Wenn sich das Raubtier unbemerkt anpirscht, bleibt keine Nachricht, kein Foto mehr privat

Intellexa Alliance heißt ein Firmenverbund, der Despoten und Unrechtsstaaten mit Cyberwaffen wie Predator beliefert. Eine internationale Recherche zeigt nun, dass auch Deutsche am großen Lauschangriff viel Geld verdienen. Erster Teil eines zweiteiligen Artikels.
Ein neues Projekt der Deutschen Bahn und verschiedener Telekommunikationsfirmen soll ein stabiles Handynetz an Bahngleisen gewährleisten.
Symbolbild: Unbemerkt installieren sich Spionageprogramme wie Predator auf dem Handy.Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Von 17. Oktober 2023

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Eine Mitteilung aufs Handy, einmal angeklickt und schon hat man einen dauerhaften, unsichtbaren Begleiter im Alltag. Predator (Raubtier) nennt sich ein Spionageprogramm, das offenbar gern von Regierungen benutzt wird, um Kritiker ihrer Politik auszuspähen. Der „Spiegel“ berichtet darüber ausführlich und schildert die Fälle des griechischen Journalisten Thanasis Koukakis und des ägyptischen Oppositionellen und ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Ayman Nour.

Griechisches Watergate

Mit dem Programm können Angreifer praktisch alles abgreifen, was sich auf dem Handy befindet. Keine Nachricht, kein Gespräch, kein Foto oder Film bleibt mehr privat. In Koukakis‘ Heimat wuchs sich der Abhörskandal zum griechischen Watergate aus. Laut „Spiegel“ konnten dortige Datenschützer 92 Predator-Opfer ausmachen. Die meisten verband eines: Sie gehörten zu den Gegnern des konservativen Premierministers Kyriakos Mitsotakis. Der wiederum bestreitet, etwas mit den Lauschattacken zu tun zu haben, obwohl es belastende Indizien gibt.

Analysten des Citizen Lab, einer Forschungseinrichtung der Universität Toronto, haben das Raubtier auf Koukakis’ Handy entdeckt und neben Griechenland weitere mutmaßliche Orte identifiziert, an denen das Programm zum Einsatz kam. Dazu gehören neben den bereits genannten Griechenland und Ägypten auch Indonesien, Madagaskar, der Oman sowie Serbien. Auch dort waren den Mächtigen unbequeme Menschen das Ziel.

EU-Abgeordnete: Es ist ein europäisches Problem

Ermittlungsbehörden nutzen Spionageprogramme wie Predator, um Kriminelle zu fassen. Doch würden damit auch tagtäglich unbescholtene Menschen ausgespäht, sagt die liberale Europaabgeordnete Sophie in’t Veld aus den Niederlanden. Auf den Handys seien keine Informationen mehr sicher. Die Überwachungsindustrie habe überall in Europa „echte Hotsports“ installiert, die Spionagefirmen mit einem „verlässlichen Finanzsystem und Steuererleichterungen“ unterstützten. Die Niederlande, Frankreich, Irland, Luxemburg, Zypern, Bulgarien und „viele andere Länder helfen mit, dass Menschen weltweit ausspioniert werden«, sagt in’t Veld. „Es ist ein europäisches Problem.“

Nach einjähriger investigativer Recherche unter Leitung der European Investigative Collaborations (EIC) veröffentlichten das französische Investigativportal „Mediapart“ und der „Spiegel“ Dokumente, die einen Einblick „in die geheime Welt der Erfinder, Finanziers und Verkäufer Furcht einflößender Spionagewaffen wie Predator“ ermöglichten. Spezialisten von Amnesty International (AI) begleiteten die Recherche mit technischen Analysen.

Alarmierend sei dabei, „dass viele Spuren der skrupellosen Spionage-Anbieter nach Deutschland führen, in das selbst ernannte Mutterland des Datenschutzes und der informationellen Selbstbestimmung“. So habe sich ein „politisch bestens vernetzter Unternehmer aus Hamburg“ in zwei Skandalfirmen eingekauft. Mit viel Geld unterstützte ein „kunstbeflissener Mäzen aus Berlin“ die Entwicklung der Spionagesoftware, so der „Spiegel“ weiter.

Eine der wahrscheinlich gefährlichsten Unternehmungen

Die monatelange Recherche zu den „Predator Files“ basiere auf Tausenden Gerichtsdokumenten, Verhörprotokollen und vertraulichen Firmenpräsentationen. Dabei werde deutlich, wie europäische Geschäftsleute seit mehr als einem Jahrzehnt Despoten und Unrechtsstaaten mit neuesten Überwachungswerkzeugen ausstatteten und „prächtig“ daran verdienten. Finanziert, unterstützt und beraten aus Deutschland schlossen sich diese Firmen zu einer Allianz zusammen. Intellexa Alliance half dabei, Menschen in großem Stil auszuspionieren. Dieser Verbund ist „eine der wahrscheinlich mysteriösesten und gefährlichsten Unternehmungen Europas“.

Die Anfänge von Predator gehen auf einen Mann zurück, der einst in der Unit 81 diente, einer streng geheimen Formation der israelischen Armee. Tal Dilian (62) führte die Cyber-Eliteeinheit als Kommandeur. Sein Abschied nach rund 25 Jahren fiel wenig ruhmreich aus. Es stand der Vorwurf im Raum, dass er sich bereicherte habe. Er machte sich im Überwachungsgeschäft selbstständig. 2018 entdeckte er ein Start-up in Nordmazedonien namens Cytrox. Programmierer arbeiteten dort an einem neuen Spionagewerkzeug, doch die Entwicklung kostete viel Geld. Das Start-up konnte die Gehälter nicht mehr zahlen. Dilian übernahm Cytrox mit seiner Firma Aliada. Die Entwicklung des Programmes ging weiter und bekam später den Namen Predator.

Kredit in zweistelliger Millionenhöhe

Das Geld dafür besorgte sich Dilian in einer unscheinbaren Einkaufsstraße in Zossen, einer kleinen brandenburgische Stadt südlich von Berlin. Dort hat die Firma Davidson Technology Growth Debt ihren Sitz. Der Chef, Eran Davidson kam 2005 aus Tel Aviv nach Deutschland, um Fonds des SAP-Gründers Hasso Plattner zu verwalten. Seit 2014 ist er als Risikokreditgeber selbstständig. Die Aussichten des Predator-Unternehmens überzeugten ihn. Er stellte der Firma einen zweistelligen Millionenkredit zur Verfügung. Das Geld stammte aus einem von ihm verwalteten Fonds.

In diesen investierten laut „Spiegel“ unter anderem Leo Rokeach, Geschäftsführer der Lankwitzer Lackfabrik, und der Immobilienunternehmer Artur Süßkind. Ebenfalls beteiligt sind Großhotelier Michael Zehden, Rolf Christof Dienst, der Mitgründer des Portals Immoscout, und Heinrich Arnold, der ehemalige Chef der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Deutschen Telekom.

Mit Millionenbeträgen beteiligt

Einer ragte besonders heraus: der Kulturinvestor Yoram Roth. Der Berliner, Sohn des verstorbenen Immobilienmoguls Rafael Roth, besitzt Beteiligungen an einem Kulturmagazin, an einer Fotomuseen-Gruppe und hat zudem das traditionsreiche Tanzlokal „Clärchens Ballhaus“ – in der Mitte der Hauptstadt gelegen – gekauft und saniert.

Roth steckte nicht nur Geld in den Fonds von Davidson. Er beteiligte sich auch mit zusätzlichen 1,5 Millionen US-Dollar direkt an der neuen Cytrox-Mutter Aliada und bekam dafür laut internen Firmendokumenten 2,5 Prozent der Anteile.

Im Sommer 2019, nur wenige Monate nach den Kapitalspritzen aus Deutschland, lud Ex-Militär Dilian das US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ nach Zypern ein. Der Israeli gab den Journalisten ein ausführliches Interview und startete eine Produktpräsentation vor laufenden Kameras – sehr unüblich für seine Branche. Er zeigte einen schwarzen Van mit verdunkelten Scheiben. Der frühere Krankenwagen war nun umgebaut zu einer mobilen Lauschzentrale, vollgepackt mit Servern, Monitoren und Antennen im Wert von mehreren Millionen Euro.

„Wir werden sie orten, verfolgen und infizieren«, sagte Dilian. Vor laufenden Kameras drang er in das Huawei-Handy eines vermeintlichen Opfers ein, das er Hunderte Meter entfernt postiert hatte. Der Telefonbesitzer bekam davon nichts mit. Er musste nicht einmal auf einen Link klicken, lautlos schlich sich der Predator in das Smartphone. Das Vorgehen nennt sich „Zero-click“ und ist so etwas wie die „Meisterklasse der digitalen Spionage“.

Dilian wurde unvorsichtig, schwärmte gegenüber den Journalisten davon, dass er bis zu 500 Millionen Dollar verdienen könne. „Sie wollen es vielleicht nicht wissen, aber jemand weiß immer genau, wo Sie gerade sind, die ganze Zeit“, sagte er.

Konsortium europäischer Überwachungsfirmen

Als er die „Forbes“-Journalisten empfing, hatte er seinen Aktivitäten einen neuen Namen gegeben: Er sprach nun von der Intellexa Alliance. Dabei handelt es sich um ein Konsortium europäischer Überwachungsfirmen, die sich gegenseitig unterstützen und Sicherheitsbehörden mit modernsten Spionagewerkzeugen beliefern wollen. „Wir arbeiten nur mit den Guten zusammen“, erläuterte Dilian. „Aber manchmal benehmen sich die Guten nicht gut.“

Zum Kern dieser von Dilian geschmiedeten Allianz gehörte eine französische Firma mit deutscher Beteiligung. Einer ihrer Gründer ist Stéphane Salies, 59, der aus einer „Lausch-Dynastie“ stammt. So verkaufte schon seine Mutter französischen Agenten Abhörtechnologie. Salies baute eine Firma namens Amesys auf, die ebenfalls den französischen Behörden Technik lieferte, zu den Kunden gehört zum Beispiel der Auslandsgeheimdienst DGSE.

2006 verkaufte Salies dem damaligen libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi das Internet-Überwachungssystem Eagle. Die Regierung setzten es gegen die eigene Bevölkerung ein, überwachten Aufständische damit, ließen sie festnehmen und foltern, schreibt der „Spiegel“. Nach dem Tod Gaddafis 2011 fanden Reporter des „Wall Street Journal“ in verlassenen Geheimdiensträumen in Tripolis Anleitungen der französischen Firma zur Massenüberwachung von Mails, Chats und anderen Nachrichten.

Menschrechtsorganisationen erstatten Anzeige

Zwei Menschenrechtsorganisationen erstatteten daraufhin Strafanzeigen gegen Amesys wegen Beihilfe zur Folter. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, Salies weist jede Schuld von sich. Interne Unterlagen zeigten auch, dass Führungskräfte darauf drängten, den Namen der Firma schnell zu ändern, weil Kunden und Banken nicht mehr mit ihnen zusammenarbeiten wollten. Tatsächlich wurde Amesys aufgelöst.

Das Topmanagement, allen voran Salies, gründete kurz darauf zwei neue Unternehmen: Nexa Technologies in Frankreich und Advanced Middle East Systems (Ames) mit Sitz in Dubai. Zum alten Namen fehlten nur zwei Buchstaben. Nexa übernahm die Produkte von Amesys und gab auch ihnen neue Namen. So wurde aus Eagle Cerebro. Die Mitarbeiter mussten sich indes kaum umstellen, die meisten machten einfach weiter. Nexa und Ames wurden zwei entscheidende Player der späteren Intellexa Alliance.

Die in Verruf geratenen Franzosen suchten außerdem seriös anmutende Geschäftspartner und Investoren. Sie fanden sie in Deutschland, unscheinbar, in einer Seitenstraße eines Hamburger Gewerbegebiets.

Die Plath Group nennt sich einen „Hanseatischen Hidden Champion“, ein „erfolgreiches Unternehmen, das sich auf den Bereich der datenbasierten Krisenfrüherkennung spezialisiert hat“. Zu den Kunden gehören unter anderem die Bundeswehr und die Bundesnetzagentur. „Unsere zukunftsorientierten Aufklärungssysteme liefern Ihnen aussagekräftige Daten als Grundlage für eine erfolgreiche Krisenfrüherkennung. Dies hilft Ihnen dabei, Menschen und Grenzen besser zu schützen und Terrorismus zu bekämpfen“, heißt es unter anderem auf der Internetseite der Firma.

Einflussreiche Partner aus Deutschland

Plaths geschäftsführender Gesellschafter Nico Scharfe, 52, leitet seit mehr als 20 Jahren die Plath Group. Seine Familie hält die Mehrheit an dem Unternehmen. 2014 und 2015 kaufte sich Plath mit jeweils 30 Prozent in Nexa und Ames ein. Das fragwürdige Libyen-Geschäft von Salies und Co. schien ihn dabei nicht zu irritieren, so der „Spiegel“ weiter. Scharfe erwies sich für die Franzosen als Glücksfall. Er begleitete Frank-Walter Steinmeier (SPD) in dessen Zeit als Außenminister auf Reisen nach Brasilien, Peru und Kolumbien und später als Bundespräsident nach Singapur und Indonesien. Auch in seiner Heimatstadt ist Scharfe „bestens vernetzt“. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bezeichnete Plath bei einem Firmenbesuch als „wichtigen Teil des Innovations- und Technologiestandorts Hamburg“.

Obwohl Plath nur eine Minderheitsbeteiligung an Nexa kaufte, erhielt seine Firma zwei von vier Sitzen im Aufsichtsrat. Scharfe übernahm einen Posten persönlich, ein Vertrauter den zweiten. Auf Nexa-Seite stießen Stéphane Salies dazu, Drahtzieher des Libyen-Deals, sowie einer seiner langjährigen Kollegen.

Offenbar durfte ab diesem Moment keine wichtige Entscheidung mehr ohne Plath getroffen werden. Der Hamburger genehmigte praktisch alle Verträge über 200.000 Euro. Geschäften mit Risikokunden musste Plath zustimmen. Selbst Mietverträge über 20.000 Euro ließ er prüfen. Auch sicherte sich Plath das Recht, jedes wichtige Firmendokument jederzeit anfordern zu dürfen. Ebenso sollte Nexa keine Länder unter einem Waffenembargo beliefern. Alle Exportprozesse begleitete fortan ein Anwalt von Plath. Alles sah nach deutscher Gründlichkeit aus – zumindest auf dem Papier.

Die Fortsetzung folgt in Kürze.

 



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