Bundesregierung: Ukraine-Wiederaufbau „eine Aufgabe für Generationen“

Nach Plänen des Entwicklungshilfeministeriums soll die neue „Plattform Wiederaufbau Ukraine“ dabei helfen, pro-ukrainische Aktionen von deutschen Vereinen, Kommunen und Unternehmen zu vernetzen. Ministerin Svenja Schulze spendiert zum Auftakt 25 Millionen Euro.
Titelbild
Der Wiederaufbau der Ukraine wird hunderte Milliarden Euro kosten. Das Archivbild vom 13. März 2023 zeigt ein durch Granatenbeschuss zerstörtes Haus im Dorf Prudyanka in der Region Charkiw.Foto: SERGEY BOBOK/AFP via Getty Images
Von 27. März 2023

Die Bundesregierung will die Anstrengungen für den Wiederaufbau der Ukraine erhöhen. Dazu wurde am 27. März auf nationaler Ebene eine „Plattform Wiederaufbau Ukraine“ ins Leben gerufen, die hilfsbereite „Aktive aus Vereinen, Kommunen oder Unternehmen“ vernetzen soll, um „gemeinsam und voneinander zu lernen“. Das erklärte Jochen Flasbarth (SPD), der Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, im Gespräch mit dem „Tagesspiegel“.

Zur Auftaktveranstaltung der „nationalen Hilfsplattform“ versprach Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) weitere 25 Millionen Euro zur „Förderung von Partnerschaften zwischen deutschen und ukrainischen Kommunen, Kliniken und Wasserwerken“. Zwei Millionen davon seien „für Partnerschaften mit Wasserwerken in der Nachbarrepublik Moldau vorgesehen“.

Für die neue Hilfsplattform wurde auch eine Website (www.ukraine-wiederaufbauen.de) eingerichtet.

„Da sind gesamte Gesellschaften gefragt“

Schon jetzt ist nach Meinung von Flasbarth klar, dass „eine Aufgabe für Generationen“ vor den Menschen liegt: „Der Wiederaufbau der Ukraine ist eine so große Aufgabe, dass Regierungen allein das nicht schultern können. Da sind gesamte Gesellschaften gefragt“, so der Koordinator der Bundesregierung für die internationale Hilfe.

„Aber wir sollten uns davon nicht Bange machen lassen: Wenn wir das richtig angehen, wird die Ukraine wieder Einnahmen generieren und selbst einen Teil dieser riesigen Aufgabe schultern. Ein offenes, europäisches Land ist auch attraktiv für Investoren“, gab sich Flasbarth im „Tagesspiegel“ hoffnungsvoll.

Sekretariate in Brüssel und Kiew geplant

Abgesehen von der nationalen Hilfsplattform bespreche die Regierung „derzeit die Sequenzierung des Wiederaufbaus“ mit den „anderen internationalen Gebern“ über „die internationale Plattform“. Dort engagierten sich derzeit neben Deutschland und der EU bereits „Finanzinstitutionen wie die Weltbank und der IWF“, außerdem die USA, Kanada und Japan.

Die nächste Zusammenkunft auf internationaler Ebene sei für Anfang April geplant. Wöchentlich gebe es „auf Arbeitsebene mindestens einmal die Woche einen Austausch“, so der Staatssekretär. Im Aufbau sei außerdem ein eigenes Plattform-Sekretariat „in Brüssel mit einer Zweigstelle in Kiew“. Bei allen Anstrengungen stehe die „zielgerichtete“ und „gemeinsam mit den ukrainischen Partnern“ koordinierte Hilfe im Vordergrund. Ein „Masterplan“ existiere allerdings noch nicht.

Zerstörungen reparierter Substanz im Bereich des Möglichen

Momentan gehe es vor allem ums „Reparieren“ zerstörter Strukturen durch die russischen Angriffe, und zwar „vor allem dort, wo nicht aktuell und unmittelbar gekämpft“ werde. In der Hauptstadt Kiew spürte man nach dem Rückgang der Angriffe inzwischen „manchmal […] sogar eine Art von Normalität“, räumte Flasbarth ein, „allerdings immer verbunden mit der Angst, dass die Kämpfe in die Hauptstadt zurückkehren“.

Gemeinsam mit der UNO werde derzeit der Wiederaufbau von Charkiw und Mykolajiw geplant. Zur „nachhaltigen“ Neuplanung dieser Städte sei „die Stiftung des Architekten Norman Foster“ eingestiegen. Generell müsse man sich bei allen Anstrengungen darüber im Klaren sein, dass es „möglicherweise erneut“ zu Zerstörungen kommen könnte, mahnte der studierte Volkswirt. Die „Priorität“ liege derzeit bei der „Reparatur von Kraftwerken und Stromleitungen“ und bei der „Minenräumung“. Letztere sei besonders für die Landwirtschaft „entscheidend“.

Energieinfrastruktur modernisieren, Korruptionsprobleme lösen

Mittel- bis langfristig muss nach Auffassung Flasbarths „die Sicherung der Grundfähigkeiten eines Staates“ angegangen werden. Dazu gehörten Aufgaben wie Bildung und Gesundheit, aber auch die Energieinfrastruktur. Diese müsse nach dem Wiederaufbau „dezentraler und mit einem höheren Anteil erneuerbarer Energien“ aufgestellt werden. Dies sei auch „wichtig“ für einen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union.

Dazu komme die „Korruption“ als „eine der großen Herausforderungen“, die die Ukraine „noch lösen“ müsse. „Insofern ist es gut, dass Präsident Selenskyj jetzt durchgegriffen hat“, so Flasbarth. „Denn wenn es in unserer Bevölkerung die Vorstellung gäbe, dass da immer Leute sind, die die Hand aufhalten, dann halten wir die Hilfe für die Ukraine nicht lange durch“, vermutet der Entwicklungsstaatssekretär.

Bislang 14 Milliarden aus Deutschland

Flasbarth bestätigte, dass allein Deutschland in den vergangenen 13 Monaten bereits 14 Milliarden Euro für die Ukraine ausgegeben habe – zum Beispiel für Waffenlieferungen oder die „Budgethilfe“. Denn die Ukraine könne angesichts ihrer „stark geschwächten“ Wirtschaft und niedrigerer Steuereinnahmen „die Aufrechterhaltung der staatlichen Strukturen“ nicht aus eigener Kraft stemmen.

Die EU schicke deshalb jeden Monat weitere 1,5 Milliarden Euro an die Regierung in Kiew. Das werde auch „grundsätzlich“ so bleiben, „solange der Krieg tobt“, sagte Flasbarth. Die „Kiewer Kollegen“ wüssten allerdings, dass dies „für alle Partnerländer auf Dauer innenpolitisch nicht einfach“ sei.

Eine „Liste aller Unterstützungsleistungen“ der Bundesrepublik für die Ukraine liegt unter Bundesregierung.de als PDF vor.

Schon jetzt 411 Milliarden US-Dollar Kosten

Wie unter anderen die „Rheinische Post“  berichtet, würde der Wiederaufbau der Ukraine nach Informationen der Weltbank schon heute 411 Milliarden US-Dollar (rund 390 Milliarden Euro) kosten, selbst wenn der Krieg sofort enden würde. „Dies entspricht dem 2,6-fachen [sic] des für 2022 erwarteten Bruttoinlandsproduktes der Ukraine“, ordnete Flasbarth die Summe ein.

Dass die EU Gelder aus den eingefrorenen Vermögen russischer Staatsbürger konfiszieren könnte, um das Geld aufzubringen, hält Flasbarth zwar für „grundsätzlich richtig“, verwies aber auf die „Hürden in unserem Rechtssystem“. Vor einem „Diktatfrieden“ warnte Flasbarth, denn dann „würde die Forderung nach Reparationen oder finanzieller Beteiligung am Wiederaufbau doch sofort hinten runterfallen“.

Das Kriegsgeschehen vor Ort ist nach wie vor schwer zu beurteilen. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj will offenbar demnächst eine Gegenoffensive starten, um die strategisch wichtige Frontstadt Bachmut zurückzuerobern. Großbritannien hatte sich vor wenigen Tagen bereit erklärt, neben Kampfpanzern auch panzerbrechende Munition aus abgereichertem Uran an Kiew zu liefern. Selenskyj fordert immer wieder moderne westliche Kampfjets von der EU. Doch beim jüngsten EU-Gipfel war keine Bereitschaft dazu zu erkennen – dafür aber gab’s die Zusage, das Land so lange zu unterstützen, wie es nötig sei.

„Niemand in der Bundesregierung will einen Feiertag opfern“

Überlegungen, nach denen die Steuerzahler in Deutschland einen Tag im Jahr mehr arbeiten sollen, um die Lasten zu erwirtschaften, erteilte Flasbarth eine Absage: „Niemand in der Bundesregierung will einen Feiertag opfern.“ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) strebe vielmehr an, möglichst viele internationale Partner zur Unterstützung der Ukraine bewegen zu können.



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion