Deutsche Städte und Kommunen gefangen zwischen Wohnungsnot und „Seebrücke“-Forderungen

Der Städte- und Gemeindebund spricht von einer unbeherrschbaren Zuwanderung. Gleichzeitig wetteifern Städte und Kommunen um das Label „Sichere Häfen“ und laden immer mehr Migranten ein.
Titelbild
Die NGO „Seebrücke" bei einer Demonstration am 7. Juli 2018 (Symbolbild).Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 26. Januar 2023


Zwei Sachverhalte, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen: Zum einen gibt der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, gegenüber dem „Handelsblatt“ eine Alarmmeldung heraus, dass für Vertreter von Kommunen die Flüchtlingssituation kaum noch beherrschbar ist.

Andererseits haben sich mittlerweile 314 Städte und Kommunen der Nichtregierungsorganisation (NGO) „Seebrücke“ angeschlossen, die sich über den Verteilungsschlüssel des Bundes (Königsteiner Schlüssel) hinaus bereit erklärt haben, mehr Migranten und Flüchtlinge aufzunehmen, als ihnen zugewiesen werden.

Gerd Landsberg warnt: „Viele Städte und Gemeinden sind bei der Unterbringung von Flüchtlingen und Vertriebenen längst an ihrer Leistungsgrenze.“ Alles würde angemietet werden, um irgendwie noch Leute unterzubringen – von der Turnhalle bis zum Hotel. Selbst frei stehende Gewerbeimmobilien gerieten so ins Blickfeld, um eine eventuelle Nutzung zu prüfen.

Auch der Präsident des Deutschen Landkreistags setzt eine Notmeldung ab: Reinhard Sager fordert im Handelsblatt ein „Krisentreffen“ mit dem Bundeskanzler. Die Belastungsgrenze sei vielfach überschritten, zudem sei der gesellschaftliche Zusammenhalt durch eben diese Belastungen gefährdet.

Auch der Deutsche Mieterbund hatte jüngst auf die dramatische Situation hingewiesen. Die Epoch Times berichtete unter anderem über Aussagen des Mieterbund-Präsidenten Lukas Siebenkotten, der gegenüber der Funke-Mediengruppe den roten Knopf gedrückt hatte, mit den Worten: „So laut wie jetzt haben die Alarmglocken des Wohnungsmangels lange nicht mehr geschrillt.“

Es fehlen 700.00 Wohnungen in Deutschland

Siebenkotten scheut sich nicht, Ross und Reiter zu benennen. Er verweist darauf, dass die zunehmende Zuwanderung für die aktuelle Wohnungsnot verantwortlich sei bei zugleich niedrigem Bautempo: „Es fehlen mindestens 700.000 Wohnungen in Deutschland“, konstatierte er. „Und wir müssen davon ausgehen, dass diese Zahl weiter steigt.“

Demgegenüber erhält die Nichtregierungsorganisation (NGO) „Seebrücke“ weiter Zulauf von Städten und Kommunen, die sich der NGO gegenüber verpflichten, noch mehr Migranten aufzunehmen, als ihnen sowieso schon zugewiesen werden.

Bereits 314 unterzeichnende Städte begehren das orangefarbene Seebrücke-Label „Sichere Häfen“. Dafür erklärten sie sich gegenüber „Seebrücke“ bereit, acht Forderungen zu erfüllen:

  1. Öffentliche Solidaritätserklärung (erklärt sich mit Menschen auf der Flucht und den Zielen der Seebrücke solidarisch)
  2. Aktive Unterstützung der Seenotrettung (positioniert sich öffentlich gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung auf dem Mittelmeer, unterstützt diese aktiv und übernimmt die Patenschaft und finanzielle Unterstützung für ein ziviles Seenotrettungsschiff oder beteiligt sich daran)
  3. Aufnahme zusätzlich zur Quote (stellt die schnelle und unkomplizierte Aufnahme und Unterbringung von aus Seenot geretteten Menschen zusätzlich zur Verteilungsquote von Schutzsuchenden sicher)
  4. Aufnahmeprogramme unterstützen (setzt sich gegenüber dem eigenen Bundesland und der Bundesregierung für die Einrichtung neuer bzw. die deutliche Ausweitung bestehender Programme zur legalen Aufnahme von Flüchtenden ein und bietet dazu selbst zusätzliche Aufnahmeplätze an)
  5. Kommunales Ankommen gewährleisten (sorgt für ein langfristiges Ankommen, indem alle notwendigen Ressourcen für eine menschenwürdige Versorgung, insbesondere in den Bereichen Wohnen, medizinische Versorgung und Bildung, zur Verfügung gestellt werden)
  6. Nationale und europäische Vernetzung (setzt sich auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene aktiv für die Umsetzung der oben genannten Punkte ein)
  7. Bündnis Städte Sichere Häfen (beteiligt sich in dem Bündnis Städte Sicherer Häfen in Europa und setzt sich aktiv für eine menschenrechtskonforme europäische Migrationspolitik ein)
  8. Transparenz (veröffentlicht alle unternommenen Handlungen, mit denen die Kommune zu einem Sicheren Hafen wird)

Den Städten und Kommunen werden diese acht Vereinbarungspunkte wie auf einer To-do-Liste grün abgehakt. So sind beispielsweise Konstanz und Krefeld – mit sieben von acht erfüllten Forderungen – die Streber unter den Städten, während Olsberg und Neuwied über „Transparenz“ beziehungsweise die „Solidaritätserklärung“ noch nicht hinweggekommen sind.

Hier wird es dann zu einer einfachen journalistischen Fleißarbeit, die Kommunen und Städte der „Seebrücke“ mal dahingehend abzuklopfen, wie laut demgegenüber aktuell die Hilferufe sind, weil man zu viele Migranten unterbringen und versorgen muss. So wird eine Diskrepanz zwischen Willensbekundung und Wirklichkeit erkennbar.

Der Alarmknopf wird gedrückt – „Seebrücke“ bleibt trotzdem

Das bereits genannte Neuwied beispielsweise hat den Alarmknopf längst gedrückt. In einer Pressemeldung heißt es: „Bislang sind schon rund 1.100 Flüchtlinge im Kreis Neuwied angekommen. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2016 hatte die Ausländerbehörde 1030 Asylbewerber gezählt, 2020 ‚nur‘ 198.“ Der Neuwieder Landrat Achim Hallerbach mahnt in dem Schreiben: „Nach bisherigen Erkenntnissen sieht es so aus, als ob der Kreis Neuwied mit seinem vergleichsweise hohen Anteil an Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion schon überproportional viele Ukrainer aufgenommen hat“.

Oder das nordrhein-westfälische Unna: Das 60.000-Einwohner-Städtchen ist „Seebrücke“ bereits seit dem 26. September 2019 verpflichtet. Unna hatte sich im Herbst 2020 zudem gemeinsam mit weiteren Städten gegen den damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) aufgelehnt: Man wollte viel mehr Migranten aufnehmen, als vom Bund zugewiesen wurden. Die Unterbringung sollte freilich vom Bund finanziert werden.

Heute brennt es in Unna an allen Ecken und Enden. Eine Bürgermeisterin schlug schon im September vergangenen Jahres Alarm: „Bei uns im Landkreis Unna haben alle Gemeinden die gleichen Probleme, sie sind am Rand der Kapazitäten angekommen. Die Situation ist schwieriger als 2015, als syrische Flüchtlinge zu uns kamen, denn Frauen und Familien mit Kindern sollen zentrumsnah untergebracht werden.“

Mit Sorge gehe man dem Winter entgegen. Im Januar oder Februar werde ein von einer Behörde genutztes Gebäude frei, doch wo sollen die Menschen bis dahin unterkommen?

So einfach wie es sein mag, sich bei der „Seebrücke“ zu verpflichten, so schwer scheint es zu fallen, seine Verpflichtungen aufzukündigen. Bisher jedenfalls gab noch keine einzige Kommune oder Stadt das Label „Freier Hafen“ trotz drückender Not an fehlenden Aufnahmekapazitäten zurück.

Die Diskrepanz zwischen Willensbekundung und tatsächlichen Möglichkeiten ist in diesen Wochen und Monaten besonders offensichtlich geworden. Die Anreize, sich in Deutschland anzusiedeln, sind gesetzt – von den Möglichkeiten einer beschleunigten Einbürgerung bis hin zum Chancenaufenthaltsrecht.

Allerdings: Wer Gäste einlädt, der braucht Platz und muss Wohnmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Der eingangs zitierte Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, befürchtet Verwerfungen: „Die Situation vor Ort ist nicht einfach, dies stellt auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Frage“. Und dann wird Sager deutlich: „Der Bund muss sofort den weiter stattfindenden Zustrom begrenzen, die europäischen Außengrenzen müssen geschützt und die Rückführungen innerhalb der EU deutlich verstärkt werden“, sagte er insbesondere mit Blick auf Zuwanderung aus Afghanistan und Syrien.

Nach dem Jubel kommen die Forderungen

Wie heikel es werden kann, wenn man sich nicht den Forderungen der „Seebrücke“ unterwirft, das bekam jüngst der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) zu spüren, der noch Anfang 2020 nach Lesbos reiste, die dortigen Migrantenlager unter großem Medienbeifall eine „Schande für Europa“ nannte und der schmerzhaft erfahren musste, was die Mitgliedschaft in der „Seebrücke“ tatsächlich kostet: Im Dezember übte die Potsdamer Lokalgruppe „Sichere Häfen“ scharfe Kritik an der Stadtverwaltung und OB Schubert persönlich. „Strukturell rassistisch“ sei Schuberts Vorgehen und weiter hieß es da: „Die Bekenntnisse zur zivilen Seenotrettung scheinen nach der Zeit nur noch wie Lippenbekenntnisse, denen keine Taten folgen.“

Ein Hauptvorwurf gegen Schubert: Die Ermessensspielräume zugunsten betroffener „Geflüchteter“ würden nicht ausgeschöpft. „In den letzten Jahren hat sich ihre Aussicht auf ein Bleiberecht nicht verbessert und die Stadt hat sich überhaupt nicht bemüht, ein ehrliches Interesse an diesen Menschen zu signalisieren“, kritisiert die „Seebrücke“.

Die mangelhafte Umsetzung der Verlegung Geflüchteter aus Gemeinschaftsunterkünften in Wohnungen und Wohnverbünde steht ebenfalls auf der Liste der Kritikpunkte.

Der Sozialdemokrat muss sich hier gegen radikale bis extremistisch agierende Linke zur Wehr setzen. Denn auch Schubert hätte mit nur ein wenig Recherche schnell feststellen können, mit wem sich Potsdam und weitere 313 Kommunen und Städten da eingelassen haben, unter ihnen auch CDU-regierte Städte wie Würzburg.

Der Würzburger Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU) traf hier eine Vereinbarung mit einer NGO, die in aller Selbstverständlichkeit Antifa-Merchandising auf jener Website vertreibt, auf der Würzburg und über 300 Kommunen und Städte im öffentlichen Wettstreit darum liegen, wer wie viele Forderungen der NGO „Seebrücke“ bereits erfüllt hat und wer die meisten Migranten unterbringen kann.



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