Wer fordert, die griechischen Seegrenzen zu schützen, weiß nicht, von was er redet

Die EU und die Türkei vereinbarten vor zwei Monaten, dass die Türkei den Flüchtlingsstrom nach Griechenland unterbindet. Die aktuellen Zahlen zeigen jedoch, dass in den ersten 20 Tagen in Griechenland 35 455 Flüchtlinge an Land gingen. Griechenland sagt dazu: Die Türkei will die Trumpfkarte „Kontrolle des Flüchtlingszustroms“ weiterhin ausspielen, um eigene Interessen in den Beziehungen zur EU durchzusetzen.
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Allein in den ersten 20 Tagen des neuen Jahres gingen in Griechenland 35 455 Flüchtlinge und Migranten an Land.Foto: Socrates Baltagiannis/Archiv/dpa
Epoch Times23. Januar 2016

Was jeder Rettungsschwimmer weiß, scheine bei so manchen europäischen Politikern noch nicht angekommen zu sein, heißt es in Athen: Auf hoher See ist man verpflichtet, Schiffbrüchigen zu helfen. Deshalb statten Schleuser Flüchtlinge vor Reiseantritt mit Werkzeugen aus, um ihre Boote zu versenken, sobald die Küstenwache oder die Marine in Sichtweite sind. Bei Schlauchbooten reichen ein paar Stiche mit dem Messer, und auch alte Holzkutter lassen sich problemlos leckschlagen.

Dem griechischen Außenminister Nikos Kotzias platzte nun der Kragen. In einem Gespräch mit der Berliner „Tageszeitung“ (taz) stellte er am Freitag klar: „Wenn wir die Flüchtlinge stoppen wollten, müssten wir Krieg gegen sie führen. Wir müssten sie bombardieren, ihre Boote versenken und die Menschen ertrinken lassen.“

Anders sei eine Absicherung der Seegrenze nicht möglich. „Das jedoch widerspricht sowohl der Menschlichkeit als auch dem EU-Recht und internationalen Konventionen. Es ist ausgeschlossen.“

Türkei hob sogar die Visapflicht für Staaten auf, aus denen Flüchtlinge kommen

Für die griechische Regierung steht fest, dass die von der Türkei zugesagte Kontrolle der Flüchtlinge bislang nicht funktioniert. Aus Athener Regierungskreisen heißt es, die Türkei habe sogar die Visumspflicht für Bürger jener Staaten aufgehoben, aus denen Migranten kämen, die ihre Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verließen.

So kämen inzwischen zunehmend Marokkaner und Algerier an den griechischen Inseln an. In Athen wird vermutet, dass Ankara die Trumpfkarte „Kontrolle des Flüchtlingszustroms“ weiterhin ausspielen will, um eigene Interessen in den Beziehungen zur EU durchzusetzen.

Da die EU mit Ankara nicht vorankomme, konzentrierten sich die Schuldzuweisungen nun wieder auf Griechenland, ist man in Athen überzeugt. So forderte beispielsweise der rechtskonservative ungarische Regierungschef Viktor Orban, Griechenland solle im Norden Zäune ziehen.

Ausschluss Griechenlands aus dem Schengen-Raum?

Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ist dennoch der Ansicht, es sei ein Mythos, dass die griechisch-türkische Grenze sich nicht kontrollieren lasse. In einem Interview der „Welt am Sonntag“ forderte sie den vorrübergehenden Ausschluss Griechenlands aus dem Schengen-Raum, wenn das Land „nicht endlich mehr“ für die Sicherung der EU-Außengrenze unternehme.

Mit der Forderung steht Mikl-Leitner nicht alleine da: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) stieß jüngst in Sofia bei einer regionalen Sicherheitskonferenz ins selbe Horn.

Ein weitere Kritikpunkt europäischer Politiker ist nach wie vor die Registrierung der Flüchtlinge in sogenannten Hotspots. Hier hinkt Griechenland bisher tatsächlich weit hinterher. Nur: Selbst wenn die Registrierung flüssiger liefe, kämen die Menschen immer noch über das Meer.

Wer fordert, die Seegrenzen zu schützen, weiß nicht, von was er redet

„Wer fordert, die Seegrenzen zu schützen, weiß nicht, von was er redet“, sagt ein Offizier der griechischen Küstenwache, der täglich verzweifelte Menschen aus den eisigen Fluten der Ägäis rettet dpa. „Die Flüchtlinge werden kommen, ob die Rechtspopulisten es wollen oder nicht. Sie werden auch neue Grenzen überwinden.“

Die Schleuser suchten schon längst nach anderen Wegen, etwa über Albanien oder die Adria und das Ionische Meer nach Italien. „Was wäre dann?“, fragt er und fügt hinzu: „Sollen wir dann neue Zäune im Norden Italiens ziehen?“

Die Frage, wie es nach der Schließung aller möglichen Grenzen und einem Schengen-Ausschluss Griechenlands weitergehen soll, wird nicht beantwortet. 

Seit das Balkanland Mazedonien seine Grenzen für alle Menschen dichtgemacht hat, die nicht als Kriegsflüchtlinge, sondern als „Wirtschaftsmigranten“ gelten, nimmt deren Zahl in Griechenland täglich zu – ausgerechnet in einem der finanziell schwächsten Länder der EU.

In Athen fragt man sich deshalb immer öfter, ob Griechenland womöglich zu Europas Auffanglager für Migranten werden soll. (dpa)



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