„Wolf Warrior“ statt Maskendiplomatie: China verspielt seine Chance in der Corona-Krise

Die „New York Times“ analysierte jüngst mögliche Folgen der Corona-Krise für Chinas Supermacht-Ambitionen. Fazit: Das KP-Regime hat sich ein Eigentor geschossen, als es unter dem Eindruck internationaler Kritik von der Maskendiplomatie zu aggressiver Rhetorik wechselte.
Titelbild
Chinas starker Mann: Xi Jinping, KP-Generalsekretär und Staatspräsident.Foto: Fred Dufour/dpa
Von 4. Mai 2020

Die „New York Times“ (NYT) sieht die Ambitionen des KP-Regimes in China, sich im Angesicht einer geringeren Bereitschaft der USA zu internationalem Engagement zur globalen Führungsmacht aufzuschwingen, durch die Corona-Krise als beschädigt an. In einer Analyse macht Steven Erlanger die aggressiven Reaktionen des Regimes auf kritische Nachfragen bezüglich dessen Gebarens in der Anfangsphase der Krise dafür verantwortlich, dass weltweit das Misstrauen gegenüber der Führung in Peking wächst.

Die duale Strategie, sich auf der einen Seite durch Maskendiplomatie als Helfer zu inszenieren, auf der anderen hingegen Forderungen nach Konsequenzen aus unzureichender Informationspolitik mit Drohungen zu beantworten, sei damit gescheitert.

Türkische nationalistische Erfolgsproduktion kopiert

Mittlerweile haben sich mehrere Staaten den Forderungen der US-Regierung unter Präsident Donald Trump angeschlossen, die Rolle des Regimes und dessen Verantwortung dafür zu untersuchen, dass aus dem anfänglich auf Wuhan beschränkten Ausbruch des neuartigen Coronavirus eine weltweite Pandemie werden konnte. Australien verlangte jüngst eine Untersuchung bezüglich des Ursprungs des Virus. Großbritannien und sogar führende politische Kräfte in Deutschland wollen ihren Umgang mit dem KP-nahen Tech-Konzern Huawei überdenken. Einige Regierung fordern sogar Schadensersatz.

Die KPC, noch zu keiner Zeit für die Bereitschaft bekannt, hat daraufhin die Maskendiplomatie kontinuierlich durch einen Ansatz ersetzt, der im Westen als „Wolf Warrior“-Diplomatie bezeichnet wird. Der Ausdruck nimmt Bezug auf eine Actionfilm-Reihe, die in den vergangenen Jahren in China zu einem erheblichen Publikumserfolg wurde. Das Konzept ist offenbar vom türkischen Vorbild der „Tal der Wölfe“-Reihe kopiert: Es wird ein betont nationalistischer Narrativ transportiert – mit einem Hauptprotagonisten, der Kriminellen oder Terroristen die Stirn bietet, die im Solde ausländischer, meist westlicher Mächte stehen. Vor allem die USA werden dabei zum Feindbild aufgebaut.

Dabei greift das Regime tief in die Trickkiste der Ressentiments. Schon unmittelbar nach ihrer Machtübernahme hatte die KP Chinas die Erfahrungen des „Boxeraufstandes“ für eigene Zwecke vereinnahmt, um eine Politik des Revanchismus zu rechtfertigen. Die nationalistisch motivierte Revolte chinesischer Kampfkunstschulen hatte Ende des 19. Jahrhunderts zu blutigen Angriffen auf ausländische Gesandtschaften geführt.

Ausbeutung des historischen Traumas

Dies hatte eine Koalition aus acht westlichen Staaten, darunter auch Deutschland unter Kaiser Wilhelm II., der dabei seine berüchtigte „Hunnenrede“ hielt, dazu veranlasst, die Revolte im Wege einer Kanonenbootpolitik in die Knie zu zwingen und den Sieg zu einer Machtdemonstration gegenüber China zu nutzen, die bis heute das Image westlicher Staaten belastet. Obwohl die KP Chinas ideologisch keine Gemeinsamkeiten mit den Protagonisten des Boxeraufstandes aufweist, gelang es ihr, diese Bewegung propagandistisch zu vereinnahmen. Dies erleichtert es der Führung in Peking bis heute, sich als vermeintliche Verteidigung chinesischer Würde gegen die „Imperialisten“ zu inszenieren.

Tatsächlich ist es heute die KP Chinas selbst, die in aggressiver Weise imperiale Ambitionen verfolgt und gegenüber ausländischen Amtsträgern exakt zu jenen Methoden greift, die man Ende des 19. Jahrhunderts eher von westlichen Großreichen kannte.

Wie auch die NYT diagnostiziert, kennt eine jüngere Generation chinesischer Diplomaten keine Skrupel mehr, wenn es darum geht, ihre Loyalität durch nationalistische Sprüche und Drohgebärden gegenüber ihrem jeweiligen Gastgeberland unter Beweis zu stellen. Dabei können sie sich der Rückendeckung durch Machthaber Xi Jinping und der Propagandaabteilung der KPC sicher sein. Da die Unzufriedenheit im eigenen Land infolge der Schäden, die das Virus auch in China hinterlassen hatte, groß ist, stellen provozierte Konflikte mit dem Ausland eine willkommene Form der Ablenkung dar.

China mit junger Garde schroff nationalistischer Diplomaten

François Godement vom Pariser Montaigne-Institut erklärt gegenüber der NYT:

„Es gibt eine komplett neue Garde chinesischer Diplomaten, die anscheinend miteinander darum wetteifert, wer radikaler ist und notfalls auch bereit, das jeweilige Land zu beleidigen, in dem sie stationiert sind.“

So habe man es etwa geschafft, fast jedes nordeuropäische Land gegen sich aufzubringen oder sich zu entfremden. Ein Beispiel dafür ist die jüngste Eskalation im Verhältnis zu Schweden. Dort war es nicht einmal die Corona-Krise, sondern der Umgang des Regimes in Peking mit einem dort inhaftierten schwedischen Staatsangehörigen, Gui Minhai, der das Verhältnis zwischen beiden Staaten eintrübte.

Gui wurde zu zehn Jahren Haft wegen kritischer Bücher über die Politik der KPC verurteilt, zuvor hatte das Gericht in China mitgeteilt, dass dieser freiwillig seine schwedische Staatsbürgerschaft, die schwedischen Diplomaten die Betreuung erleichterte, zurückgelegt habe. Der chinesische Botschafter Gui Congyou bezeichnete daraufhin schwedische Journalisten und Satiriker, die sich mit der Corona-Seuche befassten, als „Leichtgewichte, die es mit einem Schwergewicht aufnehmen wollen“. Er beschuldigte Schweden in schwedischen Medien des „Rassismus“ und drohte mit Konsequenzen für das Image des Landes bei 1,4 Milliarden Chinesen.

Probleme auch mit den Niederlanden und Frankreich

Die Regierung in Stockholm übte daraufhin scharfe Kritik, der Botschafter wurde ins Außenministerium zitiert, einige schwedische Städte kündigten Städtepartnerschaften und zuletzt schloss Stockholm die „Konfuzius-Institute“ an den Universitäten des Landes.

Der Schritt wurde damit begründet, dass das bilaterale Verhältnis sich „hin zu Feindseligkeit und wechselseitigem Argwohn“ verschlechtert habe. Die von Peking unterhaltenen Institute, die der „Sprach- und Kulturarbeit“ dienen sollen, waren in Verdacht geraten, ihre Position an den Universitäten für Regime-Propaganda zu missbrauchen und Andersdenkende einzuschüchtern, die sich in sensiblen Fragen für Peking zu Wort melden.

In der Vorwoche drohte Peking den Niederlanden, versprochene medizinische Hilfe zurückzuhalten, nachdem die Regierung in Den Haag ihre de facto diplomatische Vertretung in Taiwan von „Niederländisches Handels- und Investment-Büro“ in „Büro der Niederlande Taipeh“ umbenannt hatte.

Selbst in Frankreich und Deutschland, die beide zuletzt nicht durch spürbare Distanz zum Regime in China aufgefallen waren, hängt mittlerweile der Haussegen schief. Erst jüngst hatten chinesische Staatsmedien unter Berufung auf Statements chinesischer Diplomaten berichtet, dass Frankreich seine älteren Mitbürger in Altenheimen absichtlich sterben lasse – was nur wenige Wochen nach einem feierlichen Austausch von Schutzmasken zwischen beiden Ländern wütende Reaktionen von Außenminister Jean-Yves Le Drian und von Parlamentariern nach sich zog.

Hat EU ihr Desinformations-Statement abgeschwächt?

In Deutschland regten sich sogar in der Regierungsetage Klagen darüber, dass chinesische Diplomaten Regierungsbeamte und Vorstandschefs deutscher Unternehmen bedrängt hätten, Schreiben aufzusetzen, in denen Peking Dank und Unterstützung ausgesprochen würde.

Mittlerweile hat auch Bundesaußenminister Heiko Maas China dazu aufgerufen, sich an der Aufklärung über den Ursprung der Corona-Pandemie zu beteiligen. „Die ganze Welt hat ein Interesse, dass der genaue Ursprung des Virus geklärt wird“, sagte Maas den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montagsausgaben).

Allerdings soll die EU jüngst infolge chinesischem Drucks einen Bericht abgeschwächt haben, in dem chinesische Desinformationskampagnen angeprangert werden sollten. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wies dies zurück und erklärte, die Änderungen seien „Teil eines normalen Redaktionsprozesses“ gewesen.

Auch abseits der USA und Europas steigt die Distanz gegenüber den Praktiken des chinesischen Regimes. Im Laufe der vergangenen Wochen hatten zudem Frankreich, Kasachstan, Nigeria, Kenia, Uganda, Ghana und die Afrikanische Union ihre chinesischen Botschafter einbestellt, um Aufklärung zu verlangen bezüglich jüngster Vorwürfe „rassistisch motivierter Misshandlungen“ von Afrikanern in Guangzhou. 

Proteste in Afrika, Pöbeleien gegenüber Australien

Videos aus Guangzhou, die in der Vorwoche aufgenommen worden waren, hatten jüngst in mehreren afrikanischen Staaten Unverständnis und Proteste ausgelöst. Sie zeigten, wie Nigerianer aus Wohnungen, Hotels und Geschäften geworfen und ohne Nachricht an ihre Familien in Quarantäne verbracht wurden. Ein McDonald’s-Restaurant in der Stadt platzierte sogar ein – mittlerweile mit dem Ausdruck des Bedauerns wieder entferntes – Schild, auf dem explizit zu lesen war, dass dunkelhäutige Personen keinen Zutritt hätten.

Wie „Politico“ berichtete, sollen einem Protestbrief mehrerer Diplomaten an Chinas Außenminister Wang Yi zufolge auch in Guangzhou lebende Bürger von Benin und Togo betroffen gewesen sein. Diese sollen aus ihren Wohnungen geworfen und zu Zwangstests vorgeführt worden sein. „In manchen Fällen wurde die Männer aus ihren Familien gerissen und allein in Hotels unter Quarantäne gestellt“, hieß es in der Beschwerde.

Auch mit Blick auf Australien hat Peking unentspannt auf die jüngsten Forderungen der Regierung in Canberra reagiert, den Ursprung des SARS-CoV-2-Virus einer umfassenden Aufklärung zu unterziehen. Staatsmedien bezeichneten Australien daraufhin als „Kaugummi an Chinas Schuhsohle“ und Diplomaten warnten vor Schäden in den Handelsbeziehungen. Ein Drittel der australischen Exporte gehen derzeit nach China. Gegenüber dem „Australian Financial Review“ erklärte Botschafter Cheng Jingye:

„Es könnte sein, dass einfache Menschen sich die Frage stellen: Warum sollen wir australischen Wein trinken oder australisches Rindfleisch essen?“

Dozentin Shirk: China hat seine Chance selbst verspielt

Susan Shirk, Dozentin an der University of California in San Diego und Buchautorin über Chinas Rolle in der Welt, meint, das Regime in Peking könnte sich durch sein brachiales Auftreten selbst in seinen Supermacht-Ambitionen geschadet haben. Gegenüber der NYT erklärt sie:

„In jenem Moment, da China die Kontrolle über das Virus erlangt und seine Gesundheitsdiplomatie gestartet hatte, wäre dies seine Chance gewesen, seine mitfühlende Seite zu betonen und Vertrauen sowie den Ruf als verantwortungsvolle globale Macht zu festigen. Dieser diplomatische Versuch wurde jedoch von der Propagandaabteilung der Partei gekapert – mit einem deutlich aufdringlicheren Bemühen, die Hilfe als Hebel zu verwenden, um Lob für China als Land und als politisches System einzuheimsen für die eigene Leistung bei der Eindämmung der Ausbreitung des Virus.“



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