20 Jahre nach Tschernobyl: Erneuerbare Energien statt Atomenergie

Von 26. April 2006

Aus Anlass des 20. Jahrestags der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl erklärte der Bundestagsabgeordnete und EUROSOLAR-Präsident Hermann Scheer auf einer Pressekonferenz in Bonn:

„Mit der Realisierung des Atomausstiegs und einer auf Erneuerbare Energien und die Steigerung der Energieeffizienz ausgerichteten landespolitischen Schwerpunktstrategie werden umfassende wirtschaftliche, ökologische und kommunale Zukunftschancen eröffnet.

Im Bereich der Stromerzeugung ist das wichtigste Instrument dafür das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Damit soll, so der Wortlaut des Gesetzes, der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bis 2020 bei „mindestens 20 Prozent“ liegen. Um bis 2021/22, also dem vorgesehenen Abschalten des letzten Atomkraftwerks, den Anteil der Atomenergie von gegenwärtig über 30% zu ersetzen, würden 20% jedoch nicht ausreichen.

Tatsache ist jedoch, dass auf der Basis des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) bereits im Jahr 2012 auf 20% gesteigert sein kann, wenn das seit 2001 realisierte jährliche Einführungstempo Erneuerbarer Energien nur unverändert anhält.

Tatsächlich sind bis 2020 noch deutlich höhere Zuwachsraten erreichbar, die es möglich machen, Atomstrom zu ersetzen und gleichzeitig den Klimaschutz so voranzutreiben, dass auch neue fossile Großkraftwerke nicht erforderlich wären.

Atomstromersatz: Schnell, vielseitig und dezentral realisierbar

Keine Energieform ist schneller einführbar als Erneuerbare Energien in dezentralen Anlagen. Windkraft-, Solar-, Bioenergie und Kleinwasserkraftanlagen sind im Zeitraum weniger Tage und Wochen installierbar. Im Zeitraum bis 2020 haben wir folgende greifbare Möglichkeiten:

  • 20.000 neue Windkraftanlagen mit einer Kapazität von je 4,5 MW könnten allein 200 Mrd. Kilowattstunden im Lande erzeugen, entsprechend knapp 30 Prozent des gegenwärtigen Stromverbrauchs. Die Leistungsklasse dieser Windkraftanlagen ist teilweise auch grundlastfähig. Zum Vergleich: In Deutschland stehen über 200.000 Hochspannungsmasten, von denen ein Großteil abgebaut werden kann, Wenn Großkraftwerke durch Windkraftanlagen und andere Anlagen erneuerbarer Energien ersetzt werden. Die ambitionierte Windkraftnutzung führt also zu Landschaftsgewinnen.

Politische Voraussetzung dafür ist, die Planungshemmnisse zu beseitigen, die vielerorts willkürlich den Bau von Windkraftanlagen verhindern und dabei insbesondere Nabenhöhen für Windkraftanlagen der 4,5 MW-Klasse (und damit die höhere Anlagen- und Standorteffizienz) ausschließen. Eine Standortrahmenplanung für Windkraftanlagen ist notwendig, die alle windgünstigen Standorte entlang der Bundesfernstraßen und der Eisenbahnlinien erfasst und zu Vorranggebieten macht.

  • In Deutschland gibt es gegenwärtig etwa 6000 Kleinwasserkraftanlagen. Im Jahr 1900 gab es jedoch noch über 60.000 Wasserkraftnutzungsrechte. Mit einer Vergabe von 30.000 neuen Wassernutzungsrechten auf der Basis leistungsfähigerer Technik ergibt sich hieraus eine installierbare Zusatzkapazität an Wasserkraft von etwa 10.000 MW, womit der Wasserkraftanteil in Deutschland auf etwa 50 Mrd. Kilowattstunden verdoppelt werden kann. Dieses Potential ist durchgängig grundlastfähig. Voraussetzung hierfür ist wiederum ein Abbau der Genehmigungshindernisse.
  • Bis zum Jahr 2020 ist es realisierbar, die hydrothermale Geothermie mit einem ermittelten Potential von 4000 MW elektrischer Nennleistung zu aktivieren. Dieses Potential ist wiederum generell grundlastfähig und wäre bei Vollausbau allein in der Lage, die Leistung von vier Großkraftwerken größtenteils zu ersetzen und darüber hinaus einen Beitrag zur Deckung des Wärmebedarfs zu übernehmen. Das bis 2020 realisierbare Potential liegt bei mindestens 25 Mrd. Kilowattstunden jährlich.
  • Bei unveränderter Einführungsdynamik der photovoltaischen Stromerzeugung ist in den nächsten 15 Jahren in Deutschland eine Gesamtkapazität von 20.000 MW möglich. Dies entspricht einer Kraftwerksersatzleistung gegenüber konventionellen Kraftwerken von etwa 5000 MW und einer Jahresproduktion von 20 Mrd. Kilowattstunden, die vorwiegend zur Deckung des Bedarfs von Spitzenstrom in der Tageslastspitze einsetzbar ist, was den tatsächlichen Wert des Solarstroms widerspiegelt.
  • Über die Kraft-Wärme-Kopplung hat Deutschland gegenwärtig nur einen Anteil von etwa 10% der Stromproduktion. Dieser Anteil lässt sich, dem Beispiel der Niederlande folgend, in weniger als einem Jahrzehnt verdreifachen. Dabei kann ein stetig wachsender Anteil der dafür eingesetzten Energie durch die Bioenergie gestellt werden (vor allem Biogas aus organischen Abfällen, landwirtschaftlichen Reststoffen und teilweise Energiepflanzen). Die Bioenergie eignet sich auch für den Einsatz in Hybrid-Anlagen, die an Windkraftanlagen gekoppelt sind und in windschwachen Zeiten die Stromproduktion übernehmen.

Deutschland hat gegenwärtig eine Bruttostromerzeugung von etwa 605 Mrd. Kilowattstunden, mit einem Atomstromanteil von 167 Mrd. Der Anteil der Erneuerbaren Energien liegt bei 10,5% und der der Kraft-Wärme-Kopplung bei 10%. Allein mit den bei klarem politischem Willen realisierbaren zusätzlichen Strompotentialen aus erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplung (mit und ohne Bioenergie) – Windkraft bis zu 200 Mrd., Photovoltaik bis zu 20 Mrd., Wasserkraft 25 Mrd., Geothermie mindestens 25 Mrd., Kraft-Wärme-Kopplung bis zu 120 Mrd. Kilowattstunden (davon etwa zur Hälfte aus Erneuerbaren Energien) – würden sich über 365 Mrd. Kilowattstunden ergeben. Das ergäbe zusammen mit den bereits eingeführten Potentialen Erneuerbarer Energien und der KWK eine Gesamtstromerzeugung von 80%. Unter Berücksichtigung eines Trägheitsmoments von vielleicht einem Drittel des aufgezeigten zusätzlichen Potentials wären es immer noch über 50%.

Wenn wir davon ausgehen, dass über die Steigerung der Geräteeffizienz generell ein jährlicher Effizienzzuwachs von 1% zustande kommt, ist das Ziel der Ablösung der Atomkraft und einer gleichzeitigen Reduzierung fossilen Energieeinsatzes umso leichter realisierbar. Einhergehend damit würde erfolgen

  • ein großer Sprung in der Effizienz des Energiesystems insgesamt, weil mit dem Ersatz weniger Großkraftwerke viele Energietransportverluste vermieden werden,
  • eine breitere Eigentumsstreuung in der Stromproduktion, mit Stadtwerken und Privatbetrieben, und damit ein mittelstandsfördernder und die Kommunen stärkender Effekt,
  • ein über die Bioenergie, die Kraft-Wärme-Kopplung und die geothermische Energienutzung angestoßener Effekt für die Minderung fossilen Energieeinsatzes im Bereich der Wärmebereitstellung.“

Weitere Information: EUROSOLAR-Aufruf „Erneuerbare Energien statt Atomenergie“



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