Sieg der konservativen SVP in der Schweiz: „Das Klima hat verloren“

Die konservative SVP ist der große Triumphator der Wahlen in der Schweiz. Auch die Sozialdemokraten und die Mitte können zulegen. Große Verlierer sind die Grünen. Experten sehen ein Unbehagen an bevormundender Politik.
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Wahlflyer der Schweizerischen Volkspartei SVP mit Präsident Marco Chiesa.Foto: FABRICE COFFRINI/AFP via Getty Images
Von 23. Oktober 2023


Das vorläufige Endergebnis der Schweizer Wahlen zum Nationalrat am Sonntag, 22.10., hat die Trends der Hochrechnungen im Wesentlichen bestätigt. Lediglich Städte wie Basel und mehrere nicht deutschsprachige Kantone haben ein Überschreiten der 30-Prozent-Marke durch die konservative Schweizerische Volkspartei (SVP) verhindert.

Mit 28,6 Prozent und einem Plus von drei Prozentpunkten hat die rechtskonservative Formation dennoch die Konkurrenz deutlich abhängen können. In geringerem Maße dazugewonnen haben seit 2019 auch die Sozialdemokraten (SP). Sie kommen mit 18 Prozent der Stimmen (plus 1,2 Prozentpunkte) auf Platz zwei. Dahinter liegt „die Mitte“ mit 14,6 Prozent (plus 0,8). Sie ist aus einer Fusion von Christdemokraten (CVP) und der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) entstanden.

SVP künftig mit 62 Sitzen im Nationalrat vertreten

Einbußen verzeichnen mussten die Liberalen von der FDP, die mit 14,4 Prozent und einem Minus von 0,7 Prozentpunkten hinter die „Mitte“ zurückfällt. Neben den Grünliberalen (7,2 Prozent; minus 0,6) sind vor allem die Grünen die großen Verlierer des Wahlabends. Sie verlieren 3,8 Prozentpunkte und kommen nur noch auf 9,4 Prozent der Stimmen.

Die SVP gewinnt im Nationalrat damit neun Sitze dazu und kommt künftig auf 62. Die SP kommt auf 41 (+2), die Mitte (29/+1) liegt vor der FDP (28/-1). Grüne (23/-5) und Grünliberale (10/-6) verlieren deutlich. Sieben Sitze gehen an übrige Parteien wie die Evangelische Volkspartei (EVP), die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU), die Tessiner Lega oder das Mouvement citoyens genevois (MCG) aus Genf. Keine Rolle spielten die linksextreme Partei der Arbeit, die ultranationalistischen Schweizer Demokraten, die Piratenpartei und mehrere Parteien, die während der Corona-Maßnahmen gegründet wurden.

Im Ständerat, der zweiten Kammer der Bundesversammlung, sind nach dem ersten Wahlgang 31 von 46 Sitzen verteilt. In den meisten Kantonen ist hier eine absolute Mehrheit erforderlich, um auf Anhieb gewählt zu werden. Im zweiten Wahlgang reicht ein relatives Mehr. Ein Linksruck zeichnet sich auch hier nicht ab. Mit 46,6 Prozent lag die Wahlbeteiligung nur unwesentlich höher als 2019.

SVP setzte auf Klima, Migration und Neutralität

Die deutlichen Gewinne der SVP und die klaren Verluste der Grünen haben viele Beobachter in diesem Ausmaß überrascht. Immerhin hatten sich die Stimmbürger erst in den vergangenen Jahren bei Referenden mehrfach für linksgrüne Anliegen ausgesprochen. So hatte es 2021 ein deutliches Ja zur „Ehe für alle“ gegeben. Im Juni hatten knapp 60 Prozent für eine Klimaneutralität bis 2050 votiert.

Am Sonntagabend klagte jedoch Grünen-Spitzenpolitikerin Aline Trede im SRF:

Das Bittere ist: Das Klima hat verloren.“

Zu den weiteren Themenschwerpunkten, mit denen die SVP im Wahlkampf gepunktet hatte, gehörten die Migration und die Bewahrung der Neutralität. Die Rechtskonservativen hatten intensivere Grenzkontrollen und die Zurückweisung von Asylbewerbern gefordert. Zudem hatten sie Sanktionen gegen Russland und die Parteinahme für die Ukraine durch führende politische Kräfte kritisiert.

Inflation in der Schweiz geringer als in vielen EU-Ländern

In der Schweiz spielt die Inflation eine geringere Rolle als in manchen anderen Ländern. Strenge Marktordnungsgesetze und protektionistische Maßnahmen sorgen für ein generell hohes Preisniveau. Allerdings erweist sich dieses auch in Krisenzeiten bislang als verhältnismäßig stabil. In den vergangenen 18 Monaten stieg die Teuerung in der Schweiz nie auf mehr als 3,4 Prozent.

Im Interview mit dem „Tages-Anzeiger“ sieht der Politikwissenschaftler Michael Hermann die „progressive Stimmung in der Schweiz“ als verflogen an. Das Bedürfnis nach Stabilität sei zurückgekehrt, es gebe weniger Bedarf an Experimenten. Die politische Grundstimmung habe sich gegenüber 2019 deutlich verändert:

Nun dominiert wieder die Furcht vor Veränderung, vor dem Fremden, vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten.“

Zudem hätten viele Bürger, die sich damals für die Grünen begeistert hätten, deren Ausrichtung unterschätzt:

Befragungen zeigten, dass sich viele Wählerinnen und Wähler nicht bewusst waren, wie stark links die Grünen politisieren. Solche Personen wandern nun wieder ab.“

In Krisenzeiten nicht noch mehr Pflichten

Generell zeichne sich ab, dass Wähler wieder Zuflucht bei Parteien suchten, die Schutz versprächen. Demgegenüber hätten alle Parteien verloren, die den Bürgern Pflichten abverlangten. Unpopulär seien deshalb in Krisenzeiten die Grünen, die Verzicht anmahnten.

Aber auch die Grünliberalen, die eine Abkehr von der Neutralität forderten, oder die FDP, die Leistung verlange, seien auf dem absteigenden Ast:

Der Zeitgeist ist konservativer, aber nicht wirtschaftsliberaler.“

Das Modell der SVP, zugleich Protest- und Regierungspartei zu sein, komme in der Schweiz nach wie vor gut an. Im Bundesrat, der Schweizer Regierung, stellt die Partei zwei von sieben Mitgliedern.

Die Bundesversammlung wählt im Dezember die siebenköpfige Regierung – den Bundesrat. Dieser setzt sich nach dem Schema 2-2-2-1 aus den vier stärksten Parteien zusammen. Die Bundesräte (Minister) suchen stets Kompromisse, auch wenn diese gegen ihre eigene Parteilinie gehen.



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