„Soros-Richter“ am EGMR? Studie zeigt erheblichen Einfluss von NGO-Netzwerken in den Senaten

Der Eindruck, die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) lasse eine zunehmende ideologische Schlagseite erkennen, hat die Organisation ECLJ zu einer Recherche veranlasst. Das Ergebnis: Zahlreiche Richter hatten ein Vorleben in Soros-NGOs.
Von 5. Mai 2020

Ist der „Europäische Gerichtshof für Menschenrechte“ (EGMR) vom Kontrollorgan zum Schattengesetzgeber geworden? Und missbrauchen dort tätige Richter ihre Autorität, um ganzen Staaten ihre persönlichen Überzeugungen und ihre eigene politische Agenda aufzuzwingen?

Ein Bericht des European Centre for Law and Justice (ECLJ) legt diese Annahme nahe – und seinen Autoren ist gerade im Zusammenhang mit umstrittenen Entscheidungen eine regelmäßige Nähe von Klägern zu Nichtregierungsorganisationen (NGOs) des bekannten US-Milliardärs und „Philanthropen“ George Soros aufgefallen.

Der EGMR wurde 1959 gegründet und ist seit 1998 in einer ständigen Form eingerichtet. Grundlage seiner Tätigkeit ist die 1950 von allen 47 Mitgliedern des Europarates unterzeichnetet Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), die in manchen Signatarstaaten auch in den Verfassungsrang erhoben wurde.

Mitgliedstaaten verpflichten sich zur Akzeptanz von EGMR-Urteilen

Aus dem genannten Grund hat der EGMR nicht nur das Recht, in den EU-Mitgliedstaaten Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung auf ihre Konformität mit der Konvention zu überprüfen. Unter anderem können auch Bürger der Türkei, der Russischen Föderation sowie Armeniens oder Aserbaidschan innerstaatliche Akte überprüfen lassen, wenn sie sich in ihren dort aufgeführten Rechten verletzt sehen.

Die Bindungswirkung der Urteile des EGMR ist erheblich – und damit auch der potenzielle Einfluss der Urteile. Zwar kann das Gremium anders als innerstaatliche Verfassungsgerichte kein Gesetz für verfassungswidrig oder ungültig erklären, die Vertragsparteien haben sich aber in Artikel 46 der EMRK dazu verpflichtet, „in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen“.

Der Gerichtshof kann dort, wo er ein Recht verletzt sieht, dem Kläger eine Entschädigung zubilligen, die ihm der Mitgliedstaat für eine Vertragsverletzung zu bezahlen habe. Der bisherigen Spruchpraxis zufolge bewegen diese sich im vier- bis niedrigen fünfstelligen Rahmen. Zu den bislang höchsten zugesprochenen Restitutionsbeträgen gehörten die 34.000 Euro, die der Gerichtshof im Vorjahr der Witwe und der Mutter des 2009 in russischer Untersuchungshaft verstorbenen Unternehmers Sergej Magnitski zugesprochen hatte.

Nicht immer links, aber immer öfter

Eine einheitliche Richtung ist bezüglich der Urteile des EGMR nicht zu erkennen, vielfach hängt es von der Besetzung des zuständigen Senats ab, wie eine Entscheidung ausfällt.

Es gab Fälle, in denen der Gerichtshof die Rechte Einzelner gegenüber einem paternalistischen Staatsverständnis gestärkt hat – etwa im Vorjahr, als er den Staat Norwegen wegen einer ungerechtfertigten Kindesentziehung durch das dortige Jugendamt verurteilte. In Russland hatte er unter anderem der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas den Rücken gestärkt, als er deren Nichtanerkennung durch den Staat als Verletzung der Glaubensfreiheit beanstandete.

Auf der anderen Seite stehen jedoch eine Fülle an Urteilen, die den Eindruck erwecken, die Richter wollten im Wege einer politisch-ideologischen Deutung der „Menschenrechte“ eine Rechtsfortbildung forcieren, die progressive Werte je nach Bedarf zu Lasten der Staaten – wenn diese konservativ regiert werden – oder zu Lasten der Kläger – wenn die Staaten links geprägt sind – durchsetzen soll.

Schutz vor Kruzifixen nötig – vor Sexualkunde nicht

Demnach sei es etwa eine „Menschenrechtsverletzung“ bezogen auf die negative Religionsfreiheit einer finnischen Atheistin, wenn deren Kinder in Italien öffentliche Schulen besuchen müssten, in deren Klassenzimmern Kruzifixe angebracht sind. Andererseits sind religiöse Überzeugungen nach Meinung des EGMR unbeachtlich, wenn es darum geht, dass Eltern ihre Kinder in öffentlichen Schulen von übergriffiger Sexualkunde fernhalten wollen.

Erst vor wenigen Wochen erklärte der EGMR die Gewissensfreiheit schwedischer Hebammen für irrelevant, die berufliche Nachteile erlitten hatten, weil sie sich weigerten, an Schwangerschaftsabbrüchen mitzuwirken. Das Gericht lehnte es ab, den Fall zu bearbeiten, da der schwedische Staat Abtreibungen als „Teil der Gesundheitsvorsorge“ ansehe. Demgegenüber habe der polnische Staat dem gleichen EGMR laut einem Urteil aus dem Jahr 2007 nicht das Recht, dies nicht zu tun.

In Summe entstand unter anderem beim ECLJ in Anbetracht der Spruchpraxis des EGMR seit 1998 der Eindruck, dass zumindest einzelne Senate des Gerichtshofs ihre Autorität nutzen wollten, um unter dem Deckmantel der „Menschenrechte“ progressive Gesellschaftspolitik zu betreiben.

Die Organisation, deren Hauptaugenmerk der Wahrung religiöser Rechte und Freiheiten gilt, hat daraufhin analysiert, welche Richter hinter welchen Urteilen standen – und zu deren politischem Hintergrund sowie zu den Akteuren hinter den Anlassfällen recherchiert.

Von 100 permanenten Richtern weisen 22 enge Verbindungen zu linksliberalen NGOs auf

Die Ergebnisse hat das ECLJ nun in Form eines Berichts vorgelegt. Den Erkenntnissen der Vereinigung zufolge sind vor allem in jenen Senaten und an jenen Urteilen, die eine eindeutige links-politische Schlagseite erkennen ließen, Richter am Werk gewesen, die man nicht als unbeschriebene Blätter bezeichnen könne.

Mehrere von ihnen seien vor ihrer Bestellung nicht nur juristisch aktiv gewesen, sondern auch politisch oder als Unterstützer von Nichtregierungsorganisationen mit linker Agenda tätig.

Bislang wurden Behauptungen, politisch und ideologisch einer bestimmten Agenda verpflichtete Netzwerke würden ihre Beziehungen nutzen, um Gleichgesinnten Posten und Einfluss zu verschaffen, oft als „Verschwörungstheorien“ abgetan. Immerhin sei die Justiz ja „unabhängig“ und einzig Qualifikation und Leistung würden bei der Besetzung von Stellen eine Rolle spielen, nicht Parteibücher oder Beziehungen. Das ECLJ bezog sich bei seiner Untersuchung jedoch auf öffentlich zugängliche Dokumente, die Angaben enthalten, die von den Untersuchten selbst stammen.

Die Vorsitzenden Richter in den Jahren 2009 bis 2019 haben ihre Lebensläufe zur öffentlichen Einsicht hinterlegt. Dies ermöglichte es dem ECLJ, eine Verbindung zwischen sieben NGOs, die häufig Fälle betreuen, die vor den EGMR landen, und zumindest einem seit 2009 permanenten Richtersenatsvorsitzenden herzustellen.

Insgesamt, so fand das ECLJ heraus, hatten 22 der 100 permanenten Richter des EGMR in der untersuchten Periode vor ihrer Bestellung intensive Verbindung zu mindestens einer dieser NGOs – entweder als Funktionäre, Spender oder regelmäßige und bedeutende Teilnehmer an deren Aktivitäten.

Mehr als jeder zehnte Richter aus dem Soros-Stall

Zu den Organisationen, zu denen die späteren Richter Verbindungen unterhielten, gehörten das A.I.R.E. Center (Advice on Individual Rights in Europe), Amnesty International, die International Commission of Jurists (ICJ), das „Helsinki-Komitee“, Human Rights Watch, das „International Center for the Judicial Protection of Human Rights“ (Interights) und die Open Society Foundation (OSF), insbesondere in Form ihres judikativen Arms, der „Open Society Justice Initiative“ (OSJJ).

Allein 12 der permanenten Richter übten in der Zeit zwischen den 1990er Jahren und 2017 offizielle Funktionen im OSJJ oder in Vereinigungen aus, die eine enge Zusammenarbeit mit dieser Initiative oder der OSF selbst pflegen – beispielsweise die Riga Graduate School of Law oder das Center for Political Studies (PRAXIS).

Die meisten von ihnen stammen aus häufig kleineren Ländern Osteuropas und des Balkans. Dort investiert die OSF derzeit jährlich mehr als 90 Millionen Euro in Einrichtungen und Organisationen, die sich der „offenen Gesellschaft“ und den Idealen des „säkularen Humanismus“ verschrieben haben. Die „Menschenrechtsarbeit“ stellt dabei ein bedeutsames Instrument zur Entfaltung von „Soft Power“ dar, um den mit diesen Schlagworten verbundenen Positionen Geltung zu verschaffen.

„Expertise“ als Verfahrensbeitrag

Die Nähe von „Open Society“- und anderen linksideologischen Nichtregierungsorganisationen zum EGMR und der dortigen Verfahrenspraxis manifestiert sich unter anderem in der Intervention der entsprechende Vereinigungen als „amicus curiae“ („Freund des Gerichts“).

Diese aus dem britischen Common Law stammende Einrichtung ermöglicht es dem Gericht, einer Partei, die selbst nicht Teil des Verfahrens ist, dort Mitwirkungsrechte zuzugestehen. Diese wird nicht selbst Partei, steuert jedoch „Expertise“ bei, die der Richter im Wege seiner Urteilsfindung berücksichtigen kann.

Die Investitionen der „Open Society Foundation” in die rechtswissenschaftliche Aus- und Weiterbildung in osteuropäischen Staaten machen sich, so das Ergebnis der Untersuchung unter Federführung von ECLJ-Chef Grégor Puppinck, bei der Bestellung von Richtern aus den betroffenen Ländern bezahlt.

Warum Justizreformen in Osteuropa so großes Aufsehen erregen

Die frühzeitige Präsenz der von ihr gegründeten und finanzierten Netzwerke verschaffte Juristen in Ländern, in denen nach dem Zusammenbruch der KP-Regime das Rechtswesen und die Juristenausbildung komplett neu aufgebaut werden mussten, einen spürbaren Startvorteil. Puppinck zufolge macht sich der Einfluss in einer zunehmenden Ideologisierung der Spruchpraxis des EGMR bemerkbar.

Dass Länder wie Polen oder Ungarn, die mehr Transparenz und eine stärkere Kontrolle auch bezüglich der Nachvollziehbarkeit von Personalentscheidungen im Bereich der Justiz anstreben, dafür auch beim EGMR selbst vermehrt in die Schusslinie geraten, mag wenig überraschen.

Aber auch der EVP-Abgeordnete François-Xavier Bellamy übte vor dem Hintergrund des nun veröffentlichten Berichts Kritik an der Einflusspolitik, die nicht gewählte NGOs und ein ungarischstämmiger Milliardär offenbar auf die Rechtsprechung des EGMR ausüben. Im „Cato“-Magazin äußert er:

Das Prinzip des Gleichgewichts der Kräfte scheint heute weitgehend aufgelöst zu sein – durch die objektive Übermacht, über die derzeit die Judikative gegenüber der Exekutive und der Legislative verfügt.“

Frankreichs Oppositionsführerin Marine Le Pen vom Rassemblement National forderte, Regierung und Justiz in Frankreich sollten „sofort aufhören, die Urteile des EGMR zu beachten“. Ein freier Staat müsse „gegen diese antidemokratischen Manipulationen vorgehen“.



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