Stillstand in Frankreich: Hunderttausende protestieren gegen Rentenreform

Nichts geht mehr in Frankreich: In Dutzenden Städten gehen Menschen gegen eine Rentenreform auf die Straße. Auch Flughäfen und Bahnverkehr sind betroffen.
Eine Teilnehmerin einer Demonstration gegen Frankreichs umstrittene Rentenreform mit einem und dem Wortspiel «Macrona Virus» (Archivbild).
Eine Teilnehmerin einer Demonstration gegen Frankreichs umstrittene Rentenreform mit einem Schild mit dem Wortspiel „Macrona Virus“ (Archivbild).Foto: Daniel Cole/AP/dpa
Von 20. Januar 2023

In Frankreich drohen am Donnerstag (19. Januar) in mehreren Städten erhebliche Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Auch Bahnhöfe und Flughäfen sind betroffen, ebenso wie manche Verwaltungen, Bildungseinrichtungen und Krankenhäuser. Grund für das Chaos sind Massendemonstrationen in mehreren Städten gegen die geplante Rentenreform.

Bis zu 750.000 Personen könnten den Erwartungen der Sicherheitsbehörden zufolge den Aufrufen mehrerer Gewerkschaften zum Protest folgen. Bereits zu Beginn des Jahres 2020 hatte es landesweite Demonstrationen gegen die Rentenreform gegeben, die als Kernvorhaben der Regierung von Präsident Emmanuel Macron gilt. Bedingt durch die Corona-Pandemie ist sie bis dato jedoch noch nicht zur Umsetzung gelangt.

Macron wollte sein Vorhaben schon 2020 durchziehen

Im Wege der nunmehr angestrebten Rentenreform soll das gesetzliche Renteneintrittsalter bis 2030 sukzessive von 62 auf 64 Jahre steigen. Darüber hinaus will die Regierung die Anzahl der Einzahlungsjahre bis zum Bezug der Altersrente in voller Höhe anheben. Allerdings soll weiterhin unabhängig von der Anzahl der Beitragsjahre ein voller Rentenanspruch ab 67 bestehen.

Die monatliche Mindestrente soll auf etwa 1.200 Euro brutto steigen. Es soll auch Sonderbestimmungen geben für Menschen, die bereits sehr lange im Arbeitsprozess stehen oder unter besonders harten Bedingungen arbeiten.

Ein Kernanliegen der Rentenreform ist es zudem, das Rentensystem einheitlicher und transparenter zu machen. Derzeit gibt es eine Vielzahl an Einzelsystemen, die mit Privilegien für bestimmte Berufsgruppen verbunden sind.

Konservative wollen Rentenreform mittragen

Aus Sicht der Regierung ist bei der Umsetzung der Rentenreform Dringlichkeit geboten, da Frankreich eine ähnlich prekäre demografische Lage aufweise wie auch andere EU-Staaten. Trotz einer verhältnismäßig großzügigen Einwanderungspolitik fällt die Geburtenrate deutlich. Dem Land droht eine dauerhafte Überalterung.

Laut Prognosen des französischen Statistikamts INSEE wird die Anzahl der Rentner im Jahr 2040 bei ungefähr zwölf Millionen liegen. Demgegenüber erreiche die Anzahl der Erwerbstätigen nur noch die Zahl von ungefähr 20 Millionen. Das bedeutet, dass es nur noch ungefähr 2,5 Erwerbstätige für jeden Rentner geben wird.

Es gibt jedoch auch andere Schätzungen, die eine höhere Anzahl an Rentnern und eine geringere Anzahl an Erwerbstätigen prognostizieren. Auch Regierungssprecher Olivier Véran geht von einem solchen Szenario aus. Während es 1960 noch vier einzahlende Arbeitnehmer auf einen Rentner gegeben habe, seien es bald nur noch anderthalb, erklärte er. Véran betont:

Das ist keine aufrechterhaltbare Situation, weil sie uns kollektiv in Gefahr bringt.“

Die Rentenreform helfe, Rentenkürzungen, höhere Rentenbeiträge und eine höhere Staatsverschuldung zu vermeiden. Da die Konservativen das Vorhaben voraussichtlich mittragen werden, kann Macron trotz des Verlustes der eigenen absoluten Mehrheit auf ausreichend Stimmen im Parlament hoffen. Er selbst hatte im Zuge der Debatte mehrfach auch anklingen lassen, eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre für sinnvoll zu halten.

Rentenreform brächte für viele faktische Rentenkürzung

Die Gewerkschaften befürchten hingegen einen sozialen Abstieg vieler Bürger infolge der Rentenreform. Vor allem ältere Menschen, die vor der Rente keinen Job mehr haben, wären betroffen. Sie kritisieren auch den drohenden Wegfall von Sonderregelungen, die viele Gewerkschaften als ihre speziellen Errungenschaften betrachten.

Bereits jetzt beziehen nicht alle Rentner in Frankreich ihre vollen Ruhebezüge, betonen die Gewerkschaften außerdem. Dies liege daran, dass viele Arbeitnehmer nicht die erforderliche Anzahl an Einzahlungsjahren zusammenbekämen. Die Zahl der Beitragsjahre noch weiter anzuheben, würde für noch mehr Arbeitnehmer die Aussicht auf eine faktische Rentenkürzung bedeuten.

Die Gewerkschaft CGT rechnet mit einer Beteiligung von 60 bis 70 Prozent bei einigen Berufsgruppen. Auch in Raffinerien könnte gestreikt werden. Aus dem Stromsektor wurde einzelnen Politikern mit gezielten Abschaltungen gedroht. Die Regierung rief dazu auf, das Land nicht zu blockieren.

Gewerkschaften als Besitzstandswahrer der Älteren?

Das derzeitige Rentensystem in Frankreich ermöglicht im Vergleich zu Deutschland einen schnelleren und einfacheren Zugang zur vollen Altersrente. Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen äußert gegenüber der Funke-Mediengruppe, dies sei nicht nachhaltig und treibe das System früher oder später in den Ruin.

Die Proteste seien Ausdruck von Verteilungskämpfen zwischen den Generationen. Dabei verträten die Gewerkschaften die Interessen und Besitzstände der Älteren:

Es ist überall dasselbe: Die Alten haben sich das Rentensystem sehr komfortabel eingerichtet – zulasten der jüngeren und der mittleren Generation.“

In Deutschland beträgt das gesetzliche Renteneintrittsalter 67 Jahre, für den Anspruch auf eine volle Rente sei eine Beitragsdauer von 45 Jahren erforderlich. Aus der Politik kommen Forderungen, das Eintrittsalter auf 70 Jahre zu erhöhen. Wie in Deutschland herrscht auch in Frankreich ein Fachkräftemangel. Allerdings ist die Beschäftigungsquote unter älteren Menschen im westlichen Nachbarland noch deutlich geringer.

(Mit Material von dts und dpa)



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