Vom Sonnyboy zum Skandalkanzler: In Österreich brodelt es

Von Schattenwirtschaft, „Geld scheißen“ und der „Türkisanostra“ – Österreich hat ein Problem. Der höchsten Regierungsebene wird Korruption und Postenschacherei vorgeworfen. Gegen Sebastian Kurz ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Titelbild
Sebastian Kurz.Foto: CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images
Von 15. Juni 2021

Sebastian Kurz könnte künftig zugleich auf der Regierungs- und der Anklagebank sitzen. Ihm wird vorgeworfen, im Ibiza-Untersuchungsausschuss gelogen zu haben. Der Ibiza-Ausschuss förderte Ungereimtheiten zutage, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) untersucht die Vorgänge.

Die Österreicher sind aufgebracht über das Sündenregister des Kanzlers. Ein Beispiel: Dass die Türkisen (Türkis ist die Farbe der ÖVP) um den Kanzler den Ibiza-Ausschuss eher missachteten und sich auf „Erinnerungslücken“ ausruhten – allein 86 waren es bei der Anhörung von Finanzminister Gernot Blümel. Ein anderes Beispiel: Erst durch den Verfassungsgerichtshof konnte erzwungen werden, dass verweigerte Akten und Daten zur Verfügung gestellt wurden.

Die Regierenden hoffen auf die sommerliche Parlamentspause – und darauf, dass der Ibiza-Untersuchungsausschuss mithilfe der Grünen nicht verlängert wird. Kurz rechnete nicht mit einem Verfahren gegen sich. Mittlerweile erreicht er mit 55 Prozent den Spitzenplatz bei den unbeliebtesten Politikern des Landes. Auf Platz zwei folgt mit 52 Prozent sein Finanzminister Gernot Blümel.

Es gibt mittlerweile einige türkise Regierungsmitglieder, die sich mit pikanten oder juristisch relevanten Vorwürfen konfrontiert sehen. Gegen Kabinettschef Bernhard Bonelli und Finanzminister Blümel wird ebenfalls ermittelt.

Die Ermittlungen seien eine Hetzjagd und politisch motiviert, entgegne lautstark der türkis-schwarze Spin, erklärt die „Gazette Österreich“. Man fordere die Unschuldsvermutung ein, obwohl „gerade die türkis-schwarzen Herrschaften“ das bei ihrer Konkurrenz schon lange nicht mehr tun.

Pöbel, Tiere und „eine schrecklich korrupte Familie“

Es sei unklar, ob bei den vielen Ermittlungen etwas herauskomme, schreibt der „Standard“. Falschaussagen, wie sie Kanzler Kurz und dessen Kabinettschef Bernhard Bonelli vorgeworfen werden, wären vor Gericht schwer zu beweisen.

Von der linken Wochenzeitung „Falter“ wird Kanzler Kurz hingegen unter dem Titel „Eine schrecklich korrupte Familie“ als Mafia-Pate abgebildet. An seiner Seite: Finanzminister Gernot Blümel und Thomas Schmid, früherer Alleinverwalter der Staatsholding Österreichs (ÖBAG).

Thomas Schmid trat am 8. Juni von seinem Posten zurück. Der Hintergrund? Peinliche Chats zwischen Kurz, Blümel und Schmid. Die ÖBAG verwaltet rund 27 Milliarden Euro in elf Industriebeteiligungen, unter anderem beteiligt sich der Staat am Energiekonzern OMV, der Telekom Austria und der Post.

Dass er die katholische Kirche unter Druck setzte, führte zuvor nicht zu seinem Rücktritt. Das sogenannte „Beidlgate“ führte ebenfalls nicht zu seinem Rücktritt. Auf dem Diensthandy von Thomas Schmid fand man jede Menge Penisfotos. Der offene Vorwurf von heimlicher Homosexualität im nahen Umfeld des Kanzlers schlägt sich auf die eher kirchennahe ÖVP nieder. „Devote Liebe soll auch schön sein“, erklärte Finanzminister Blümel gegenüber ÖBAG-Chef Schmid.

Erst als die Öffentlichkeit erfuhr, dass Schmid die Menschen da draußen gern auch als „Pöbel“ bezeichnet und Beamte als „Tiere“ kam der Rücktritt.

Im Land kursieren Gerüchte über weitere Rücktritte, schreibt „News.at“. Doch erst, wenn der Druck zu groß sei, würde Finanzminister Blümel durch einen Vertrauensmann von Kurz ersetzt. Eine Hausdurchsuchung der Staatsanwaltschaft bei Gernot Blümel fand bereits statt. Den Laptop des Finanzministers hatte seine Frau, die seinen Angaben nach zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchung spazieren war. Sebastian Kurz ignoriert indes die Aufforderungen zum Rücktritt.

Chats – Kritik am Umgangston der Führungsriege

Andere Chats sind ebenfalls interessant für die Ermittler. 2016 schrieb Schmid, damals noch Generalsekretär und Kabinettschef im Finanzministerium, an Sebastian Kurz: „Du hast eine Budget Steigerung von über 30%! Das haben wir NUR für dich gemacht. Über 160 Mio mehr! Und wird voll aufschlagen. Du schuldest mir was :-)))! LG t.“

Wurde er später dafür befördert? Schattenwirtschaft? Der Staat als Beute einer Führungsriege? Die Fragen stehen im Raum und werden von den Korruptionsermittlern untersucht.

Die ÖVP antwortete auf den Vorwurf, dass ein Standardvorgang nun verschwörungstheoretisch aufbereitet werde. Die Mittel des Außenministeriums seien wegen der Mehrkosten zur Bewältigung der Flüchtlingskrise und des Türkei-Abkommens aufgestockt worden.

Möglicherweise organisierte der Bruder von Stefan Steiner, dem engsten Berater von Sebastian Kurz, die Millionen. Heute ist Thomas Steiner (der Bruder) Direktor der Nationalbank. „Wofür die Steiner-Schmid-Millionen genau verwendet wurden, ist schon deshalb schwierig herauszufinden, weil es das Außenministerium unter Kurz mit seinen Abrechnungen nicht so genau nahm“, schreibt das österreichische Medium „Zackzack“.

Auch der Umgangston der Führungsriege ist heikel und entsetzt die Österreicher: „Kurz kann jetzt Geld scheißen“.

Die brisanten Chats wurden, so „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk, von der ÖVP selbst geleakt. Vermutlich wollen die eher konservativen christlich-sozialen Parteimitglieder der ÖVP auf diese Weise ihre türkisen „Sonnyboy“ loswerden, wird in den Medien spekuliert.

Anfang Juni trat bereits Wolfgang Brandstetter nach höhnischen Chat-Nachrichten als Verfassungsrichter zurück. Er tauschte diese mit Christian Pilnacek aus. Brandstetter war 2013 bis 2017 Justizminister und anschließend Vizekanzler, bevor er 2018 Richter am Verfassungsgerichtshof wurde. Pilnacek wurde wegen Verrat von Amtsgeheimnissen als Sektionschef des Bereiches „Strafrecht“ im Februar 2021 suspendiert.

Das Volk reagiert derb

Das Volk munkelt, dass ein „pubertierender Narzisst Österreich mit einem Schlachtplan übernahm“. Zudem werde es von der „Türkisanostra“, von „schwulen Seilschaften“ regiert. Natürlich gelte die „Unschwulsvermutung“, so die sarkastische Aussage vom Betreiber des YouTube-Kanals „Neue Normalität“.

Andere Medien schreiben: „Jetzt geht’s um kriminelle Türkise gegen halbkriminelle Schwarze… Wetten das dort fast alle froh sind, wenn der unnedige Oberschnösel geht und seine billige Sippe mitnimmt… Gäbe es eine unabhängige Justiz, würde bereits eine Klagewelle über die Türkisen rollen, das die sich in der Früh nicht mal mehr aus dem Bett trauen…. Aber wie wir wissen, Zadic ist Familie…“

Alma Zadic ist in Österreich Justizministerin (Grüne), sie entschuldigte sich am 7. Juni für die strafrechtliche Verfolgung von homosexuellen Menschen in Österreich in der Zweiten Republik von 1950 bis 1971.

„Die Bussi-Bussi-Gesellschaft rund um Kanzler Sebastian Kurz versinkt in einem Sumpf aus Korruption und Postenschacherei“, formuliert der „Falter“.

Kürzlich rechnete der ehemalige Leiter des Chronik-Ressorts der „Kronen Zeitung“, Thomas Schrems, in einem Facebook-Beitrag mit Sebastian Kurz ab. Jedes neue Gesicht in der Bundesregierung habe sich bei der „Krone“ erst mal vorgestellt, doch andere hätten sich bei „weitem nicht so geschickt angestellt wie Kurz und Konsorten. Schrems stieg aus dem Spiel aus und ist froh, nicht mehr mitmachen zu müssen. Zudem ist er wütend, mit ansehen zu müssen, wie Kurz und „seine Spezis dieses Land untereinander aufteilen, in den Sumpf ziehen und bis zum Erbrechen der Lächerlichkeit preisgeben.“

Ukrainischer Oligarch, der wegen Korruption gesucht wird, wohnt in Villa eines ÖVP-Großspenders

Im Rahmen von Corona und dem Vorhaben von Kurz, gemeinsam mit Dänemark und dem israelischen Premier Netanjahu eine Impfallianz zu gründen, bringt eine Reise von Sebastian Kurz Teile des Landes ebenfalls auf die Palme. Anfang März 2021 flogen Sebastian Kurz und seine dänische Kollegin Mette Frederiksen nach Israel.

Kanzler Kurz kehrte in einem ukrainischen Oligarchen-Jet aus Israel zurück nach Wien.

Hinter dem Jet steht ein Günstling von Putin, der ukrainische Oligarch Firtasch. Firtasch lebt in Österreich, in einer Villa in Wien, die ÖVP-Großspender Alexander Schütz gehört. Ein weiterer ÖVP-ler, Daniel Kapp, ist sein PR-Agent. Nach Angaben eines Anwalts versuchte Kapp von ihm Beweise für den Drogenkonsum von HC Strache zu bekommen – woraufhin ihm der Anwalt eine Haarprobe und Fotos von Strache besorgte.

Firtasch wird von den US-Behörden wegen Korruption gesucht, sein Auslieferungsverfahren seit Jahren hinausgezögert. Und die Spur des Jets führt bis zu Wirecard und Raiffeisen.

Wie geht es weiter? Die Lage ist trügerisch

Die Ruhe in Österreich ist – lockdownbedingt – trügerisch. Ein ehemaliger Funktionär analysiert in „News.at“ die Lage so:

„Ein Teil der früher Schwarzen und heute Türkisen wirkt wie ‚brainwashed‘. Sie geben sich ganz dem Glück hin, mit Kurz an allen Hebeln der Macht zu ziehen. Sie erleben Kurz wie einen Erlöser. Er hat alles richtig, noch keinen Fehler gemacht und wird auch in Zukunft keinen machen. Jedes kritische Wort über Kurz und Co. erleben sie wie eine persönliche Beleidigung. Sie wirken wie eine Sekte.“

Ein zweiter Teil habe wachsende Bedenken über den Kurs von Kurz und seiner Umgebung, spreche aber in der Öffentlichkeit nicht darüber. Viele in öffentlichen Funktionen würden schweigen, weil sie Angst haben. Das aus der Schüssel-Ära bekannte Prinzip „Hände falten, Goschn halten“ gelte wieder.

Und: „Ein dritter Teil ist bestürzt, bedrückt, enttäuscht über die Ära Kurz. Dieser Teil würde sich gern artikulieren, wird aber dank Message Control in der Öffentlichkeit nur wenig gehört – wie lange noch?“



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