Weil sie ein Gefälligkeitsinterview verweigerte: ORF reagiert mit Versetzung und Kündigung
„Strukturellen Machtmissbrauch“ wirft die Journalistin Sonja Sagmeister dem ORF, der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt in Österreich, vor. Derzeit geht sie gegen die Kündigung vor, die das Medium der langjährigen Mitarbeiterin vor einigen Wochen ausgesprochen hatte. Der ORF hatte der Wirtschaftsjournalistin die Kündigung kurz vor einem bevorstehenden Gerichtstermin ausgesprochen. Die zuvor 29 Jahre lang beim Sender beschäftigte Sagmeister hatte eine Versetzung angefochten.
Sagmeister seit 1994 für den Sender tätig
Regelmäßigen Zuschauern der Hauptnachrichtensendung „Zeit im Bild“ und der ORF-„Pressestunde“ war Sagmeister gut bekannt. Als Korrespondentin war sie unter anderem in Brüssel, aber auch in Griechenland in den Jahren der Eurokrise beschäftigt.
Wie die „Kronen Zeitung“ berichtet, wurde ein geplantes Interview mit Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) zum Stein des Anstoßes. Dieses sollte im vergangenen Oktober stattfinden – und Vorgesetzte gaben Sagmeister im Vorfeld Instruktionen, wie dieses ablaufen solle.
Sagmeister sollte den Minister, so die Anordnung, ausschließlich zu den Themenbereichen Arbeitsmarkt und Haushalt befragen, schreibt „heute.at“. Dies sei auch mit Kochers Pressestelle so abgesprochen. Per Sperrfrist war auch der Zeitpunkt der Ausstrahlung bereits im Vorfeld für den darauf folgenden Sonntag fixiert.
„Mikrofonständer-Journalismus“ im ORF?
Die erfahrene Wirtschaftsjournalistin sah jedoch auch andere aktuelle Themen, über die sie mit dem Minister gerne gesprochen hätte. In E-Mails an die Vorgesetzten beschwerte sie sich über die Einschränkung ihrer redaktionellen Freiheit. Gegenüber „heute“ sprach sie von „Mikrofonständer-Journalismus“ und dass sie deutlich gemacht habe, dafür nicht zur Verfügung zu stehen.
Kochers Pressesprecherin beharrte Sagmeister gegenüber auf die Einhaltung einer „Abmachung“ mit ihren Vorgesetzten. Auf Sagmeisters Frage, wo sie diese Form von Journalismus gelernt habe, antwortete diese: „In der ÖVP-Parteizentrale vor 2020.“ Dies geht aus Sagmeisters Gedächtnisprotokoll hervor. Die Journalistin befragte Kocher am Ende dennoch auch zu aktuellen Themen wie der hohen Inflation und Gehaltsverhandlungen.
Anschließend zitierte man sie zum Rapport. Ihre Vorgesetzte bescheinigte Sagmeister telefonisch, sich „daneben benommen“ und „Grenzen überschritten“ zu haben. Sie erhielt eine Abmahnung. Daraufhin verfasste die Journalistin ihr Protokoll und beschwerte sich unter anderem bei Generaldirektor Roland Weißmann.
Sagmeister-Beiträge zu aktuell relevanten Themen mehrfach abgelehnt
Dies hatte für Sagmeister noch weitere Konsequenzen. Sie erhielt eine Aufforderung, ihren noch offenen Urlaubsanspruch im November und Dezember zu verbrauchen. Im Dienstplan tauchte ihr Name nicht mehr auf. Sagmeister solle sich täglich im ORF-Intranet darüber informieren, ob sie „benötigt“ werde.
Im Januar 2023 wandten sich auch Redakteurskollegen in einem Krisengespräch gegen sie. Zwar erhielt Sagmeister ihren Dienstplan wieder, allerdings wurden vermehrt Beiträge und Themenvorschläge der Top-Wirtschaftsjournalistin abgelehnt, darunter auch solche für die Allgemeinheit relevanten Themen wie Personalmangel im Tourismus, OPEC, Ölpreise oder Inflation.
Nachdem sich Sagmeister in einer Rundmail über diesen Umgang mit ihr beschwert hatte, teilte man ihr die Versetzung mit. Ab sofort sollte sie in der Nekrothek, dem sogenannten Todesarchiv Dienst tun. Dort besteht die einzige Aufgabe im Verfassen von Nekrologen – eigenständige journalistische Arbeit findet dort nicht mehr statt.
Nachdem Sagmeister auf gerichtlichem Wege die Feststellung der Unwirksamkeit der Versetzung beantragt hatte, erfolgte die Kündigung. Gegen diese will Sagmeister nun vorgehen – zudem wird sich auch das ORF-Aufsichtsgremium „Kommunikationsbehörde Austria“ mit einer Beschwerde befassen. Der ORF selbst wollte in der Angelegenheit noch keine Stellungnahme abgeben.
Interventionen nach Ende der Ära Oberhauser erfolgreicher?
Im Gespräch mit „heute“ sprach die Journalistin von einer neuen Qualität der Intervention. Es habe in den fast 30 Jahren ihrer Tätigkeit „natürlich immer wieder Interventions-Versuche“ gegeben. Auch seien vor allem jüngere Kollegen häufig starkem Druck ausgesetzt. Ein Vorgehen wie in ihrem Fall sei jedoch in dieser Form noch nicht dagewesen. Gegenüber „heute“ äußerte Sagmeister:
Ich habe vollkommen unterschätzt, welche Strukturen im ORF herrschen – das ist struktureller Machtmissbrauch. Du hast keine Chance gegen dieses System.“
In den 1990er-Jahren war der ORF noch bekannt für Journalistenpersönlichkeiten, die nach allen Seiten kritisch waren und kein Blatt vor den Mund nahmen. Ein bekanntes Beispiel dafür war der gelernte Sportjournalist Elmar Oberhauser. Dieser bescheinigte einem Minister auf dessen Frage, warum er ihn nicht zu einem von diesem gewünschten Thema befragte, „hier nicht beim Wunschkonzert“ zu sein.
Oberhauser wurde 2010 nach drei Jahren vom Stiftungsrat mit knapper Mehrheit als Informationsdirektor abgesetzt. Vorangegangen waren Konflikte mit Generaldirektor Alexander Wrabetz. Seither meinen Kritiker, dass parteipolitische Interventionen im österreichischen Gebührenrundfunk zugenommen hätten und auf größere Erfolgschancen zählen könnten.
Weitere ORF-Mitarbeiterin klagt über Versetzung – und sexuelle Belästigung
In Sachen Sagmeister steht am 17. November ein weiterer Termin vor dem Arbeitsgericht an. Am gleichen Tag findet auch eine Verhandlung im Fall der ORF-Managerin Ingrid F. statt. Diese hatte ebenfalls eine verschlechternde Versetzung beanstandet und wirft dem Sender Machtmissbrauch vor. Darüber hinaus behauptet sie, von einem Vorgesetzten sexuell belästigt worden zu sein.
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