Typisch britisch: Regeln aufstellen und sich selbst nicht daran halten
Die Regierung in London stürzt von einer Krise in die nächste, wegen des Brexits. Die Verhandlungen mit Brüssel machen es nicht einfacher. Besonders der Status von Nordirland steht einer Lösung im Weg. Apokalyptische Szenarien werden durchgespielt und der Eindruck entsteht, dass eine einfache Lösung von beiden Seiten nicht gewünscht ist.
Allein die Tatsache, dass im Zuge der „Scheidung“ über 22.000 Gesetze verhandelt werden muss, belegt den Irrsinn, der dem gesamten Gebilde „EU“ innewohnt, denn diese Gesetzes- und Verordnungsflut gilt auch für die anderen EU-Staaten. So wäre der Brexit eine gute Gelegenheit, über das Grundkonstrukt der EU nachzudenken. Der Umgang mit Großbritannien zeigt aber, dass dazu keinerlei Bereitschaft besteht.
So werden auch in anderen Ländern Kräfte als „Feinde der EU“ diffamiert, die diesen Verordnungswahnsinn infrage stellen, ohne jedoch die EU als solche zerlegen zu wollen. Dabei ist es genau dieses Gefühl des Fremdbestimmtseins, das die Kritik an der EU befeuert und letztlich die Briten für den Austritt stimmen ließ.
London war stets ein egoistischer Bremser in der EU
Die Insel jenseits des Kanals war noch nie ein überzeugtes Mitglied der EU. Von Beginn an wollte London nur eine EU, in der England die klare Führungsmacht ist. Frankreichs De Gaulle hat das verhindert.
Nun hat sich Deutschland zur Führungsmacht entwickelt, vor allem nach der Wiedervereinigung. Wie sehr das die Briten schmerzen wird, haben sie bereits 1989 vor der Wiedervereinigung bekanntgegeben. So schrieb der SUNDAY CORRESPONDENT am 16. September 1989 : „Wir sind 1939 nicht in den Krieg eingetreten, um Deutschland vor Hitler oder die Juden vor Auschwitz zu retten. Wie 1914 sind wir für den nicht weniger edlen Grund in den Krieg eingetreten, dass wir die deutsche Vormachtstellung in Europa nicht akzeptieren können.“
Da darf es nicht verwundern, dass die Engländer für den Brexit gestimmt haben, Schotten, Waliser und Nordiren dagegen. Die Bilder aus London mit Brexit-Gegnern vermitteln ein falsches Bild.
London war schon immer ein egoistischer Bremser, wenn es um elementare Bedürfnisse der EU ging. So scheiterte zum Beispiel die Einführung einer Finanztransaktionssteuer immer am Veto der Briten. Auch das darf nicht verwundern, denn die Briten sind die einzigen in Europa, die ihr gigantisches Außenhandelsdefizit mit gnadenlosem Drucken von britischen Pfunden übertünchen können.
Mit einer Finanztransaktionssteuer bestünde für London die Gefahr, den Finanzplatz “City of London” zu beschädigen, aus dem immerhin etwa dreißig Prozent des britischen BIP in die Gesamtbilanz fließen. Großbritannien ist wirtschaftlich gesehen in schlechterem Zustand als Griechenland oder Italien. Es sind nicht nur enorme Staatsschulden, sondern auch die durchschnittliche Verschuldung der Privathaushalte, die aufzeigen, dass England eigentlich schon lange pleite wäre, wenn sie einem ähnlichen Finanzregime unterstünden, wie der Rest Europas.
Nordirland und Gibraltar sind unnötige Anachronismen
Großbritannien passt nicht zur EU. Bereits Jahre vor der Brexitentscheidung waren Stimmen zu hören bis ins Baltikum, dass man nicht traurig sein würde, sollte England sich verabschieden. Warum also wird dieser Vorgang jetzt so unnötig kompliziert gemacht?
Der Hauptgrund dürfte sein, dass kein schlechtes Beispiel entstehen soll. In dem Sinne, dass es andere zum selben Schritt ermutigen könnte, wenn England vom Austritt sogar profitieren sollte. Weniger wirtschaftlich, eher emotional. Was aber das Wirtschaftliche anbelangt, werden Probleme erst geschaffen.
Warum kann die Zollunion nicht einfach beibehalten werden? Allenthalben werden Freihandelsabkommen als wünschenswert proklamiert und da, wo man schon eines hat, nämlich die EU mit Großbritannien, soll es unbedingt wieder Zölle geben. Es würde ausreichen zu vereinbaren, EU-Waren weiterhin zollfrei zu handeln, Waren aus Drittstaaten aber davon auszunehmen. Damit wäre auch das Hauptproblem, Nordirland, ausreichend geregelt.
Mit Nordirland bin ich aber noch bei einer ganz anderen Thematik. Ganz Irland war lange von den Briten besetzt wie eine Kolonie. Erst 1921 nach dem irischen Unabhängigkeitskrieg konnte sich Irland seine Freiheit ertrotzen.
Aber die Briten haben sich in ihrer üblichen Manier einen Teil behalten: Nordirland. Dass das zu jahrzehntelangen Konflikten, Mord und Totschlag geführt hat, hat die Welt einfach hingenommen, wie alle vergleichbaren Folgen britischen Handelns, von denen es eine Menge gibt. Wäre der Brexit nicht eine willkommene Gelegenheit, auch darüber nachzudenken?
Warum fordert die EU London nicht einfach auf, seinen Stützpunkt auf der irischen Insel aufzugeben? Ein Referendum abzuhalten, ob man zu Dublin, also weiterhin zur EU, gehören will. Es ist schlicht ein Anachronismus, wenn London auf seinen Ansprüchen beharrt, die sowieso nicht konform zum heutigen Völkerrecht entstanden sind. Dasselbe gilt für die Militärbasis Gibraltar, mit der sich London die Kontrolle über den Zugang zum Mittelmeer sichert und die das zweite Problemfeld des Brexits ist.
Typisch britisch: Regeln aufstellen und sich selbst nicht daran halten
Großbritannien hat es nach dem Ersten Weltkrieg verstanden, das Völkerrecht so zu gestalten, dass bestehende Grenzen nicht verändert werden dürfen. Die Sache hat zwei Haken. Zum einen haben sie diese Regel erst geschaffen, nachdem sie selbst alle möglichen Grenzen nach ihrem Belieben verändert haben. Nicht nur in Europa vor allem die deutschen, sondern willkürlich im gesamten Nahem Osten.
In allen Fällen haben sie damit die Voraussetzungen geschaffen, für neue Kriege, Gewalt und Chaos. Selbst haben sie sich an diese Vorgaben allerdings nie gehalten. Man denke nur an Kaschmir, West- und Ostpakistan, das heute Bangladesch heißt.
Zudem haben die Briten immer darauf geachtet, auch nach einem nominalen Rückzug Militärbasen zu behalten. Siehe Zypern. Es ist schon perfide, wenn man erst einen Zustand herstellt und dann die Regel nachlegen lässt, dass dieser Zustand niemals mehr verändert werden darf, ganz gleich, wie sinnvoll er sich erweisen mag.
Gerade im Nahen Osten wären neue Grenzziehungen dringend notwendig, um zum Beispiel Frieden in das Gebiet der Kurden zu bringen. Oder in Europa, um den Nordirlandkonflikt für immer zu beenden, denn die irischen Katholiken dort fühlen sich immer noch unter Besatzung durch die Briten. Aber es sind dieselben Briten, die allen anderen vorschreiben wollen, wie man sich zu verhalten hat.
Die Briten, die die Sezession der Krim als Annexion bezeichnen. Vergessen wir nicht: Es gibt keinen aktuellen Kriegs- oder Konfliktherd, der nicht ursprünglich auf die imperialen Aktionen des British Empire zurückzuführen sind. Es wäre also an der Zeit, anlässlich des Brexit diese Dinge aufzuarbeiten und London aufzufordern, ihre letzten Kolonien in Europa, Nordirland und Gibraltar, mit einer Volksabstimmung entscheiden zu lassen, wohin sie gehören wollen.
Ohne EU ist England verdammt zur Bedeutungslosigkeit
In diesem großen Aufräumen wäre es auch angebracht, die britische Praxis mit Steueroasen im Kanal und der Karibik zu beenden; Großbritannien seine diversen Sonderprivilegien abzusprechen in dem Sinn, dass sich UK wie jeder andere Staat benehmen muss.
Hierzu gehört auch, dass die UN neu geregelt werden muss. Wie kann es heutzutage noch sein, dass eine der kriegerischsten Nationen, Großbritannien, eines von fünf Vetorechten in der UNO hat, obwohl diese kleine Insel bevölkerungsmäßig und wirtschaftlich (ohne Banksektor!) im weltweiten Vergleich nur eine Nebenrolle spielt? England ohne EU ist verdammt zur Bedeutungslosigkeit. England braucht die EU, die EU England sicher nicht. Im Gegenteil wird sich die EU schneller entwickeln können, ohne den Bremser jenseits des Kanals.
Jenseits des Atlantik mischt Donald Trump die Weltordnung auf. China ist zur Weltmacht aufgestiegen. Korea steht vor einer friedlichen Wiedervereinigung. Russland hat sich vom Schock der postsowjetischen Jahre erholt. Alles ist in Bewegung und wenn die Briten meinen, sie kämen fortan besser zurecht ohne die EU, dann sollte man ihnen ihren Willen lassen, aber man sollte den Prozess nicht unnötig komplizieren.
Jedes Land hat das Recht, Zölle zu erheben oder es zu lassen. Warum also müssen plötzlich Zölle im Weg stehen, wenn England aus der EU ausscheidet? Niemand kann die EU oder England zwingen, nach erfolgtem Brexit Zölle zu erheben. Viel vernünftiger wäre natürlich, die bestehende Zollunion fortzuführen (siehe oben).
Auch danach steht es England frei, weiterhin EU-Normen zu übernehmen. Wenn diese allerdings verändert werden, dann hat England eben kein Stimmrecht mehr. Das kann der EU gleichgültig sein. Den Eurokraten in Brüssel ist aber offensichtlich nicht gleichgültig, wenn aus dem Brexit ein ganz neues, anderes und vielleicht besseres Verfahren der EU-Staaten untereinander als möglich sichtbar werden könnte.
Ein offenes Europa, das seine Regeln gemeinsam schafft, aber jedes Mitglied die Freiheit erhält zu entscheiden, in welchem Ausmaß diese Regeln für das eigene Land übernommen werden. Das könnte die Europamüdigkeit überwinden, die Macht der nicht gewählten Kommissare wäre gebrochen. Ob das der wahre Grund ist, warum der Brexit mit allen Mitteln kompliziert gestaltet wird?
Nach dreißig Jahren als Lufthansapilot ist Peter Haisenko seit 2004 tätig als Autor und Journalist. Der Artikel erschien zuerst bei anderweltonline.de.
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