Solaranlagen in den Alpen: Natur zerstören, um Natur zu schützen?

Der Run mit Solaranlagen auf die Schweizer Alpengipfel hat begonnen: Sie könnten bald Quadratkilometerweise mit Solarpanels bebaut werden. Der Widerstand von Anwohnern formiert sich.
Solaranlagen im Glarner Gebirge
Sonnenkollektor auf der Muttseetalsperre im Glarner Gebirge.Foto: iStock
Epoch Times1. Februar 2023

Für Astronaut Buzz Aldrin ist es die tollste Landschaft, die er je gesehen hat, und der war immerhin schon einmal auf dem Mond. Zumindest beschrieb er das Saflischtal im Schweizer Kanton Wallis auf mehr als 2.000 Metern Höhe im Jahr 2015 in einem Werbespot so.

Nun ist die Natur dort in Gefahr, sagen Landschaftsschützer. Beim Bergdorf Grengiols ist eine gigantische Solaranlage geplant, so groß wie 700 Fußballfelder. Und nicht nur dort: Dutzende Projekte sind am Start, seit das Parlament Subventionen in Milliardenhöhe in Aussicht gestellt hat. Es herrscht Goldgräberstimmung in der Schweiz.

In Grengiols machen rund 600 Mitglieder der Interessengemeinschaft Saflischtal gegen die Pläne mobil, darunter Ulrike Steingräber-Heinen (42). Sie ist aus Magdeburg, hat neun Sommer als Hirtin und Käserin in der Region gearbeitet und ist heute mit einem einheimischen Landwirt verheiratet. Solarstrom zur Reduzierung der Treibhausgase sei wichtig, sagt sie. „Wir haben selbst eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Aber es kann doch nicht das Ziel sein, Natur zu zerstören, um die Natur zu schützen.“

„Sonnenstrom-Bonanza in den Bergen“

Das neue Energiegesetz erleichtert Bewilligungen für alpine Projekte und verspricht Geld. Wer das will, muss sich aber sputen: „Anlagen, die bis zum 31. Dezember 2025 mindestens teilweise Elektrizität ins Stromnetz einspeisen, erhalten vom Bund eine Einmalvergütung in der Höhe von maximal 60 Prozent der Investitionskosten“, so das Gesetz. „Sonnenstrom-Bonanza in den Bergen“ nannte es die „Neue Zürcher Zeitung“.

„Wir haben sehr viele Gebiete, die von der Sonneneinstrahlung her geeignet wären“, sagt Jürg Rohrer von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Der Dozent für erneuerbaren Energien ist ein Pionier alpiner Solaranlagen. Was diese so attraktiv macht: Sie liefern auch im Winter gut Strom, weil sie meist über der Nebeldecke liegen, bei Kälte sehr effizient sind und von Reflexionen durch den Schnee profitieren.

Rohrer hat seit dem Jahr 2017 eine Versuchsanlage mit verschiedenen Solarmodulen bei Davos. „Sie produzieren im Winter drei- bis viermal so viel Strom pro Fläche wie Anlagen im Mittelland“, sagt er. Bislang ist das Potenzial praktisch ungenutzt: Außer einer kleinen Solaranlage in Österreich gibt es nach seinen Angaben in den Alpen nichts auf freier Fläche.

„Wir könnten mit alpinen Anlagen 40 Terawattstunden produzieren“, sagt Rohrer. Gemeint ist die Jahresproduktion, und das entspräche etwa zwei Drittel des jährlichen Strombedarfs der Schweiz. „Aber man muss beachten, dass die Gebiete halbwegs zugänglich sein müssen.“ Es gebe ja auch andere erneuerbare Energiequellen, Wasserkraft etwa, oder Solarkapazität auf Dächern und an Autobahnen.

Für realistisch hält er in den nächsten Jahren alpine Solaranlagen mit einem Potenzial von etwa fünf Terawattstunden pro Jahr. Dafür wären insgesamt 30 Quadratkilometer Fläche nötig, so viel wie 4.200 Fußballfelder. Das sei verglichen mit 4.635 Quadratkilometern vegetationslosen Flächen wenig, vergleicht Rohrer.

Geplantes Projekt für Anwohner „Horrorvorstellung“

Für viele Anwohner von Grengiols und Umgebung ist das von der Gemeinde und der lokalen Elektrizitätsgesellschaft geplante Projekt allerdings eine Horrorvorstellung. Sie werben mit einer Fotomontage für Widerstand: auf ein Foto der unberührten Natur haben sie zur Illustration künstlich tausende Solarpanels gesetzt.

„Wir weiden unsere Tiere dort im Sommer“, sagt Steingräber-Heinen. „Die Alpweiden sind ohnehin mager, aber durch den Bau mit Betonstützen, Bodenverankerungen und so weiter würde die Grasnarbe so beschädigt, dass eine Beweidung nicht mehr möglich wäre.“

Das Gebiet liegt im Landschaftspark Binntal und wurde im Jahr 2011 gegründet, um die Schönheit der Region zu erhalten. Sabrina Gurten, eine Biologin aus Grengiols, die ebenfalls gegen das Projekt kämpft, spricht von „faunistischen und floristischen Schätzen“ in dem Gebiet. Je nach genauem Standort der Anlage bestehe Gefahr, dass Arten lokal aussterben.

Die Alpenschutzorganisation Mountain Wilderness Schweiz macht gegen ein anderes Projekt in Wallis, in Gondo, mobil. Bevor die unberührte und unerschlossene Natur zugebaut wird, solle man erst einmal das Potenzial mit Anlagen auf Gebäuden und Infrastrukturen ausbauen, heißt es dort.

Subventionswettlauf

Dass wegen der Fristen für die Subventionen nun überall auf die Schnelle Solarparks geplant werden, macht auch Rohrer Sorge. „Man hat es versäumt, Qualitätskriterien einzubinden“, sagt er.

Das Wahnsinnige ist, dass es für die Subventionen völlig egal ist, ob es ein guter oder schlechter Standort ist.“

Die bislang größte alpine Solaranlage hat der Stromkonzern Axpo gebaut. Seit August produzieren Solarmodule auf der Muttsee-Staumauer im Kanton Glarus auf rund 2.500 Metern Höhe Strom. Der Konzern hat jede Menge Projekte in der Pipeline, etwa Nalpsolar in Graubünden.

Um von den Subventionen zu profitieren, soll es ab Herbst 2025 Strom liefern, wie Axpo-Sprecherin Jeanette Schranz sagt: „Bei unserem Projekt Nalpsolar sollen rund 30.000 Solarmodule auf Weideland installiert werden, auf einer freien Fläche etwa so groß wie zwölf Fußballfelder.“ Axpo hat in der Schweiz Pläne für Solaranlagen mit mehr als 1,2 Gigawatt Leistung, die Hälfte davon in alpinen Regionen. Auch der Energiekonzern Alpiq hat drei größere Projekte am Start. (dpa/dl)



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