Zahl der Asylbewerber aus der Türkei verdreifacht – das sind die Gründe

Die Anzahl der Asylbewerber aus der Türkei ist seit dem vereitelten Putsch von 2016 deutlich angestiegen. Ein wahrscheinlicher Grund ist das Vorgehen türkischer Behörden gegen die PKK und die Gülen-Bewegung. Auch die schwierige Wirtschaftslage könnte einen Einfluss haben.
Eine Landeserstaufnahme für Asylbewerber in Karlsruhe.
Eine Landeserstaufnahme für Asylbewerber in Karlsruhe.Foto: Uli Deck/dpa
Von 19. Juli 2023

Seit dem vereitelten Putsch vom 15. Juli 2016 hat sich der Wanderungssaldo zwischen Deutschland und der Türkei wieder umgekehrt. Hatten zuvor seit dem Jahr 2006 jährlich mehr Menschen ihren Lebensmittelpunkt von Deutschland in die Türkei verlegt, kehrte sich der Trend seither wieder um. Mittlerweile steigt vor allem auch die Anzahl der Asylbewerber aus dem Land, die hier einen Erstantrag stellen.

Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) berichtete, waren allein bis Ende Mai dieses Jahres mehr als 15.000 Erstanträge auf Asyl von türkischen Staatsangehörigen zu verzeichnen. Nachdem im vergangenen Jahr insgesamt etwa 24.000 Türken in Deutschland Asyl beantragt hatten, deutet dies auf eine weitere Zunahme hin. Die Türkei ist damit auf Platz drei der Herkunftsländer von Asylsuchenden hinter Syrien und Afghanistan.

Türkei verstärkt im Visier terroristischer Aktivitäten

Ein möglicher Faktor für die Entwicklung ist die derzeit schwierige Wirtschaftslage in der Türkei. Die Folgen des Ukrainekrieges, anhaltende Spannungen in der Region und die verheerenden Erdbeben haben diese verschärft. Die Inflation ist nach wie vor deutlich im zweistelligen Bereich, die Staatsausgaben sind zuletzt deutlich angestiegen. Zuletzt hat die wiedergewählte Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan schmerzhafte Reformen angekündigt.

Dass mehr Türken in Deutschland Asyl beantragen, hat allerdings auch mit der politischen Lage in der Türkei zu tun. Im Laufe der 2010er-Jahre ist das Land zunehmend wieder zum Ziel terroristischer Aktivitäten geworden. Terrormilizen wie der „Islamische Staat“ (IS – in der Türkei als „Daesh“ bezeichnet) oder die PKK haben mehrfach Anschläge mit zahlreichen Todesopfern verübt.

Zwischen Netzwerkarbeit und Unterwanderung

Dazu kam der vereitelte Putsch von 2016. Eine Gruppe von Militärs hatte versucht, in der Nacht des 15. Juli jenes Jahres die Regierung Erdoğan zu stürzen. Dabei hatten die Putschisten unter anderem Panzer und Kampfjets entwendet und das Parlament angegriffen. Am Ende gelang es der Regierung, unter reger Mithilfe der Bevölkerung, den Putsch zu vereiteln. Allerdings verloren 249 Menschen während der Kampfhandlungen ihr Leben, mehr als 2.000 wurden verletzt.

Die Regierung beschuldigt die Hizmet-Bewegung (auch Gülen-Bewegung genannt) des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen, den Putschversuch organisiert zu haben. Die islamisch-konservative, aber prowestlich ausgerichtete Freiwilligenbewegung hatte in den 1990er und 2000er-Jahren ihren Einfluss in staatlichen Institutionen ausgebaut. Vor allem in der Justiz, der Verwaltung und im Bildungswesen spielten Gülen-Anhänger eine tragende Rolle.

Lange Zeit galt die Gülen-Bewegung als Pfeiler der politischen Umgestaltung in der Türkei seit Beginn der 2000er-Jahre. Korruptionsermittlungen im Umfeld der Regierung im Dezember 2013 führten jedoch zu einem Bruch zwischen der AKP-Regierung von Recep Tayyip Erdoğan und dem eher elitären Netzwerk. Erdoğan beschuldigte die Gülen-Bewegung, den Staat gezielt unterwandert zu haben, mit dem Ziel, die gewählte Regierung zu stürzen.

Türkei beschuldigt Gülen-Bewegung der gezielten Lobbyarbeit im Ausland

Die Türkei hat die Gülen-Bewegung bereits Mitte der 2010er-Jahre als „Fetullahistische Terrororganisation“ (FETÖ) gebrandmarkt und war gegen deren Anhänger vorgegangen. In westlichen Ländern ist sie – anders als die PKK – nirgendwo in dieser Weise eingestuft. Vielmehr sind Angehörige des Gülen-Netzwerks auch in Deutschland beispielsweise als Unternehmer, im Bildungswesen oder in der Seelsorge tätig. In den USA betreiben Anhänger des Predigers zahlreiche Charterschulen.

Die türkische Regierung beschuldigt Gülen-Anhänger, im westlichen Ausland gezielt Lobbyarbeit gegen die Interessen Ankaras und Desinformation zu betreiben. Dass der Verfolgungsdruck gegen das Netzwerk zum Anwachsen der Asylbewerberzahlen aus der Türkei beiträgt, davon gehen auch deutsche Medien aus. Organisationen wie „Pro Asyl“ äußern hingegen, dass Deutschland bezüglich der Gewährung von politischem Asyl wegen Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung zurückhaltend agiere.

In der Türkei selbst hat die Regierung im Oktober des Vorjahres ein verschärftes Gesetz gegen Desinformation in Kraft gesetzt. Mit Haftstrafen bis zu drei Jahren könne demnach bestraft werden, wer falsche Informationen verbreite, die geeignet seien, den „inneren Frieden“ zu stören. Dabei gehe es vor allem um Darstellungen zu Sicherheit, öffentlicher Ordnung oder allgemeiner Gesundheit. Kritiker wittern eine Grundlage zur Kriminalisierung oppositioneller Kräfte und führen den Anstieg der türkischen Asylbewerberzahlen in Deutschland auch auf dieses Gesetz zurück. In der EU sind allerdings ähnliche Gesetze in Planung.

HDP drohen Schließung und Politikverbot für hunderte Politiker

Eine weitere mögliche Erklärung für den Zuwachs der Anzahl an Asylsuchenden aus der Türkei ist auch das Schließungsverfahren gegen die „Demokratische Partei der Völker“ (HDP). Diese findet ihre Wählerschaft vor allem in den Kurdengebieten und den großstädtischen Intellektuellen. Bei den Parlamentswahlen im Mai kandidierten ihre Mitglieder auf der Liste der Grünen.

In der Türkei steht die HDP im Verdacht, als politischer Arm der terroristischen PKK zu agieren. In zahlreichen Gemeinden soll das Agieren der HDP und der Bürgermeister direkt von der PKK gesteuert sein. Die PKK soll dort unter anderem über Kandidatenlisten entscheiden oder die Verwaltung für ihre Zwecke instrumentalisieren. In vielen Fällen hat die türkische Regierung Bürgermeister oder andere Verwaltungsspitzen in den betreffenden Regionen abgesetzt.

Neben der möglichen Schließung der Partei droht 678 ihrer Politiker ein Betätigungsverbot für die Dauer von bis zu fünf Jahren.



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