Verarmter Libanon auf Krieg mit Israel nicht vorbereitet

Die Spannungen zwischen Israel und dem Libanon nehmen zu. Dabei reagiert Israel auf Angriffe, die die vom Iran unterstützte Hisbollah vom Libanon aus führt. Unterdessen ist das Land politisch praktisch führungslos.
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Leuchtraketen werden von Nordisrael aus auf das südlibanesische Grenzdorf Aita al-Shaab abgefeuert. Nach tödlichen Gefechten zwischen den vom Iran unterstützten Hisbollah-Kämpfern und der israelischen Armee sind im Libanon fast 29.000 Menschen vertrieben worden, wie eine Agentur der Vereinten Nationen am 27. Oktober mitteilte.Foto: Fadel Senna/AFP via Getty Images
Epoch Times2. November 2023

Feuerwehrleute ohne Wasser, Rettungskräfte ohne Helme. Wenn israelische Bomben auf den Südlibanon fallen, sind die Helfer schlecht vorbereitet. „Wir stehen an vorderster Front und haben keine Ausrüstung, um die Menschen zu retten“, klagt Anis Abla, Leiter des Zivilschutzes von Marjayoun an der Grenze zu Israel. Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch wäre ein Krieg für den Libanon eine weitere Katastrophe.

Er habe kein Geld, um kugelsichere Westen und Helme für seine Leute zu kaufen, sagt Abla. 37 zumeist freiwillige Mitarbeiter hat der Zivilschutz der Gemeinde zehn Kilometer von der Grenze entfernt. Seit dem großangelegten Überfall der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober kommt es auch an der libanesisch-israelischen Grenze fast täglich zu Gefechten. Die im Libanon aktive pro-iranische Hisbollah und ihre Verbündeten stellen ihre Angriffe als Akt der Solidarität mit der Hamas dar. Der Libanon fürchtet, in den Konflikt hineingezogen zu werden.

Bereits mehr als 60 Menschen im Libanon getötet

Der Staat ist bankrott, die Bevölkerung verarmt. Freiwillige und Nichtregierungsorganisationen versuchen, das Vakuum zu füllen. „Wenn der Krieg ausbricht, können wir unsere Teams vielleicht nicht mal mehr mit Essen versorgen“, sagt Abla. Strom gibt es nur wenige Stunden am Tag, weshalb auch die Wasserpumpen nicht zuverlässig funktionieren – ein großes Problem für die Feuerwehr, wie Hussein Fakih vom Zivilschutz in der Grenzregion Nabatieh erklärt.

Die Luftangriffe entfachen immer wieder Feuer in den Olivenhainen und Wäldern im Südlibanon. „Unser neuestes Fahrzeug ist etwa 30 Jahre alt“, sagt Fakih. „Wenn wir eine Reifenpanne haben, bekommen wir schon jetzt keinen neuen Reifen. Wenn sich die Situation verschlimmert, werden wir nicht alle unsere Aufgaben erfüllen können.“

Bei den Gefechten an der Grenze wurden nach einer Zählung der Nachrichtenagentur AFP bereits mehr als 60 Menschen im Libanon getötet, die meisten von ihnen Hisbollah-Kämpfer, aber auch vier Zivilisten, darunter ein Journalist. Israel meldete vier Tote. Fast 29.000 Libanesen mussten fliehen.

Die Stadt Hasbaja, ein paar Kilometer von Marjayoun entfernt, nahm hunderte Vertriebene auf. Rund 150 seien in einem unfertigen Touristenhotel untergekommen, sagt Bürgermeister Labib al-Hamra. Nur mit Hilfe von Spenden hätten sie Matratzen, Lebensmittel und Medikamente für die Flüchtlinge besorgen können.

„Meine größte Angst ist, dass sich das Szenario von 2006 wiederholt, nur noch schlimmer“, sagt al-Hamra. „Der libanesische Staat ist auf eine solche Katastrophe nicht vorbereitet.“ Im Krieg zwischen der Hisbollah und Israel waren 2006 mehr als 1.200 Libanesen getötet worden, die meisten davon Zivilisten. Israel zählte 160 Tote, vor allem Soldaten.

„Bescheidene Mittel“ der Übergangsregierung

Inmitten der Eskalation ist der Libanon politisch praktisch führungslos: Die Regierung ist nur kommissarisch im Amt, das Präsidentenamt seit einem Jahr vakant. Die Übergangsregierung hat einen Notfallplan entwickelt. Der Libanon befinde sich im „Auge des Sturms“, sagte der geschäftsführende Regierungschef Nadschib Mikati der Nachrichtenagentur AFP. Er tue sein Bestes, um sicherzustellen, dass der Staat mit seinen „bescheidenen Mitteln“ in der Lage sei, im Kriegsfall zu reagieren.

Gesundheitsminister Firas Abiad weist auf die dramatisch verschlechterte Lage des Landes hin: „2006 hatten wir keine Probleme mit Medikamenten und medizinischer Versorgung. Wir hatten keine Abwanderung von medizinischen Fachkräften und keine erdrückende Wirtschaftskrise.“

Viele Libanesen haben das Vertrauen in den Staat, ihnen zu helfen, längst verloren. Ali Chalil Awada ist mit seiner Frau in einem der engen, spärlich eingerichteten Zimmer im unfertigen Hotel in Hasbaja untergekommen. In den 74 Jahren seines Lebens wurde er immer wieder aus seinem Dorf an der Grenze vertrieben: während des Bürgerkriegs von 1975 bis 1990, während der israelischen Besatzung, im Krieg 2006. Aber so schlimm wie dieses Mal sei es noch nie gewesen, sagt er. „Wir können uns nicht einmal mehr Brot leisten, unser Staat ist tot.“

(afp/red)



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