liegt bei kaum mehr als einhundert Seemeilen.

Auch stehen auf der tunesischen Route mittlerweile feste Boote zur Verfügung, die in Libyen kaum noch zu bekommen waren. Mitte 2017 hatten die Außenminister der EU-Staaten sogar einmal Ausfuhrbeschränkungen für Schlauchboote und Außenbordmotoren nach Nordafrika beschlossen.

In einer Pressemitteilung des Europäischen Rates hieß es dazu:

„In dem Bemühen, das Geschäftsmodell von Menschenschmugglern und Menschenhändlern weiter zu stören, führte der Rat Beschränkungen für den Export und die Lieferung von Schlauchbooten (Dinghies) und Außenbordmotoren nach Libyen ein.“

Beispielweise die Wirtschaftswoche (WiWo) suchte dafür Ende September dieses Jahres eine Erklärung und befand: In Tunesien ist ein neuer Geschäftszweig entstanden.

Die WiWo schrieb, warum das Geschäft der Schlepper in dem nordafrikanischen Land so boomt: „Vor allem dank neuartiger Metallboote, die massenhaft rund um die Hafenstadt Sfax hergestellt werden und von den Stränden der Gegend in Richtung Europa starten, konnten die Schlepper den Banden im benachbarten Libyen den Rang ablaufen.“

Massenhaft feste Boote in Handarbeit

Die Zeitung sprach darüber auch mit einem Sprecher der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex. Der erklärte, dass die Schleppernetzwerke dazu übergegangen seien, Metallboote zu benutzen, die unmittelbar vor Abfahrt an den Stränden zusammengebaut werden. Das sei auch einer der Hauptgründe dafür, dass immer mehr Menschen über Tunesien flüchten. Und er fügte hinzu: „Dadurch sind die Preise für die Überfahrt übers Meer erheblich gesunken.“

Die Schlepper haben offenbar selbst bemerkt, dass die „Seenotretter“ nicht mehr die geeigneten Partner sind. Ganz gleich, ob sie das nun freiwillig oder wider Willen waren. Aber für Europa ist die illegale Migration über das Mittelmeer deswegen nicht Geschichte. Die Schlepper haben sich unabhängig gemacht.

Und die „Seenotretter“ haben sich teilweise ebenfalls neue Geschäftsfelder gesucht. So ist der Gründer von Mission Lifeline, Axel Steier, schon länger auch auf dem Land in der Ukraine und in Afghanistan aktiv. Von der behaupteten „Seenotrettung“ also hinüber zu so etwas wie einer Luftbrücke Afghanistan. Die Zahl der Ortskräfte, die auf diesem Wege nach Deutschland gekommen sind, ist mittlerweile fünfstellig, anfänglich war hier jedoch im Außenministerium nur von ein paar hundert Afghanen und ihren Familien die Rede.



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