Viktor Orbán im „Welt“-Interview: „Ungarn folgt weiter dem Weg Helmut Kohls – Deutschland hat ihn 2015 verlassen“

Im Interview mit der „Welt“ weist Ungarns Premierminister Viktor Orbán Forderungen nach einem Ausschluss seiner Partei aus der EVP zurück. Helmut Kohl habe Fidesz einst dorthin eingeladen. Bürgerlich-Konservative dürften nicht der machtstrategischen Salamitaktik der Linken auf den Leim gehen.
Von 4. März 2019

In einem Exklusiv-Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ hat Ungarns Premierminister Viktor Orbán Bestrebungen zurückgewiesen, seine nationalkonservative Partei Fidesz aus der Europäischen Volkspartei (EVP) auszuschließen. „Uns hat einst Helmut Kohl in die EVP eingeladen“, unterstrich Orbán, dass die Zugehörigkeit der Ungarn einem breiten Konsens folgte. „Wir haben die Mitgliedschaft damals als große Ehre empfunden und empfinden sie immer noch als große Ehre. Unser Ziel war und bleibt, die Partei zu stärken.“

Allerdings übte er Kritik an bürgerlich-konservativen Politikern und Parteien in der EU, die linke Machttaktiken nicht durchschaut hätten und sich deshalb als deren „nützliche Idioten“ betätigten. Die Linke wende eine Salamitaktik an, um ihre Macht zu sichern. „Und wenn Fidesz nicht existieren würde, dann würden sie irgendjemanden anderen angreifen, denn die Linke attackiert immer jemanden.“ Die nächsten, die sie ins Visier nehmen würden, wären Italiener und Österreicher, meint Orbán: „Es wird immer jemanden geben, den sich die Linke vornehmen wird, das ist das Wesen ihrer Technik der Machtpolitik.“

Seine jüngste Plakatkampagne gegen den ungarischstämmigen US-Milliardär George Soros und den scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker verteidigt der Premierminister. Dass Juncker aus der EVP kommt, nähme der Kritik nichts an ihrer inhaltlichen Richtigkeit.

„Jean-Claude Juncker ist ein netter Mensch. So nett, dass man ihm auch die albernsten und dümmsten Gesten verzeiht, die er macht. Ich bin zwar ein Straßenkämpfer, aber zwischen mir und Juncker besteht keinerlei persönlichere Abneigung. Mir gefallen allerdings seine Ansichten nicht, vor allem seine Annäherung an sozialistische Wirtschaftspolitik und seine Förderung der Einwanderung.“

Soros vertritt durch niemanden gewählte Einrichtungen

Die nächste Kampagne der ungarischen Regierung im Vorfeld der Europawahlen werde Junckers Stellvertreter Frans Timmermans ins Visier nehmen, der als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten um das Amt des Kommissionspräsidenten ins Rennen geht. Auch dabei werde Soros eine Rolle spielen, zu dem und dessen Ideen Timmermans selbst eine enge persönliche Verbundenheit eingeräumt habe.

Vorwürfe des Antisemitismus im Zusammenhang mit der massiven Kritik an George Soros weist Orbán weit von sich. Es gehe allein um politische Inhalte und um die Verteidigung von Demokratie und Souveränität gegen Versuche, den Willen der Bürger über demokratisch nicht legitimierte Nichtregierungsorganisationen oder supranationale Einrichtungen auszuhebeln:

„Ich kann doch nichts dafür, dass der ungarische Bürger Soros jüdischer Abstammung ist. Das liegt ausschließlich bei Gott. Aber es ist nun einmal Soros, der in Ungarn das hässliche Gesicht des Globalismus verkörpert. Auf der einen Seite steht Ungarn, verkörpert durch seine gewählten politischen Vertreter. Auf der anderen Seite stehen die von niemandem gewählten von Soros finanzierten internationalen Nichtregierungsorganisationen, die wollen, dass wir eine andere Migrationspolitik machen. Das ist von unserer Seite aus keine Kampagne, sondern ein normales Verhalten.“

Antisemitismus vor allem in Westeuropa auf dem Vormarsch

Gerade was den Antisemitismus anbelangt, habe Ungarns Regierung ihre Hausaufgaben gemacht. „Die ungarische jüdische Gemeinschaft steht unter dem Schutz der Regierung“, betont Orbán. „Außerdem betreiben wir eine konsequente proisraelische Außenpolitik. Denn wir sind davon überzeugt, dass es nicht nur für das europäische Judentum wichtig ist, dass es einen jüdischen Staat gibt, sondern dass die Sicherheit Israels darüber hinaus auch eine Schlüsselfrage ist für die Stabilität Europas.“

Orbán räumt ein, dass es früher bei der christlichen Rechten Antisemitismus gegeben habe, auch in Ungarn. Damit habe man jedoch aufgeräumt. Heute sei es nicht die Rechte, die für Antisemitismus verantwortlich sei, sondern die Feindschaft gegen Juden und gegen Israel werde durch die Migration importiert: „Deshalb nimmt der Antisemitismus heute in Westeuropa zu, während er in Mitteleuropa weiter abnimmt. Bis heute hat Europa kein Konzept dagegen. Wir brauchen aber eines!“

Das deutsch-ungarische Verhältnis sieht Orbán grundsätzlich als intakt an, insbesondere was Wirtschaft, Kultur und Tourismus anbelange. Ein Problem sei aber, dass deutsche Politiker sich von Vereinbarungen aus früheren Jahren entfernt hätten. Dies habe sich vor allem in der Flüchtlingskrise 2015 gezeigt. Aber auch was die zukünftige Gestaltung der EU anbelangt, würden bewährte Wege früherer Jahre infrage gestellt:

„Wir haben immer die Europa-Vision von Bundeskanzler Kohl unterstützt, dass die Größe der einzelnen Länder niemals eine Über- oder Unterordnung bedeuten darf. Daran haben sich alle deutschen Regierungen immer gehalten, bis das Problem der Migration auftauchte. Der Bruch in den politischen Beziehungen ist einzig durch die Migration entstanden. Wir bestehen auf dem Recht der Nationen auf Selbstverteidigung. Die Deutschen haben eine andere Philosophie.“

Eigenes EU-Gremium nur aus Innenministern soll sich mit Migration befassen

Orbán unterstrich, dass es bei den EU-Wahlen das erste Ziel sein müsse, ein sozialistisches Europa mit aufgeblähten Haushalten, hohen Schulden und Verteilung von Geld ohne Gegenleistung zu verhindern. Auch in Deutschland wisse man, dass dies dem eigenen Land schaden würde. Zudem müsse weiter jedes Land seinen eigenen Weg verfolgen können, auch in der Migrationspolitik.

Die größten Differenzen gebe es dabei in der Frage der Migration. Diese Unterschiede seien zwar nicht überbrückbar, aber man könne sie managen. Dazu sei es vonnöten, der Kommission damit zusammenhängende Fragen aus der Hand zu nehmen und einem gesonderten Gremium zu übergeben, das sich nur aus den Innenministern zusammensetzen solle:

„Man muss ein gesondertes Gremium schaffen, in dem ausschließlich nur die Innenminister der Schengen-Zone vertreten sind. Gerade so, wie im Fall der Euro-Zone, wo es einen gesonderten Rat der Finanzminister gibt. Und die Innenminister der Schengen-Zone müssten ein starkes Gremium erschaffen, damit die die gesamte Schengen-Zone betreffenden Fragen dort auf die Weise entschieden werden können, wie dies Fachleute machen, und nicht so wie die Politiker.“

 



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