Serbiens Regierung in der Krise? Staatschef ruft zur „größten Kundgebung in der Geschichte“ auf

Nachdem die Proteste der serbischen Bevölkerung seit Wochen anwachsen, ruft Präsident Vučić für den morgigen Freitag zu einer groß angelegten Gegendemonstration auf. „Serbien ist der wichtigste – der einzige heilige Ort, den wir verteidigen müssen und den wir verteidigen werden.“
Titelbild
Zehntausende demonstrierten am 19. Mai 2023 in Belgrad gegen die Regierung und fordern die Eindämmung der Gewalt in den Medien. Foto ANDREJ ISAKOVIC/AFP via Getty Images
Von 25. Mai 2023

Seit den Massenschießereien am 3. und 4. Mai in Serbien, bei denen 18 Menschen zu Tode kamen, gehen Zehntausende gegen die Regierung auf die Straße. Medienberichten zufolge sei die Zahl der Demonstranten am 19. Mai auf 100.000 geschätzt worden. Manche sprechen von den größten Protesten Serbiens innerhalb der letzten 20 Jahre.

Anfangs waren die Proteste hauptsächlich gegen Waffenbesitz und Gewaltverherrlichung gerichtet. Die Demonstranten riefen dazu auf, Sendern, die gewalttätige Inhalte zeigen, die Lizenz zu entziehen. Dabei nannten sie laut „Euractiv“ die nationalen Sender „TV Pink“ und „TV Happy“, die nach Ansicht der Demonstranten gegen das Gesetz verstoßen würden. Diese würden neben Gewalt auch Unmoral fördern.

Organisierte Gegendemonstration Vučićs

Doch spätestens seit dem dritten Protestzug nach den Schießereien in Serbien scheint es, als richten sich die Proteste mehr und mehr gegen einen: den Präsidenten und Vorsitzenden der serbischen Fortschrittspartei, Aleksandar Vučić. Die Opposition hatte den Rücktritt des Innenministers Bratislav Gašić gefordert, was Vučić jedoch abgelehnt hatte. Stattdessen verurteilte er die Proteste und rief zu einer groß angelegten Gegendemonstration für den 26. Mai auf. „Alle nach Belgrad, es lebe Serbien“, sagte Präsident Vučić.

In einem Twitter-Beitrag schreibt der 53-jährige Vučić: „Serbien ist der wichtigste – der einzige heilige Ort, den wir verteidigen müssen und den wir verteidigen werden.“

Auf einer Kundgebung am 19. Mai in der Stadt Pančevo hatte er verkündet: „Ich bin stolz auf meine 10 Jahre und darauf, dass ich Ihnen dienen konnte, denn ich werde niemals Ausländern für eine Handvoll Dollar dienen.“

Seine für den morgigen Freitag organisierte Kundgebung soll laut eigenen Angaben die „größte in der Geschichte Serbiens“ werden, wie der Staatspräsident betonte. Für die Umsetzung scheute er keine Mühen und reservierte Busse und Züge, die die Teilnehmer kostenlos nach Belgrad bringen sollen. Auch für die nötige Verpflegung sei gesorgt.

Lokale Parteifunktionäre und Direktoren öffentlicher und privater Betriebe aus dem ganzen Land, die der serbischen Fortschrittspartei nahestehen, wurden dazu angehalten, eine bestimmte Anzahl an Menschen zum morgigen Freitag nach Belgrad zu bringen.

„Das serbische Regime soll verschwinden“, sagt Demonstrantin

Laut Politikwissenschaftler Vedran Džihi, der in einer österreichischen Zeitung zitiert wird, seien die Massenproteste in der Gesellschaft ursprünglich von der serbischen Mitte- und Mitte-links-Opposition oder der grün-linken Koalition Moramo angeführt worden. Doch zum Vorteil von Vučić sei „keine stark geeinte Front, keine Galionsfigur“ sichtbar, die sich gegen ihn positionieren würde.

Demnach folgt die breite Masse der Demonstranten keiner bestimmten politischen Richtung, eher reicht es ihnen mit der Korruption und der Gewalt. Und sie haben insbesondere die Regierung und die Staatsmedien satt.

So wird eine serbische Demonstrantin zum Beispiel in der Zeitung „Euractiv“ zitiert: „Die Blockade ist die einzige gewaltfreie Form des zivilen Ungehorsams, die dieses Regime angreifen kann. Deshalb sage ich diesem Regime, dass wir bereit sind, Serbien zu blockieren. Serbien muss endlich zum Stillstand kommen, damit dieses Regime verschwindet“, sagte Jelena Mihajlović auf der Kundgebung.

Sie wolle ein Serbien ohne Gewalt. Doch das sei laut Mihajlović nicht möglich, wenn es keine funktionierenden Institutionen gebe. „Diejenigen, die das Land führen und die absolute Macht und damit auch die absolute Verantwortung haben, wollen die Forderungen dieser Proteste nicht hören“, so die Serbin weiter. Sie ergänzt: „Wir dürfen nicht zulassen, dass sie mit dem Leben unserer Kinder spielen.“

Auch die serbische Journalistin und Schriftstellerin Dragana Trifkovic meldet sich auf Twitter zu Wort: „Dies ist das Ende der politischen Karriere der schlechtesten Regierung in der Geschichte Serbiens.“ In einem weiteren Tweet vom Tag der letzten Demonstration postet sie ein Video mit den Worten: „Serbien gegen Vučić.“

Druck aus Washington und der EU

Außenpolitisch gesehen steigt der Druck auf den serbischen Präsidenten aus allen möglichen Richtungen. Zum einen aus Washington und Brüssel, die das Land auffordern, endlich Sanktionen gegen Russland einzuführen und der Selbstständigkeit des Kosovo nicht länger im Weg zu stehen. Dazu hatte die Europäische Kommission den EU-Beitritt Serbiens und Montenegros bis 2025 in Aussicht gestellt.

Momentan macht es eher den Eindruck, dass Serbien die Anforderungen des Westens für den Beitritt immer weniger zu erfüllen scheint. Die Teilnahme des serbischen Geheimdienstchef Vulin an der Sicherheitskonferenz in Moskau und der gestrige Besuch des bosnischen Politikers Milorad Dodik bei Putin sind nur zwei Beispiele, die für den Westen ein Dorn im Auge sind. Auch der serbische Außenminister Dacic soll nach Moskau gereist sein.

Der Vorsitzende des österreichischen Komitees für die NATO-Erweiterung für den Kosovo, Gunther Fehlinger, sieht in den derzeitigen Massendemonstrationen Serbiens ein nahes Ende des „Vucic-Putin-Regimes“. In mehreren Twitter-Beiträgen ruft er die Serben zu einer „blauen Revolution“ auf: „Serbien muss der NATO beitreten oder es gerät in die vollständig internationale Isolation.“

China steigt zum Topinvestor in Serbien auf

Neben dem Westen und Russland hat auch noch ein weiteres Land seit Längerem den Blick auf den Balkanstaat gerichtet. Der Beginn der Corona-Krise 2020 setzte eine Entwicklung in Gang, die bis heute anhält. Wie der stellvertretende Direktor für strategische Analysen der Handelskammer Serbiens, Bojan Stanic, in der serbischen Zeitung „Monitor“ erklärt, habe China sich mittlerweile als einer der Topinvestoren in Serbien positioniert.

Das Land war für Serbien bei Großprojekten eine „willkommene Alternative“ zur EU, wird Jens Bastian, CATS Fellow an der Stiftung Wissenschaft und Politik, im „Handelsblatt“ zitiert. So sei China der serbischen Nationalbank zufolge im ersten Halbjahr 2022 mit 491 Millionen Euro größter ausländischer Direktinvestor Serbiens gewesen – noch vor der EU.

Dadurch entstand in den vergangenen Jahren eine Abhängigkeit zu einem hohen Preis: China erwartet als Gegenleistung für sein Engagement politische Solidarität von Serbien.

China-Serbien-Pakt führt zu Unmut in der Bevölkerung

In einer ARTE-Dokumentation wird beleuchtet, wie geheime Verträge zwischen chinesischen Staatsunternehmen und den Ländern des Westbalkans die lokale Zivilgesellschaft von jeglicher Beteiligung ausschließen. Angedeutet wird, dass Serbiens Regierungschef sich durch Chinas autokratische Führung Unterstützung und Anregungen holt – was Serbien in eine ähnliche Richtung bewege.

Nachdem in Serbien die größte Reifenfabrik Europas durch den chinesischen Linglong-Konzern errichtet wurde, decken journalistische Recherchen eine extreme Ausbeutung von Arbeitern auf. Und als der chinesische Zijin-Konzern die Kupfermine in Bor übernahm, stieg anders als zuvor versprochen die Luftverschmutzung der Region immens an. Der Konzern hielt bestimmte Auflagen nicht ein, Kritiker der zuständigen staatlichen Behörde wurden von der Regierung zum Schweigen gebracht.

Seitdem in Belgrad flächendeckend chinesische Überwachungskameras (von Huawei) installiert werden – obwohl die Kriminalitätsrate eine der niedrigsten in Europa ist –, machen Aktivisten in Belgrad verstärkt auf den verschwiegenen Pakt zwischen ihrer Regierung und China aufmerksam.



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion